Masern und Co.
PTA-Fortbildung

Kinderkrankheiten im Beratungsalltag

Kinderkrankheiten umfassen ein großes Spektrum verschiedener Infektionen. Während einige noch heute häufig auftreten, sind andere inzwischen fast vollständig aus dem Blickfeld verschwunden. Kennen Sie sich aus?

22 Minuten

Als Kinderkrankheiten werden Infektionskrankheiten bezeichnet, deren Erreger so stark verbreitet sind, dass es sehr wahrscheinlich ist, in den ersten Lebensjahren aufgrund der kindlichen immunologischen Unreife daran zu erkranken. Viele der klassischen Kinderkrankheiten hinterlassen bei den Betroffenen in der Regel eine lebenslange Immunität.

Darüber hinaus gibt es aber im Kindesalter auch typische Erkrankungen, bei denen sich kein immunologisches Gedächtnis ausbildet. Auch wenn der Begriff suggeriert, dass Kinderkrankheiten ungefährlich seien und nur bei Kindern auftreten, ist das nicht der Fall. Zum einen existieren nicht für alle Infektionen ausreichende Therapiemöglichkeiten.

Und viele sind mit gefährlichen Komplikationen assoziiert, die zu dauerhaften Schäden führen oder lebensbedrohlich sind. Zum anderen sind nicht nur Säuglinge und Kinder betroffen, Erwachsene können sich gleichermaßen anstecken. Zudem verlaufen bei ihnen die Infektionen meist schwerer als bei den Kleinen. Vor allem sind Abwehrgeschwächte und Personen mit schwerwiegenden Grunderkrankungen besonders gefährdet.

Lernziele

Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung unter anderem,
+ was man unter Kinderkrankheiten versteht,
+ mit welchen Symptomen sich die verschiedenen Kinderkrankheiten bemerkbar machen,
+ welche Komplikationen möglich sind,
+ was eine Herdenimmunität ist,
+ gegen welche Kinderkrankheiten geimpft werden kann und
+ in welchem Alter die jeweiligen Impfungen erfolgen sollten.

Wertvolle Impfungen

Impfungen haben einen hohen Stellenwert, denn sie zählen zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen. Auch wenn nicht bei allen Kinderkrankheiten die Möglichkeit einer Impfung besteht, so kann doch gegen viele der häufigen Infektionen im Kindesalter geimpft werden. Ohne Impfung erkrankt fast jeder an den klassischen – impfbaren – Kinderkrankheiten. Die Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Institutes (RKI) spricht regelmäßig Impfempfehlungen im Kindes- und Jugendalter aus.

Die aktualisierte Version wird jedes Jahr mit Erläuterungen im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und ist auf den Internetseiten des RKI unter www.rki.de abrufbar (letzter Stand: Januar 2022). Da aber in Deutschland keine Impfpflicht besteht, muss jeder Einzelne für sich beziehungsweise sein Kind über die Durchführung einer Impfung entscheiden. Ausnahmen gibt es jedoch bei den Masern. Um den Schutz vor einer Infektion mit Masern zu stärken, hat die Bundesregierung das Masernschutzgesetz verabschiedet, das seit dem 1. März 2020 gilt.

Herdenimmunität erwünscht

Eine Impfung schützt nicht nur den Impfling selber. Auch ungeimpfte Personen profitieren von einer geimpften Umgebung. Lässt sich ein ausreichender Teil der Bevölkerung impfen, ist es möglich Infektionsketten zu unterbrechen. Die Ausbreitung der Erreger wird gestoppt, da diese sich nicht mehr in den immunen Menschen vermehren und an Ungeschützte weitergegeben werden können. Dieser Kollektivschutz, der auch Herdenschutz oder Herdenimmunität genannt wird, bewahrt insbesondere Personen vor Infektionen, für die aus medizinischen Gründen keine Möglichkeit zur Impfung besteht. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Erreger ausschließlich beim Menschen vermehrt und hohe Durchimpfungsraten erzielt werden. Dann kann auch eine regionale oder sogar weltweite Ausrottung (Eradikation) gelingen. Eine allgemeine Aussage zu der Höhe der erforderlichen Durchimpfungsraten ist nicht möglich, da sie erregerabhängig ist. Bei den Masern und der Polomyelitis (Polio) werden beispielsweise mindestens 95 Prozent benötigt. Bei der Diphterie lässt sich der Kollektivschutz hingegen bereits ab circa 80 Prozent erreichen.

