Leber & Lebererkrankungen
PTA-Fortbildung

Die Leber – Funktion, Bedeutung in der Arzneimittelberatung und Erkrankungen

Die Leber ist bekannt für ihre Entgiftungsfunktion, erfüllt aber noch viele weitere Aufgaben. Im Beratungsalltag kommen Sie durch Lebererkrankungen, aber auch durch den First-Pass-Effekt oder Leberenzyme, die mit Arzneimitteln wechselwirken, mit ihr in Berührung. Ein Überblick über das „stille Organ“.

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Entgiftung des Körpers

Um den Organismus von unbrauchbaren Stoffwechselprodukten oder aufgenommenen Schadstoffen zu befreien, wandelt die Leber diese zunächst biochemisch um. Vor allem bei lipophilen Stoffen würde die Ausscheidung ohne Umwandlung (Metabolisierung/Biotransformation) nur sehr langsam erfolgen. Daher werden die Stoffe enzymatisch gespalten oder mit bestimmten chemischen Gruppen versehen und somit in hydrophile Substanzen umgewandelt, die den Körper besser über seine Ausscheidungsorgane verlassen können.

Leber-Metabolismus: Beispiele

Ein klassisches Beispiel für die Metabolisierung körpereigener Stoffe ist die Harnstoffsynthese, mithilfe derer die Leber giftigen Ammoniak entsorgt, der im Rahmen des Proteinstoffwechsels beim Abbau von Aminosäuren entsteht. Ungiftiger Harnstoff lässt sich anschließend leicht über die Niere aus dem Körper schleusen (renale Ausscheidung). 

Bei der Entgiftung von überschüssigem Hämoglobin, das bei der Zersetzung alter Erythrozyten im Organismus freigesetzt wird, wird sein Abbauprodukt Bilirubin in der Leber mit Glucuronsäure zum wasserlöslichen Bilirubindiglucuronid konjugiert. So wird es über die Galle zum Darm transportiert und mit dem Stuhl ausgeschieden (hepatische oder biliäre Ausscheidung). 

Den Weg über die Galle und damit die Entsorgung mithilfe von Gallenflüssigkeit gehen vor allem große Moleküle (Molekularmasse über 500 Dalton), zu denen auch viele körperfremde Substanzen gehören (z. B. viele Arzneistoffe).

First-Pass-Effekt

Für die Metabolisierung von Arzneistoffen sind verschiedene Enzymsysteme verantwortlich. Neben Transferasen, Esterasen und Reduktasen spielen vor allem die Enzyme des Cytochrom-P-Systems eine bedeutende Rolle. 

Etwa 90 Prozent aller Arzneistoffe werden mithilfe dieses Enzymsystems in der Leber in wasserlösliche Produkte umgewandelt. Allein das Cytochrom-P-450-System (CYP450) metabolisiert fast die Hälfte der Arzneistoffe.

Durch die Metabolisierung während der Leberpassage wird die Substanz teilweise schon abgebaut und ausgeschieden – mal mehr, mal weniger. Dass ein Teil eines Stoffes bei der ersten Leberpassage bereits abgebaut und/oder ausgeschieden wird, nennt man den hepatischen First-Pass-Effekt. 

Die Wirksamkeit eines Arzneimittels hängt entscheidend davon ab, ob und in welchem Umfang es bei dieser ersten Leberpassage verändert wird. Meist wirkt sich der First-Pass-Effekt negativ auf die Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels aus, da nicht mehr der gesamte Wirkstoff zum Wirkort gelangt. Bei einigen Substanzen ist der First-Pass-Effekt so stark ausgeprägt, dass fast gar nichts mehr oder zumindest zu wenig vom Wirkstoff am Wirkort ankommt.

First-Pass-Effekt umgehen: Applikationsort geschickt wählen

Um den First-Pass-Effekt zu umgehen, erfolgt die Applikation dieser Arzneimittel nicht peroral. Vielmehr werden sie direkt durch intravenöse Injektion (z. B. Lidocain), über eine transdermale Gabe mit Pflastern (z. B. Estradiol) oder über die Mundschleimhaut mit einer Sublingualtablette (z. B. Buprenorphin) in den Blutkreislauf gebracht.

Prodrugs einsetzen

Es gibt aber auch Arzneistoffe, die erst durch die Leberpassage ihre Wirksamkeit erhalten. Diese werden als Prodrug, also Vorstufe des eigentlichen Wirkstoffs, bezeichnet. Sie werden als (weitgehend) inaktive Form verabreicht und in der Leber durch Verstoffwechslung aktiviert (Bioaktivierung). 

