Hände gefüllt mit Münzen und Tabletten.© AndreyPopov / iStock / Getty Images Plus
Diskutiert wurde unter anderem, ob es sinnvoll ist, dass der Staat stärker preisregulierend eingreift.

Ethik

WAS DÜRFEN ARZNEIMITTEL KOSTEN?

Gerechte Preisbildung bei teuren Arzneimitteln: Darüber diskutierte der Deutsche Ethikrat auf seiner Jahrestagung mit Fachleuten. Eine simple Lösung hatte keiner. Genug Stoff zum Nachdenken schon.

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Was ist teurer: Ein Cheeseburger von McDonalds oder die durchschnittliche Tagesdosis eines Medikaments? Der Cheeseburger. Er kostet circa zwei Euro. Dafür bekommt man fast 2,5 Tagesdosen Arzneimittel. Im Durchschnitt liegt der Herstellerabgabepreis für eine Tagesdosis in Deutschland nämlich bei 83 Cent. 

Das rechnete Prof. Bertram Häussler vor, Leiter des Forschungsinstituts IGES. Er war einer der Referenten der Jahrestagung des Deutschen Ethikrats* im Sommer. Thema: „Hohe Preise – Gute Besserung? Wege zur gerechten Preisbildung bei teuren Arzneimitteln.“ Die Preisspanne für Tagesdosen liegt allerdings zwischen einem Cent und 15 000 Euro.

Medikamentenpreisfindung – eine ethische Herausforderung

Am Anfang der Preisgestaltung stehen viele Fragen:

  • Wie gut lassen sich Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von Innovationen bestimmen?
  • Wie gelingt es, die Ansprüche aller Bürger*innen auf bestmögliche Behandlung zu berücksichtigen?
  • Wie können die forschenden Herstellerfirmen dabei angemessen bezahlt werden?
  • Und wie soll das alles in Form maßvoller Krankenkassenversicherungsbeiträge unter einen Hut zu bekommen sein?

Häussler erörterte nüchtern: Pharmahersteller müssen ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E) gegenfinanzieren. Auch die für Projekte, aus denen nichts wurde. Dabei gilt: „Sehr hohe Preise werden bei neuen Arzneimitteln verlangt, deren Exklusivität zeitlich begrenzt garantiert wird und die sehr selten angewendet werden müssen.

Die Preise sind sehr gering, wenn Exklusivität nicht mehr garantiert ist und viele Menschen die Arzneimittel häufig einnehmen.“ Dass man in wohlhabenden Ländern hohe Preise über den Patentschutz für gewisse Zeit akzeptiert, ist für Häussler der Grund, dass es stets neue und langfristig auch weltweit immer billigere Medikamente gibt: „Eine Alternative dazu ist derzeit nicht in Sicht.“ 

Krankenkassenvertreter*innen fordern neue Preissetzung

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, beurteilte den Markt als „deutlich überhitzt“: „Eine der Herausforderungen besteht in der oft mangelnden Balance zwischen dem Nutzen eines Arzneimittels und den hohen Preisen sowie den vergleichsweise hohen Gewinnen der pharmazeutischen Industrie.“ Diese seien deutlich höher als in anderen Branchen. Dabei würden circa 50 Prozent der Mittel für Forschung und Entwicklung (F&E) aus öffentlichen Geldern bezahlt.

„Die Preissetzung muss grundsätzlich verändert werden“, fand er. Seine Vorschläge: 

  • Preisbildung anhand der echten F&E-Kosten,
  • Anregung der „richtigen“ Forschung,
  • stärkere Überprüfung und
  • Berücksichtigung des echten Zusatznutzens.

Kostensonderfall: sehr teure, aber (über)lebenswichtige Therapien

Der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken, fordert schon länger: Wenigstens bestimmte „teure“ Patient*innen sollten ihre Behandlungsdaten spenden, damit sich Nutzen und Kosten ihrer Therapie besser einschätzen lassen.

Beim Ethikrat machte Hecken allerdings deutlich, dass hierfür die rechtliche Grundlage fehlt: Zwar kann der G-BA bei teuren Spezialtherapien Studien verlangen und die Anwendung auf bestimmte Ärzte beschränken, aber: Deren Patient*innen zur Datenspende verpflichten kann er nicht. Vorgesehen ist lediglich die freiwillige Datenspende. Dabei sind manche auf sehr teure Medikamente angewiesen und darauf, dass die Solidargemeinschaft sie finanziert.

Dass sie nicht bereit sind, ihre Behandlungsdaten anonymisiert zur Verfügung zu stellen und so zur Nutzenbeurteilung beizutragen, findet Hecken falsch: „Solidarität ist keine Einbahnstraße.“ Stephan Kruip, Vorstandsmitglied bei Mukoviszidose e.V., wurde 1965 geboren. Damals betrug die Lebenserwartung für Säuglinge wie ihn acht Jahre, heute 55. Der Preis waren mehrstündige tägliche Therapieanstrengungen.

Das Medikament Kaftrio® ermöglicht vielen nun ein ziemlich normales Leben. Doch die Jahrestherapie kostet circa 275 000 Euro. 2021 hat der Hersteller 7,6 Mrd. Euro umgesetzt. Kruip zufolge liegen die Herstellungskosten aber bei nur 450 Euro pro Monat. Für ihn steht fest: Die F&E-Ausgaben sind längst hereingeholt, Kaftrio® könnte viel billiger sein. Es müsse vielleicht mit Hilfe des Kartellamts überprüft werden, ob eine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt werde.

Und die Lösung?

Diskutiert wurde unter anderem, ob es sinnvoll ist, dass der Staat stärker preisregulierend eingreift. Doch die Gefahr besteht, dass dann Forschungsanstrengungen unterbleiben und Arzneimittel fehlen. Schwer vorstellbar auch, dass sich Unternehmen zwingen lassen, ihre Investitionskosten bei Preisverhandungen auf den Tisch zu legen, wie teilweise gefordert. 

Gute Ideen für gerechte Preisbildung sind also weiter gefragt. Denn es geht nicht allein um Deutschland. Nur zwei Prozent der weltweiten Forschungsgelder für Krankheiten werden in sogenannten Entwicklungsländern ausgegeben, sagte Dr. med. Andreas Reis von der WHO. In diesen Ländern ist auch der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten ein anhaltendes Problem.

Quelle: https://www.ethikrat.org/jahrestagungen/hohe-preise-gute-besserung/

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