Frau putzt sich die Nase,, hält eine Tasse in der Hand und ist mit einer Decke zugedeckt© dragana991 / iStock / Getty Images Plus
Es ist wieder Erkältungszeit, wo die Nasen laufen und eine Menge Taschentücher verbraucht werden.

Influenza

GRIPPESAISON 21/22: IMPFEN ODER NICHT IMPFEN?

Verstärkter Infektionsschutz, keine Massenveranstaltungen und eine laue letzte Grippesaison – wie sinnvoll ist es, sich diese Saison gegen Grippe impfen zu lassen? Zweifler begründen ihre Bedenken mit mangelnden Daten über zirkulierende Virusstämme. 

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Es wird nicht nur über die Corona-Schutzimpfung diskutiert, sondern auch über die diesjährige Immunisierung gegen das Influenza-Virus. Prinzipiell nicht Neues, doch dieses Jahr liegen die Argumente anders. Selbst Robert Koch-Instituts (RKI)-Präsident Lothar Wieler verkündete in einer Pressemitteilung, dass die Prognose zur Wirksamkeit der diesjährigen Grippeimpfstoffe schwer abschätzbar sei. Hinzu kommt, dass wir trotz steigender Corona-Impfquoten und zunehmenden Lockerungen im Privatsektor noch weit von Normalität – Großveranstaltungen, regulärem Schulbetrieb, ungezwungenen Familienfesten – entfernt sind. Wenig Kontakte, möglicherweise geringer Impfschutz – wozu sich also impfen lassen?

Auf der anderen Seite werden Stimmen laut, die von einem zusätzlichen Schutz vor einer Corona-Infektion durch eine Grippeimpfung sprechen. Daten hierzu stammen von einer niederländischen Studie. Eine US-amerikanische Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine Grippeimpfung zumindest vor schweren COVID-19-Verläufen schützen könne. 
Hinzu kommt die Sorge einiger Expert*innen, die Intensivstationen der Krankenhäuser müssten im Winter wieder eine Doppelbelastung fürchten: Zum einen durch schwerwiegende COVID-19-, zum anderen durch Influenza-Infektionen. Also doch impfen lassen – zum eigenen, aber auch zum Schutz aller?
 

Das Grippevirus und die jährlichen Prognosen


Dem Influenza-Erreger ergeht es außerhalb des Körpers am besten, wenn es lange kalt und trocken ist. Wenn die Menschen anfangen zu husten und niesen und enger zusammenkuscheln schlägt es zu, am liebsten über Tröpfchen- oder Schmierinfektion. Dies sind die beiden Gründe, warum die Grippesaison – zumindest in gemäßigten Klimazonen wie unserer in Deutschland – von Oktober bis Mai reicht. 
Das Grippevirus mutiert rasch, genauer gesagt: Die antigenen Oberflächenmerkmale Hämagglutinin und Neuraminidase können durch die Virusstämme Influenza A und B recht schnell verändert werden. Daher muss auch der Impfstoff sich jedes Jahr anpassen, das Vakzin der vorangegangenen Saison ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr wirksam. Dafür beginnen Forscher mit der Entwicklung bereits im Februar – das Resultat gilt dann von Oktober des gleichen bis Mai des folgenden Jahres. Dafür sammelt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über globale Laborabfragen Daten über die aktuell zirkulierenden Virusstämme. Auf der Grundlage dieser Daten bestimmt sich die Zusammensetzung des saisonalen Grippeimpfstoffes. 

Virusstämme Influenza
Infektionen mit A-Stämmen führen zu den meisten Sterbefällen, große Epidemien und Pandemien gehen auf aggressive Influenza-A-Infektionen zurück. B-Stämme mutieren schneller, Infektionen mit ihnen verlaufen allerdings in der Regel harmloser. C- und D- Stämme lösen praktisch keine Virusgrippe aus. 

