mehrere transparente, leere Hartkapseln© Anastasiia Zabolotna / iStock / Getty Images Plus
Schon die Erwartung einer nahestehenden Person kann zu einer Wirkung beitragen - dazu ist gar kein Wirkstoff nötig.

Erwartungshaltung

DER PLACEBO-EFFEKT UND SEINE GESCHWISTER

Der Placebo-Effekt ist im Allgemeinen bekannt. Hier erfahren Sie, was aktuelle Studien über die Scheinwirkung herausfanden – und was es mit den verwandten Effekten Nocebo, Pseudo-Placebo und Placebo by Proxy auf sich hat.

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Der Placebo-Effekt beschreibt die positive Wirkung eines Medikaments, das entweder keine pharmazeutisch wirksamen Substanzen enthält oder für die falsche Indikation verwendet wird. Experten gehen davon aus, dass der Placebo-Effekte bei verordneten Medikamenten bis zu 40 Prozent der erwarteten Wirkung eines Arzneimittels beträgt.

Placebo-Arzneimittel lassen sich in reine Placebos und Pseudo-Placebos einteilen. Ein reines Placebo enthält keinen Wirkstoff, sondern nur Hilfsstoffe wie Stärke, Lactose, Gereinigtes Wasser oder Kochsalzlösung.

Was ist ein Pseudo-Placebo?

Pseudo-Placebos enthalten aktive Substanzen, jedoch unterdosiert oder eigentlich für eine andere Indikation gedacht. So können Vitamine, Mineralstoffe oder psychotrope Substanzen in subtherapeutischen Dosen verordnet werden und trotzdem Effekte erzielen.

Auch Arzneimittel, die für die falsche Indikation verwendet werden, zählen auch zu den Pseudo-Placebos. Dies ist häufig bei der Verordnung von Antibiotika für virale Infektionen zu beobachten.

Der Antagonist des Placebos: der Nocebo-Effekt

Der Nocebo-Effekt beschreibt einen negativen Effekt eines Placebos auf die einnehmende Person. Sie reagiert mit Nebenwirkungen, die nicht auf die eingenommene Substanz zurückzuführen sind, da diese keine oder nicht diese Nebenwirkungen auslöst.

Der Placebo by Proxy-Effekt

Der Placebo by Proxy-Effekt ist ein Placebo-Effekt, der durch die positive Haltung gegenüber der Therapie durch einen Stellvertreter (engl. proxy) auf die behandelte Person vermittelt wird. Eine betreuende Person oder ein Elternteil erwartet also eine positive Wirkung und dies überträgt sich auf denjenigen, der das Arzneimittel einnimmt.

In besonders hohem Maße spielt dies eine Rolle bei der Behandlung von Kindern, kognitiv eingeschränkten Personen und Tieren. Placebo-Forscher vermuten den Placebo by Proxy-Effekt auch als treibende Kraft hinter der Wirkung von Homöopathie bei Tieren und Kindern.

Der Nocebo by Proxy-Effekt

Der Nocebo by Proxy-Effekt ist wie der Nocebo-Effekt zu sehen: Eine negative Haltung der Betreuungspersonen gegenüber der Behandlung der betreuten Person kann zu negativen Effekten während der Behandlung führen. Zum Beispiel kann es zu Nebenwirkungen wie Symptomverschlechterungen bei der Behandlung von Schmerzen kommen. 

Der Hawthorne-Effekt

Der Hawthorne-Effekt wird durch die Behandlung unter Beobachtung und das Wissen um die Behandlung und Beobachtung ausgelöst. Er ist kein einzelner Effekt wie der Placebo- und Nocebo-Effekt, sondern er kommt durch das Setting der Behandlung zustande.

