Eine Contortionistin hat sich in eine komplizierte Figur verdreht.© Teraphim / iStock / Getty Images Plus
Um durch die Zellmembran zu passen, verdrehen sich Zyklische Peptide und verändern dabei ihre Form und Eigenschaften - eigentlich wären sie zu groß.

Große Moleküle

WIE NEUE ARZNEISTOFFE DURCH DIE ZELLMEMBRAN TANZEN

Neue Medikamente werden dringend gesucht – vor allem Antibiotika. Die sollen aber nicht nur wirken, sondern im besten Fall oral einzunehmen sein. Dazu müssen sie Zellmembranen durchdringen. Und das ist gar nicht so einfach.

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Wirkstoffe, die Zellmembranen passieren können, haben den großen Vorteil, dass Patienten sie oral entweder als Tablette oder als Sirup einnehmen können. Denn nur diese Wirkstoffe passieren im Dünndarm die Darmwand und gehen in den Blutstrom über, um so an ihren Wirkort zu gelangen. Bei allen anderen Wirkstoffen haben Ärzte keine andere Wahl, als sie direkt ins Blut zu injizieren.

Die Mehrzahl der heutigen Medikamente sind sogenannte Small Molecules, also kleine Moleküle. Doch bei ihnen gelangen Forscherinnen und Forscher an ihre Grenzen. Neue Moleküle sind meist größer und gelangen schwerer durch Zellmembranen. Und deshalb setzt man auf zyklische Peptide.

Zyklische Peptide statt Small Molecules

Zyklische Peptide sind eine Substanzklasse, die besondere Eigenschaften aufweist: Die ringförmigen Moleküle sind deutlich größer als die kleinen Small Molecules. Viele pharmazeutisch wirksame Naturstoffe sind zyklische Peptide. Darunter Ciclosporin, ein seit Jahrzehnten nach Organtransplantationen eingesetztes Immunsuppressivum – aber auch viele Antibiotika.

Die Ringstruktur verändert ihre Form – und quetscht sich durch

Um den zyklischen Peptiden und ihrem Weg durch die Membran auf die Spur zu kommen, bedarf es einer rechenintensiven Computermodellierung. „Nur die Modellierung erlaubt uns solch hochaufgelöste und detaillierte Einblicke, denn es gibt keine experimentelle Möglichkeit, ein einzelnes Molekül beim Durchqueren der Membran zu beobachten“, sagt Sereina Riniker, Professorin am Department Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich. Sie hat die Studie, die im Journal of Medicinal Chemistry veröffentlicht worden ist, geleitet.

Um den Mechanismus zu verstehen, muss man wissen, wie zyklische Peptide aufgebaut sind: Sie bestehen aus einer zentralen Ringstruktur, an der Seitenketten hängen. Die Moleküle sind flexibel und können ihre Strukturen dynamisch verändern, um sich ihrer Umgebung anzupassen. Salopp könnte man sagen, sie schlängeln sich irgendwie durch.

Die Computermodellierung deckt auf: Zuerst dockt das Molekül an die Membranoberfläche an und dringt dann senkrecht zur Membran in diese ein. Danach ändert es seine dreidimensionale Form und rotiert während der Durchquerung einmal um die Längsachse, ehe es die andere Seite der Membran erreicht und dort wieder austritt.

Das Molekül, ein Verwandlungskünstler

Dass das Molekül sich amöbengleich durch die Zellen durchquetscht, hat seinen Grund: Unser Körper besteht überwiegend aus Wasser. Und sowohl innerhalb als auch außerhalb der Zellen befinden sich die biochemischen Moleküle größtenteils in wässriger Lösung. Die Zellmembranen sind aber aus Fettsäuren aufgebaut. Innerhalb einer Membran herrschen daher lipophile, wasserabstoßende Bedingungen. Riniker erklärt das so: „Um die Membran durchqueren zu können, ändert das zyklische Peptid seine dreidimensionale Form, um sich damit für eine kurze Zeit so wasserabstoßend wie möglich zu machen.“

So tüfteln die Forscher weiter an neuen Medikamenten

Diese neuen Erkenntnisse können nun in die Entwicklung zyklischer Peptide als Arzneimittel einfließen. Riniker weist dabei jedoch auf einen gewissen Konflikt hin: Es gibt Seitenketten, dank denen ein zyklisches Peptid zwar ideal an die Membranoberfläche andocken kann, die jedoch dem Peptid das Durchqueren der Membran erschweren.

Das neue Wissen hilft den Forschenden bei der Überlegung, welche Seitenketten sie genau verwenden wollen und an welcher Stelle am Molekül sie am hilfreichsten sind. Ob das funktionieren wird, können sie schoon vor der tatsächlichen Arzneistoffentwicklung am Computermodell testen. Das alles könnte die Medikamentenentwicklung beschleunigen.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft

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