In den Laboren der Arzneimittelhersteller wachsen nun Saatviren heran – das Ausgangsmaterial stammt von der WHO, damit alle Hersteller gleiche Ausgangsbedingungen vorfinden. In sterilen Hühnereiern gelingt dies am besten, da sich das Virus beim Bebrüten darin sehr schnell vermehrt. Nach dem Absaugen der sogenannten Allantois-Flüssigkeit, in der sich die vermehrten Viren befinden, werden die Viren abgetötet, aufgereinigt und zusammen mit Trägermaterialien in Ampullen oder Fertigspritzen abgefüllt. Dieser Schritt muss für alle empfohlenen Virusstämme einzeln durchgeführt werden. Ein Nachteil dieser Produktionsweise liegt jedoch im allergenen Potenzial von Hühnerei(weiß), Allergiker können diesen Impfstoff nicht erhalten. Zudem bemängeln Kritiker, dass Hühner keinen natürlichen Wirt des humanen Influenzavirus darstellen, für die Vermehrung müsse sich das Virus also erst an den Wirt „Huhn“ anpassen. Dadurch könnten Oberflächenstrukturen verändert werden und durch die Impfung gebildete Antikörper weniger wirksam sein. Mittlerweile existieren Alternativen auf Zelllinien-Basis, im Grippeimpfstoff-Portfolio bilden sie aber noch die Ausnahme. 
Natürlich durchläuft auch der Grippeimpfstoff ein Zulassungsverfahren – auch wenn es jedes Jahr schnell gehen muss, es kommt keine Impfung auf den Markt, deren Wirksamkeit und Sicherheit nicht zuvor klinisch belegt worden ist. 
 

Aktuelle Grippeimpfstoffe im Überblick

 

Wie bereits im letzten Jahr beinhalten alle Grippeimpfstoffe der Saison 2021/22 Antigenkomponenten von vier Virenstämmen, zählen also zu den tetravalenten Vakzinen. Nicht immer tauscht die WHO alle Stämme aus, auch dieses Jahr sind lediglich die beiden A-Stämme neu:

  • Die beiden Influenza A-Stämme A/Victoria/2570/2019 (H1N1)-like virus und A/Cambodia/e0826360/2020 (H3N2)-like virus sollen vor Infektionen mit A(H1N1) und A(H3N2) schützen. 
  • Wie im letzten Jahr ergänzen die B-Stämme B/Washington/02/2019-like virus (für die Victoria-Linie) und B/Phuket/3073/2013-like virus (für die Yamagata-Linie) das Vakzin.

Eine Premiere stellt die unterschiedliche Empfehlung der WHO für die Zusammensetzung eibasierter und zellkulturbasierter beziehungsweise rekombinanter Impfstoffe dar. In zellkulturbasierten Impfstoffen ist daher als H1N1-Komponente der Stamm A/Wisconsin/588/2019 (H1N1)-like virus enthalten. Der kompliziert anmutende Name der Stämme besitzt System: A und B bezeichnen die Virustypen, der Ortsname bezieht sich auf den Ort der Virusisolierung, die erste Zahl gibt die Nummer des jeweils isolierten Stamms an, die zweite bezieht sich auf das Isolierungsjahr. H und N stehen für Hämagglutinin und Neuraminidase und die Ziffer dahinter bezeichnet den jeweiligen Subtyp. Der derzeitig einzig bekannte rekombinante Impfstoff Supemtek® von Sanofi hat es dieses Jahr noch nicht auf die Liste geschafft, könnte aber für die Saison 2022/23 kommen.

Bei den in Deutschland eingesetzten Grippeimpfstoffen handelt es sich um Totimpfstoffe. Einzige Ausnahme bildet das speziell für Kinder zugelassene Nasenspray, das beispielsweise bei Spritzenphobie eingesetzt werden kann. Es enthält lebende, attentuierte Viren – sie können also keine Infektion mehr auslösen. Jedoch soll bei schwerem Asthma und einer Immunschwäche von der Applikation abgesehen werden. Um ein Novum handelt es sich auch bei dem hochdosierten Grippeimpfstoff für Erwachsene ab 60 Jahren. Bei der weiteren auf dem Markt befindlichen Vakzine für Senioren soll die Immunantwort durch ein beigefügtes Adjuvans besser stimuliert werden. Für Hühnerei(weiß)-Allergiker steht ein zellbasierter Impfstoff zur Verfügung.