Seither müssen alle Eltern nachweisen, dass ihre Kinder (ab dem vollendeten ersten Lebensjahr) vor Eintritt in eine Gemeinschaftseinrichtung (z. B. Kindergarten, Schule) eine Immunität gegen Masern aufgebaut haben. Dies erfolgt in der Regel über die Bescheinigung einer von der STIKO empfohlenen Impfung gegen Masern. Möglich ist auch die Vorlage eines ärztlichen Attests, das belegt, dass aufgrund einer früheren Maserninfektion ein ausreichender Immunstatus vorhanden ist.

Gleiches gilt für nach 1970 Geborene, die in Gemeinschafts- oder medizinischen Einrichtungen tätig sind. Ausgenommen sind Menschen, die vor 1971 geboren sind, weil diese mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits mit Masern infiziert waren. Auch Kinder unter einem Jahr können ohne Nachweis in Einrichtungen aufgenommen werden.

WHO-Ziel Eradikation

Bei den Pocken ist es zum ersten Mal gelungen, sie durch intensive Impfaktivitäten in allen Regionen der Welt als ausgerottet zu erklären. Nach dem letzten Pockenfall in Afrika Ende der 1970er Jahre wurde die weltweite Eradikation der Pocken von der WHO ausgerufen und daraufhin die routinemäßigen Pockenimpfungen, wie sie in den 1970- und 1980er Jahren im frühen und späten Kindesalter (zwei Impfungen) Pflicht waren, in Deutschland eingestellt.

Hingegen ist die globale Ausrottung der Polio und Masern zwar ein definiertes, aber bislang noch nicht erreichtes Ziel der WHO. Bei der Polio scheint sie allerdings zum Greifen nah zu sein. Weltweit wurde in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Reduktion der Poliofälle erreicht. Nachdem Polio bereits in drei WHO-Regionen (Amerika 1996, Westpazifik 2000, Europa 2002) als ausgerottet erklärt wurde, wird ihre weltweite Eradikation von der WHO nun für das Jahr 2023 angestrebt. Doch obwohl Polio in Deutschland bereits als ausgerottet gilt, müssen hier alle Kinder weiterhin vollständig geimpft werden.

Grund dafür ist ein Einschleppen der Krankheit durch Reisende aus Ländern, in denen die Krankheit noch verbreitet ist (verschiedene Länder Asiens und Afrika, z. B. Pakistan, Afghanistan). Ohne Impfung entstünden Immunitätslücken, die dazu führten, dass sich die Krankheit auch wieder in Deutschland ausbreiten würde. Bei den Masern gestaltet sich die globale Ausrottung deutlich schwieriger. Die WHO hatte sie sich bis Ende 2020 zum Ziel gesetzt.

Auch wenn insgesamt Fortschritte bezüglich der Impfquoten erzielt werden, ist beispielsweise Deutschland noch immer von der notwendigen Impfquote entfernt und es kommt zu zeitlich begrenzten regionalen bis bundesweiten Masernausbrüchen. Als Grund dafür gilt vor allem eine bei den Kindern nicht zu Ende geführte Grundimmunisierung. Um einen ausreichenden Schutz vor der hochansteckenden Viruserkrankung zu erzielen, ist eine zweite Impfstoffdosis unbedingt erforderlich, da fünf bis zehn Prozent der Geimpften durch die erste Dosis nicht ausreichend geschützt werden.

Erst die zweite Impfung verhindert in 98 bis 99 Prozent der Fälle einen Ausbruch der Erkrankung. Aber auch in anderen Ländern kursieren noch Masernviren. So musste der Eradikationsstatus in der amerikanischen WHO-Region, wo die Masern seit 2016 offiziell als ausgerottet galten, wieder aberkannt werden, da erneut lange Infektionsketten in einigen Ländern Südamerikas auftraten.