Der Hawthorne Effekt erhielt seinen Namen von einer in Cicero, Illinois, in den 1920er Jahren durchgeführten Studie im damals dort ansässigen Hawthorne Kraftwerk. Die Forschenden suchten Möglichkeiten, die Produktivität von Arbeitenden zu steigern. Und die Produktivität der Arbeitenden stieg während der Durchführung der Studie tatsächlich. Es wird vermutet, dass allein die Beobachtung der Teilnehmenden schon eine Produktivitätssteigerung auslöste.

Wie kommen diese Effekte zustande?

Allen Effekten gemeinsam ist, dass sie durch psychosoziale Interaktionen ausgelöst werden. Diese führen dann zu neurobiologischen Effekten, also durch Neurotransmitter ausgelösten Reaktionen im Zellsystem. So wiesen Studien die Produktion von körpereigenen Opioiden, Endocannabinoiden, Dopamin, Oxytocin und Vasopressin unter Placebo nach.

Placebo- und Nocebo-Effekte werden gesteuert durch Erwartungen, Verbalisierung (also In-Worte-Fassen) von zu erwartenden Effekten und die Formulierung oder das Umreißen von möglichen Resultaten.

So können Erwartungen an eine Behandlung durch vorhergehende Erfahrungen, die Kommunikation von zu erwartenden Effekten (z. B. Schmerzreduktion nach Einnahme eines Schmerzmittels) oder auch soziale Beobachtung (z. B. Schmerzreduktion bei einer Person, die das gleiche Medikament einnimmt) zu Placebo-Effekten führen. Dies gilt auch für Nocebo-Effekte.

Die Konditionierung ist natürlich auch ein grundlegender Faktor für das Zustandekommen der genannten Effekte. So ist es ein klassischer Lerneffekt, wenn zum Beispiel eine weiße, oblonge Ibuprofen-Tablette einem Patienten bei Kopfschmerzen schon oft geholfen hat. Dies kann bei wiederholter Einnahme oftmals schon fünf bis zehn Minuten später zu einer subjektiven Besserung des Befindens führen – auch wenn Ibuprofen gar nicht so schnell wirkt.

Auch kann das Setting mit weißen Kitteln, Klinikpersonal und Klinikgegenständen wie Spritzen Placebo- und Nocebo-Effekte beeinflussen.

Placebo- und Nocebo-Effekte in klinischen Studien

Der Einfluss von Placebo- – und Nocebo- – Effekten in klinischen Studien ist ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung eines neuen Medikaments. Lange Zeit wurde den Effekten wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Diplom-Psychologen Paul Enck und Katja Weimer stellen seit einigen Jahren die Datenbank Journal of Interdisciplinary Studies bereit und sammeln Studienmaterial zu diesem Thema.

In einem Review aus dem Jahr 2019 stellten Paul Enck und Sibylle Klosterhalfen Ergebnisse verschiedener Faktoren dar, die Placebo- und Nocebo-Effekte begünstigten und deren Einfluss in randomisierten Doppelblindstudien (RCT).

So stellten sie fest, dass in randomisierten, kontrollierten Studien die Teilnehmenden mit geringen Krankheitssymptomen auf Placebos besser ansprachen. Die Krankheitssymptome wurden auf Grund subjektiver Angaben beurteilt, die Biomarker spielten keine Rolle. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Auswahl von Kandidaten mit milden Symptomen zu einer Fehleinschätzung der Wirksamkeit von Medikamenten in der späteren klinischen Routine führen kann, da dort ein ganzes Spektrum an Schweregraden einer Krankheit vorliegt. Dort können sie dann zu enttäuschenden Ergebnissen führen. Es werden Ansätze diskutiert, um die Ergebnisse solcher Studien in dieser Hinsicht zu verbessern.

In ihrem Review überprüften Enck und Klosterhalfen auch Annahmen darüber, bei wem Placebo-Präparate besonders wirken. Wir gingen lange davon aus, dass junge Menschen, Ältere sowie Frauen besser auf Placebo ansprechen. Diese Annahme stellte sich als falsch heraus. Die untersuchten Studien zeigten kein eindeutiges Ergebnis.