Grippeimpfung während Corona – sinnvoll, aber nicht für jeden

Im Mittel lag die Infektionsquote für Influenza in Deutschland im vergangenen Jahr um 54 Prozent niedriger als in der vorangegangenen Saison. Als Grund hierfür werden die Hygienemaßnahmen der COVID-19-Pandemie angeführt, vor allem die Schulschließungen haben ihren Teil dazu beigetragen, da Kinder häufig Überträger des Virus sind. „Die Datenbasis, auf der der Impfstoff erarbeitet wurde, ist nicht so gut wie die Datenbasis der Vorjahre“, gab Professor Dr. Lothar Wieler, Präsident des RKI, zum Start der aktuellen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) bekannt. Aber nicht nur die niedrigen Infektionszahlen, auch das kurzzeitig eingeschränkte Datennetzwerk der Labore durch die Corona-Pandemie erschweren Rückschlüsse auf die saisonal am stärksten kursierenden Influenza-Stämme. 

Übrigens:
Während die einen noch auf ihren ersten Termin warten, erhalten einige Personen bereits ihre Corona-Booster-Impfung. Um den Termindruck zu senken und die Impfquote zu erhöhen, erklärte STIKO-Chef Thomas Mertens die gleichzeitige Gabe von Influenza- und COVID-19-Impfung als unbedenklich. Beobachtungen aus Großbritannien zeigten nur leicht erhöhte Impfreaktionen im Vergleich zur Einzelgabe. 
Derweil forscht das Pharmaunternehmen Novovax bereits an einem Kombi-Impfstoff. NanoFluTM/NVX-CoV2373 geht bereits in die erste klinische Studienphase .

Ob es dieses Jahr wieder zu einer schwachen Grippesaison kommt, lässt sich schwer abschätzen. „Wenn wir eine Influenza-Welle bekommen, kommt sie obendrauf auf die vierte Corona-Welle“, sagte Wieler dazu. Zudem rechnet das RKI dieses Jahr mit mehr Atemwegsinfektionen insgesamt – speziell durch das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). „Erschwerend ist im Herbst ein paralleler Anstieg von SARS-CoV-2, Influenza und RSV aufgrund der reduzierten Grundimmunität (ausgebliebene Booster-Infektionen für Influenza und RSV) der letzten beiden Saisons zu erwarten; das gemeinsame Auftreten dieser Infektionskrankheiten kann zu einer deutlichen Gesundheitsbelastung durch die Erkrankungen selbst und zusätzlich durch sekundäre Pneumonien führen“, schreibt das RKI. Daher rät das Institut, insbesondere Kinder und die ältere Bevölkerung zu schützen. Beim Thema Kinder gehen die Meinungen allerdings auseinander. Professor Johannes Hübner, leitender Oberarzt der Kinderklinik der LMU in München und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie der rät in der "Welt am Sonntag": „Ich empfehle allen Eltern, ihre Kinder in diesem Jahr gegen Influenza impfen zu lassen." Man möchte in diesem Jahr eine Überbelastung der Intensivstationen durch COVID-19, Influenza und RSV in jedem Fall verhindern. Daher empfiehlt auch der derzeitig noch amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen will, sollte und kann das tun". Nach den Erfahrungen des letzten Jahres stehen dieses Jahr auch deutlich mehr Dosen Grippeimpfstoff zur Verfügung als üblich. 

Hochdosisimpfstoff für Ältere
Die echte Grippe wird häufig unterschätzt. Gerade unter Senioren sorgt das Virus jährlich für schwere Verläufe, mitunter auch mit Todesfolge. Der Grund: ein schwächelndes Immunsystem und eine hohe Quote Impfversager, deren Immunantwort auf eine Impfung zu gering ausfällt. Für alle Personen ab 60 gibt es daher dieses Jahr erstmalig die Empfehlung zur Gabe von Hochdosisimpfstoffen. Dieser enthält die vierfache Antigenmenge eines gewöhnlichen Influenza-Vakzins. Erfahrungen hierzu kommen aus den USA – der vergleichbar zusammengesetzte Impfstoff zeigte nach Injektion ein stärker ausgeprägtes, aber unbedenkliches Nebenwirkungsprofil.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung allerdings nur für:

  • Personen ab 60 Jahren,
  • Schwangere ab dem 2. Trimenon, 
  • Risikogruppen, die beispielsweise unter chronischen Atemwegserkrankungen, Diabetes mellitus, Herz-Kreislaufkrankheiten, Immunschwäche oder anderen chronischen Erkrankungen leiden,
  • Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen,
  • medizinisches Personal, Altenpflegepersonal sowie pflegende Angehörige.