Masern – hoch ansteckend

Masern zeichnen sich durch eine Erkrankung der oberen Atemwege und typische Hautveränderungen aus. Das Masernvirus, das zu den ansteckendsten Erregern zählt, wird durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Zunächst stellen sich grippale Symptome wie Fieber, Schnupfen sowie Husten ein und die Betroffenen sind sehr lichtempfindlich. Nachdem das Fieber abgeklungen ist, bilden sich auf der Schleimhaut im Mund charakteristische weiße, punktförmige, von einem roten Hof umgebene Flecken (Koplik-Flecken).

Danach tritt erst der typische, leicht erhabene Masernausschlag auf der Haut auf. Er beginnt hinter den Ohren und breitet sich dann unregelmäßig über den ganzen Körper aus. Nach einiger Zeit verlaufen die Flecken ineinander. Diese zweite Phase der Erkrankung wird von hohem Fieber begleitet und ist besonders ansteckend. In der sich anschließenden Erholungsphase, die etwa sechs Wochen anhält, sind bakterielle Sekundärerkrankungen keine Seltenheit, da die Maserninfektion das Immunsystem stark schwächt.

Bei ungefähr jedem fünften Erkrankten treten Infektionen der oberen und unteren Atemwege (z. B. Mittelohrentzündung (Otitis media), Entzündung der Bronchien (Bronchitis), Lungenentzündung (Pneumonie)) als Komplikationen auf. In seltenen Fällen (jeder 500. bis 1000. Patient) kommt es zu einer Gehirnentzündung (Enzephalitis), die mit dauerhaften Hirnschädigungen einhergehen oder einen letalen Ausgang nehmen kann. Eine durchgemachte Maserninfektion hinterlässt eine lebenslange Immunität.

Autismus und SSPE durch Impfung?

Über Nutzen und Risiken der MMR-Impfung wurde in der Vergangenheit intensiv diskutiert. Die Diskussion verlief häufig sehr emotional. Einwände der Impfgegner contra Impfung sind wissenschaftlich nicht haltbar – Argumente der Impfbefürworter und Behörden überzeugen die Eltern jedoch nicht immer ausreichend. So lehnt eine kleine Gruppe die MMR-Impfung für ihre Kinder ab, da sie gravierende Nebenwirkungen der Impfung befürchtet. Vor allem nehmen die Impfgegner an, dass die MMR-Impfung Autismus oder autistische Störungen auslösen könne. Hintergrund für den angeblichen Zusammenhang sind jedoch gefälschte Daten eines englischen Wissenschaftlers aus dem Jahre 1998. Inzwischen gilt es als eindeutig nachgewiesen, dass durch die MMR-Impfung das Risiko, an Autismus oder autistischen Störungen zu erkranken, nicht erhöht ist.

Ebenso hat sich der Verdacht nicht bestätigt, dass Impfviren eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auslösen. Unter der SSPE versteht man eine knötchenförmige Entzündung des gesamten Gehirns, die mit psychischen und intellektuellen Veränderungen beginnt und zu neurologischen Ausfällen und Störungen führt. Diese Spätkomplikation der Masern endet immer tödlich, tritt aber nur sehr selten auf (ein bis fünf Betroffene pro eine Million Erkrankungen).

Gleiches wird mit einer zweimaligen Impfung erreicht, die mit einem Lebendimpfstoff aus abgeschwächten Masernviren durchgeführt wird. Die Impfung gegen Masern erfolgt in einer Kombination mit der Mumps- und Rötelnvakzine (MMR-Impfung), die zudem mit einer Impfung gegen Windpocken (Varizellen, V) kombiniert werden kann (MMR-V). Monovalente Masern-, Mumps- und Röteln-Impfstoffe sind in Deutschland nicht mehr erhältlich. Die erste Impfung erfolgt in der Regel ab einem Alter von elf Monaten.

Die zweite Impfung sollte mit 15 Monaten durchgeführt werden, spätestens aber bis zum zweiten Geburtstag und frühestens nach vier Wochen. Allerdings können Kinder, die vorher in eine Gemeinschaftseinrichtung aufgenommen werden sollen, oder die Kontakt zu Masernkranken hatten, bereits im Alter von neun bis zehn Monaten die erste Impfung erhalten.