Was sie jedoch aufzeigten ist, dass der Placebo-Effekt bei Kindern und Heranwachsenden besonders hoch ist, bei Erwachsenen im weiteren Lebensverlauf jedoch ein stabiles Niveau erreicht. Vermutlich spielen Lerneffekte durch Konditionierung hier eine große Rolle.

Eine „Placebo-Persönlichkeit“, die besonders häufig auf Placebo-Effekte anspricht, konnte nicht nachgewiesen werden. Zwar sprechen Menschen mit außen-orientierter Persönlichkeit eher auf Placebo an als nach innen orientierte Personen. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass dies ein zufälliger Fund sein kann, der fehleranfällig ist, da Persönlichkeitsmerkmale bei der Auswahl von Probanden nicht grundlegend untersucht werden.

Auch eine genetische Häufung für das Ansprechen auf Placebo konnte nicht nachgewiesen werden, da nur bei einer geringen Anzahl von Studien eine Genom-Analyse erfolgt. Das reicht nicht aus ist, um Aussagen über genetische Dispositionen sicher zu treffen.

Placebo-Effekt im Beratungsalltag

Während die eben beschriebenen Erkenntnisse für die Beratungspraxis in der Apotheke eine untergeordnete Rolle spielen, sind die folgenden Ergebnisse auch für das pharmazeutische Personal in der Beratung interessant.

So zeigte eine Studie, dass Ärztinnen höhere Placebo-Effekte bei den Patienten erzielen konnten als ihre männlichen Kollegen. Die Ärztinnen konnten eine bessere Vertrauensbasis zu den Patienten aufbauen. Auch konnte in einer weiteren Studie eine Symptommilderung und Verkürzung der Krankheitszeit um einen Tag festgestellt werden bei Ärzten, die empathisch auf die Erkrankung ihrer Patienten eingingen.

Auch, wenn Sie natürlich keine Placebos, sondern Medikamente mit Wirkstoffen an Ihre Kunden abgeben: Sie können diese Erkenntnis nutzen um den Beratungsalltag mit den Kunden auf empathische Weise zu gestalten und eine Vertrauensbasis aufzubauen. Es besteht die Chance, dass Sie so die Arzneimittelwirkung verbessern.

Auch das Apothekenpersonal kann als Proxy fungieren. So kann die positive Kommunikation zur einem Medikament die Compliance verbessern und den Kunden in seiner Therapie bestärken.

Juliane Traeber, PTA

Quellen:
Colloca L, Barsky AJ. Placebo and Nocebo Effects. N Engl J Med. 2020 Feb 6;382(6):554-561. doi: 10.1056/NEJMra1907805. PMID: 32023375.
Czerniak E, Oberlander TF, Weimer K, Kossowsky J, Enck P. "Placebo by Proxy" and "Nocebo by Proxy" in Children: A Review of Parents' Role in Treatment Outcomes. Front Psychiatry. 2020 Mar 11;11:169. doi: 10.3389/fpsyt.2020.00169. PMID: 32218746; PMCID: PMC7078585.
Enck P, Klosterhalfen S. Placebos and the Placebo Effect in Drug Trials. Handb Exp Pharmacol. 2019;260:399-431. doi: 10.1007/164_2019_269. PMID: 31463606.
Pardo-Cabello AJ, Manzano-Gamero V, Puche-Cañas E. Placebo: a brief updated review. Naunyn Schmiedebergs Arch Pharmacol. 2022 Nov;395(11):1343-1356. doi: 10.1007/s00210-022-02280-w. Epub 2022 Aug 9. PMID: 35943515; PMCID: PMC9361274.
Sedgwick P, Greenwood N. Understanding the Hawthorne effect. BMJ. 2015 Sep 4;351:h4672. doi: 10.1136/bmj.h4672. PMID: 26341898.
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/homoeopathie-wieso-es-einen-placeboeffekt-bei-tieren-gibt-a-974333.html
www.jips.online

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