Neurotransmitter
PTA-Fortbildung

Das Gehirn und seine Transmitter

Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin steuern hochkomplexe Vorgänge im Körper. Organfunktionen, Gedächtnisleistung, Motorik und vieles mehr hängen von den Neurotransmittern ab, die allesamt dem Gehirn als Steuerzentrale unterliegen. Haben Sie den Durchblick?

17 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. Oktober 2023

Acetylcholin – im Parasympathikus denzu finden

Die Funktionen des vegetativen Nervensystems werden im Wesentlichen durch den Neurotransmitter Acetylcholin gesteuert. Während der Sympathikus die Funktionen unter körperlicher Aktivität reguliert, ist der Parasympathikus für die Regenerationsvorgänge im Körper verantwortlich.

Sympathikus – Aktivität
Parasympathikus – Regeneration

Die Aktivierung des Parasympathikus hat Einfluss auf zahlreiche Organe:

  • Die Herzfrequenz wird gesenkt,
  • gastrointestinale Funktionen werden gesteigert,
  • Atemvorgänge werden gedrosselt,
  • die Blasenmuskulatur kontrahiert,
  • die Sekretion von Speichel, Magensaft und Schweiß angeregt
  • und die Pupillen verengt.

Die parasympathische Erregungsweiterleitung startet im zentralen Nervensystem über Neurone, die zum präganglionären Neuron führen und dort mittels Acetylcholin auf das sogenannte postganglionäre Neuron weitergeschaltet werden. Der elektrische Impuls bewirkt dann in den Nervenendigungen die Ausschüttung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt. Zielstrukturen für den Botenstoff sind Muscarin- und Nicotinrezeptoren (m-Cholinorezeptoren), die sich an den glatten Muskelzellen oder Drüsen befinden.

Durch Besetzen dieser Rezeptoren werden die typischen parasympathischen Wirkungen ausgelöst. Anschließend wird Acetylcholin über das Enzym Acetylcholinesterase in Cholin und Essigsäure abgebaut. Das Cholin wird über einen aktiven Transport wieder zurück in die Nervenzelle aufgenommen. Hier wird es erneut in Acetylcholin umgewandelt und in den Vesikeln für den nächsten Nervenimpuls gespeichert.

Muscarinerge Acetylcholin-Rezeptoren

Es gibt fünf Acetylcholin-Rezeptor-Subtypen, die mit M1 bis M5 bezeichnet werden. Sie befinden sich im peripheren Nervensystem im Gewebe des Herzens, auf glatten Muskelzellen oder Drüsenzellen sowie in diversen Regionen im Gehirn. Dort sind M1- und M3-Rezeptoren besonders wichtig für kognitive Prozesse. So liegt bei der Alzheimer-Erkrankung ein Mangel an Acetylcholin vor. Es kommt nach und nach zum Untergang von Nervenzellen im Gehirn, die Plastizität nimmt ab und wichtige Abläufe des Erinnerns, Lernens und Umsetzen von zielgerichteten Verhaltensmustern werden fortschreitend beeinträchtigt.

Typische Alzheimermedikamente wie Donepezil oder Rivastigmin hemmen den Abbau von Acetylcholin durch Blockade der Acetylcholinesterase. Sie sind angezeigt bei leichter bis mittelschwerer Alzheimersymptomatik. Bei Patienten, die sich bereits in einem schweren Stadium befinden, können die Medikamente nicht mehr viel bewirken. Mit der Therapie in frühen Stadien lässt sich die Krankheit zwar nicht heilen, aber zumindest die Progression in gewissem Maße verzögern.

Der M2-Rezeptor spielt eine wichtige Rolle im Kontext von Verhaltensanpassungen, der Funktion des Arbeitsgedächtnisses und der neuronalen Plastizität. Der M5-Rezeptor ist vor allem in der Substantia nigra des Gehirns und im dopaminergen Belohnungssystem lokalisiert.

Arzneistoffe, die am Parasympathikus wirken 

Acetylcholin selbst wird nicht als Wirkstoff eingesetzt, weil es sehr rasch abgebaut wird. Zum Einsatz kommen jedoch Acetylcholin-Agonisten, die wie Acetylcholin die Muscarin-Rezeptoren erregen zum Beispiel Pilocarpin, das in der Glaukomtherapie verwendet wird, oder Metacholin, das zur Diagnosestellung von Asthma bronchiale gebraucht wird.

Therapiebeispiel Anticholinergika

Patienten mit einer Dranginkontinenz verspüren bereits bei geringer Blasenfüllung einen übermäßigen Harndrang, die Blasenmuskulatur kontrahiert sich und die Entleerung findet sofort statt. Diese Form der Inkontinenz ist besonders bei alten Menschen zu finden. Die übermäßige Aktivität der Blasenmuskulatur liegt unter anderem an einer erhöhten Empfindlichkeit von Muskarinrezeptoren. Anticholinergika sind die Mittel der Wahl. Sie blockieren die Muskarinrezeptoren, senken die Miktionsfrequenz und steigern das Urinvolumen bei der Entleerung.

Therapielimitierend sind die anticholinergen Nebenwirkungen, wie Mundtrockenheit, Obstipation, Unruhe und Tachykardien. Diese Effekte empfinden viele Patienten als belastend und setzen die Medikamente ab.

Einige neuere Wirkstoffe zum Beispiel Solifenacin und Darifenacin blockieren selektiv M3-Rezeptoren und wirken deshalb spezifisch auf die glatte Muskulatur im Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt. Die sonstigen anticholinergen Nebenwirkungen sind dabei geringer ausgeprägt.

Achtung bei Patienten mit Polymedikation und Multimorbidität: Für Menschen mit Engwinkelglaukom, Leber-, Nierenfunktionsstörungen, Miktionsstörungen und Myasthenia gravis sind Anticholinergika kontraindiziert. Werden außerdem mehrere Arzneimittel mit anticholinergen Wirkungen gegeben, kann die anticholinerge Last zu hoch sein und ältere Personen können mit Kognitionseinschränkungen bis hin zum Delir reagieren. 

Anticholinerge Last ermitteln

Je mehr Arzneistoffe mit anticholinergen Effekten eingenommen werden, desto höher ist das Risiko für Nebenwirkungen. Deshalb helfen Berechnungssysteme, die anticholinerge Last (ACB, anticholinergic burden) abzuschätzen. In Tabellen sind Wirkstoffe bezüglich ihres anticholinergen Profils eingestuft. So wird ein Score aus der Gesamtmedikation erstellt, der bei der Bewertung des Risikos unterstützt.
Beispiele für Tools zur Berechnung sind der ACB Calculator oder Anticholinergic Scales.

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