Dann sollte die zweite Impfdosis bereits zu Beginn des zweiten Lebensjahres verabreicht sein, da persistierende mütterliche Antikörper im ersten Lebensjahr die Impfviren neutralisieren somit unwirksam machen können. Mütterliche Antikörper sind auch ein Grund dafür, dass die MMR-Impfung nicht regulär vor dem neunten Monat vorgesehen ist.

Mumps – dicke Backe

Mumps, im Volksmund Ziegenpeter genannt, ist ebenfalls hochansteckend. Erreger ist das Mumpsvirus aus der Gruppe der Myxoviren, das meist über Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen wird. Seltener erfolgt der Übertragungsweg über kontaminierte Gegenstände. Die Erkrankung beginnt mit einer einseitigen Schwellung der Speicheldrüsen im Kiefernwinkel, wenige Tage später folgt die zweite Seite.

Die typische „dicke Backe“ ist sehr schmerzhaft und behindert das Kind beim Kauen und Schlucken. Oft haben die Patienten Fieber, das sehr hoch sein kann. Bei jedem fünften Kind ist die Bauchspeicheldrüse befallen, was zu heftigen Bauchschmerzen und zu einem Butterstuhl führt, bei dem sehr viel Fett ausgeschieden wird. Bei vier bis sechs Prozent der Betroffenen entwickelt sich eine Hirnhautentzündung (Meningitis), die sich durch Kopfschmerzen und Nackensteifigkeit bemerkbar macht.

Bei Schulkindern und Erwachsenen können sich auch die Keimdrüsen mit nachfolgender Unfruchtbarkeit entzünden. So kommt es bei etwa jedem dritten erkrankten Jungen nach der Pubertät zu einer Hodenentzündung, die mit Zeugungsunfähigkeit einhergehen kann. Eine überstandene Erkrankung bewirkt eine lebenslange Immunität. Diese wird auch mit der Applikation von zwei Impfdosen in Form einer MMR-Kombinationsimpfung erreicht.

Erzieherin umarmt Gruppe von Kleinkindern.
Enger Körperkontakt macht es Krankheitserregern leicht sich zu verbreiten. Deswegen gilt seit drei Jahren das Masernschutzgesetz. © PeopleImages / iStock / Getty Images

Röteln – Gefahr für das Ungeborene

Die Virus-Erkrankung wird vom Rubeola-Virus ausgelöst und durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Die Infektion beginnt mit einem schmetterlingsförmigen Exanthem im Gesicht, das sich anschließend über den Hals auf den ganzen Rumpf und schließlich auf Arme und Beine ausbreitet. Der Ausschlag verbleibt meist drei Tage lang. Er ist blass-rosa, feinfleckig und im Unterschied zum Masernexanthem nicht zusammenfließend.

Typisch ist eine schmerzhafte Schwellung der Lymphknoten beidseitig im Nacken. Selten fiebert das Kind. Häufig werden die Röteln gar nicht wahrgenommen, da nur etwa die Hälfte der Infektionen mit sichtbaren Krankheitszeichen verläuft. Die Beschwerden werden ausschließlich symptomatisch gemildert, eine ursächliche Therapie existiert nicht. Im Kindesalter treten meist keine Komplikationen auf, wohl aber bei Jugendlichen und Erwachsenen.

Hier sind Otitis media, Bronchitis, geschwollene und schmerzhafte Gelenke und sehr selten eine Enzephalitis oder Entzündung des Herzmuskels (Myokarditis) oder des Herzbeutels (Perikarditis) möglich. Gefürchtet ist vor allem eine Ansteckung während der Schwangerschaft, da das Virus auf das ungeborene Kind übertragen werden kann.

Folge ist eine Fruchtschädigung (Röteln-Embryopathie), die beim ungeborenen Kind schwere Missbildungen auslöst. Um dies zu verhindern, rät die STIKO zu einer zweimaligen Impfung in Kombination mit einer Impfung gegen Masern und Mumps als MMR-Impfung.

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