Das RKI hofft vor allem, dass die Impfquoten in den Risikogruppen, die in den letzten Jahren viel zu niedrig war, steigen. Es rät aber auch nicht davon ab, dass sich gesunde Erwachsene und Kinder impfen lassen. Aufgrund des vergleichsweise milden Infektionsverlaufs sei aber keine Notwendigkeit gegeben. 
 

Verhindert die Grippeimpfung eine Coronainfektion?

Eine niederländisch-deutsche Studie sorgte vergangenes Jahr für Schlagzeilen: Wer im Winter 2019/20 gegen Grippe geimpft war, hatte während der ersten Corona-Welle ein knapp 40 Prozent geringeres Infektionsrisiko für COVID-19 als ein Ungeimpfter. Daten hierzu stammten von 10 600 Mitarbeitern eines medizinischen Zentrums in den Niederlanden. Auch eine italienische Studie kam zu dem Ergebnis, dass Menschen über 65 Jahre, die gegen Grippe geimpft waren, weniger oft an COVID-19 erkrankten. Eine mögliche Erklärung sehen die Forscher*innen in einem allgemeinen Immunsystem-Training durch die Grippeimpfung: gemessene Zytokinspiegel bewiesen eine höhere Immunaktivität, in Zellkulturen reagierten Influenza-geimpfte Zellen schneller auf das Corona-Virus als Ungeimpfte. Diesen Effekt kennt man bereits von der Mumps-Masern-Röteln- und der Polio-Impfung. US-Forscherin Susan Taghioff von der University of Miami und ihr Team schauten etwas differenzierter auf die These. Sie analysierten Daten von über 37 000 Personen aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Italien, Israel und Singapur. Das Ergebnis: Wer die Influenza-Impfung 120 Tage vor einer COVID-19-Infektion erhielt, hatte ein bis zu 58 Prozent geringeres Risiko in die Notaufnahme zu müssen und ein 20 Prozent geringeres Risiko für einen Intensivstation-Aufenthalt. Schwere Begleiterscheinungen einer COVID-19-Infektion wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Sepsis oder tiefer Venenthrombose traten signifikant seltener auf. 
Es scheint als würde die Influenza-Impfung einen gewissen Schutz vor einer Corona-Infektion oder zumindest einem schweren Verlauf bieten. Doch valide Daten fehlen noch.

Quellen:
https://www.experto.de/praxistipps/grippeimpfung-wie-wird-der-impfstoff-gegen-die-saisonale-grippe-hergestellt.html
https://www.planet-wissen.de/natur/mikroorganismen/viren/pwiegrippeviren100.html
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/die-grippeimpfstoffe-im-ueberblick-120422/
https://www.kvs-sachsen.de/fileadmin/data/kvs/img/Mitglieder/KVS-Mitteilungen/2021-02/kvsm2021-02_Schutzimpfungen.pdf 
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/03/02/so-sieht-der-grippeimpfstoff-2021-22-aus
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/08/19/paul-ehrlich-institut-gibt-die-ersten-grippeimpfstoffe-frei 
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/Hochdosis-Impfstoffe/FAQ_Uebersicht.html 
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/07_21.pdf?__blob=publicationFile 
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/09/13/grippe-impfstoffe-wirksamkeit-noch-schwerer-abzuschaetzen-als-sonst
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wirksamkeit-der-grippe-impfstoffe-diese-saison-schwer-abschaetzbar-127981/
https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/aufruf-grippe-impfung-corona-100.html
https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/ticker-corona-virus-nrw-1290.html
https://www.wz.de/panorama/wie-sinnvoll-eine-grippe-impfung-neben-der-corona-impfung-ist_aid-62883199
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/09/10/novavax-prueft-impfstoffkombi-gegen-grippe-und-corona 
https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/927/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/05/27/efluelda-hochdosiert-fuer-aeltere-menschen
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.14.20212498v1.full 
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7300995/
https://www.mdr.de/brisant/hilft-grippe-impfung-gegen-corona-100.html
https://www.mdr.de/wissen/grippe-influenza-impfung-schuetzt-vor-schweren-covid-folgen-100.html

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