So wird beispielsweise Prednison erst in der Leber zum aktiven Metaboliten Prednisolon metabolisiert. Und Codein entfaltet seine analgetische Wirkung erst durch Demethylierung zum Morphin. Das säureinstabile Erythromycin wird als Erythromycin-Ethinylsuccinat gegeben, damit es den Magen unbeschadet passiert. Zudem weist es in Form seines Esters als positiven Nebeneffekt einen deutlich besseren Geschmack auf.

Entgiftungskapazität der Leber hat Grenzen

Die Metabolisierungskapazität der Enzyme ist aber begrenzt. Werden beispielsweise mehrere Arzneimittel, die durch das gleiche Enzym abgebaut werden, gleichzeitig eingenommen, dann schafft es das Enzym unter Umständen nicht mehr, in der zur Verfügung stehenden Zeit alle Stoffe ausreichend zu metabolisieren. Die Entgiftungskapazität der Leber wird überschritten und Arzneistoffe verlangsamt abgebaut. Erhöhte Wirkstoffspiegel im Blut, die mit einer Wirkungsverstärkung einhergehen, sind die Folge. 

Es kann aber auch sein, dass die Leber überfordert ist, wenn nur eine Substanz in sehr hoher Dosis zum Entgiftungsorgan strömt. Dann ist der übliche Metabolisierungsweg bei großen Substanzmengen erschöpft und es setzen alternative Abbauprozesse mit der Produktion toxischer Metabolite ein (Biotoxifizierung). 

Berühmtes Beispiel ist die hepatotoxische Wirkung bei Überdosierung von Paracetamol. Giftige Zwischenprodukte, die die Leber normalerweise bei kleinen Wirkstoffmengen im Rahmen der Metabolisierung entgiftet, akkumulieren und reagieren mit den Leberzellen, was ein akutes Leberversagen zur Folge haben kann.

In anderen Fällen sind wichtige Metabolisierungsenzyme aufgrund einer genetischen Disposition nicht vorhanden. Alkohol wird beispielsweise in zwei Schritten von zwei Leberenzymen abgebaut und unschädlich gemacht. So wandelt zuerst die Alkoholdehydrogenase den Alkohol in Acetaldehyd, ein Zellgift, um. Danach folgt die Aldehyddehydrogenase, die das giftige Abbauprodukt zu Acetat (Essigsäure) entgiftet. Da vielen Asiaten aber das zweite Enzym fehlt, reichert sich das toxische Zwischenprodukt an und löst Übelkeit und starke Kopfschmerzen aus.

Buchvorstellung

„Das Leber-Buch“ richtet sich eigentlich an Laien. Der Ratgeber ermöglicht aber auch dem Fachpersonal aus der Apotheke einen guten Einstieg in das Thema. Die verschiedenen Funktionen der Leber, ihre Erkrankungen sowie mögliche Diagnose- und Therapieoptionen werden gut verständlich erläutert.

Das Leber-Buch. Wie halte ich meine Leber gesund? Neue Therapien und Stand der Forschung. Die Leber von A bis Z
Humboldt Verlag, 200 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8426-3043-7

Dosierung von Arzneistoffen bei Lebererkrankungen

Lebererkrankungen erfordern häufig eine Dosisanpassung von Arzneimitteln. Da die Berechnung der adäquaten Dosis in der Praxis nicht immer einfach ist, sollten bestimmte Substanzen möglichst gemieden werden. Dazu zählen vor allem Substanzen, deren Metabolisierung überwiegend über die Leber erfolgt. 

In einer geschädigten Leber werden hepatisch metabolisierte Arzneistoffe langsamer eliminiert, da entweder die Kapazität der metabolisierenden Enzyme oder der hepatische Blutfluss vermindert ist. Dadurch wird die Bioverfügbarkeit dieser Substanzen erhöht und das Risiko für Nebenwirkungen steigt. 

Relevant ist dies vor allem bei Arzneistoffen, von denen mindestens 60 Prozent während der ersten Leberpassage eliminiert werden. Diese werden als Arzneistoffe mit hoher hepatischer Extraktionsrate (High extraction drugs) bezeichnet.

Ebenso sind lebertoxische (hepatotoxische) Substanzen bei Funktionseinschränkungen der Leber ein Problem, da Patienten mit vorgeschädigter Leber besonders gefährdet sind, (zusätzlich) einen Arzneimittel-bedingten Leberschaden zu erleiden. Zudem ist bei hepatotoxischen Substanzen das Interaktionspotenzial hoch. Eine praktische Hilfe bei der Suche nach Informationen, in welchem Ausmaß eine Substanz leberschädigende Eigenschaften aufweist, bietet die englischsprachige Datenbank „LiverTox“, die online abgerufen werden kann.

Tabelle High extraction drugs
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