© bowie15 / iStock / Getty Images Plus
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Kolumne | Holger Schulze

VERGESST DIE DROGEN!

Sucht hat viel damit zu tun, wie sich das Gehirn an den Konsum erinnert. Dieses Suchtgedächtnis zu stören könnte der Schlüssel zu einer neuen Therapie sein.

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Kennen Sie das auch? Berichte über Süchtige, die bestimmte Drogen immer wieder konsumieren müssen, obwohl sie genau wissen, dass diese sie umbringen werden, wenn es nicht gelingt, die Teufelsspirale aus sich ständig steigerndem Konsum und Verlangen zu durchbrechen? Für Menschen, die Sucht nie erlebt haben, ist dieses Verhalten Drogenabhängiger oft schwer nachzuvollziehen. Hier hilft ein Blick auf die Physiologie des „Drogengedächtnisses“.

Wie andere Formen von Gedächtnis auch werden die Erinnerungen an den Drogenkonsum und die damit verbundenen Umstände und Gefühle durch Veränderungen an synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen gespeichert. An Ratten konnte kürzlich gezeigt werden, dass Kokainkonsum dazu führt, dass bei einem bestimmten Neuronentyp im Nucleus accumbens, welcher eine zentrale Rolle für das interne Belohnungssystem des Gehirns und die Suchtentstehung spielt, Synapsen entstehen, die spezifisch für die Erinnerungen an den Kokainkonsum zu sein scheinen.

»Das Sucht­gedächtnis kann gestört werden!«

Diese Synapsen weisen verschiedene Typen von Rezeptoren für den Botenstoff Glutamat auf, sogenannte NMDA- und AMPA-Rezeptoren, wobei zunächst nur die NMDA- aber noch keine AMPA-Rezeptoren angelegt sind. Nach der Entstehung der Synapsen durch Kokainkonsum, den die Ratten in dem Experiment selbst initiieren konnten, reifen diese Synapsen mit der Zeit durch Einbau von AMPA-Rezeptoren, wodurch sie gestärkt werden und so das Drogengedächtnis festigen und das Suchtverhalten steigern: Die Ratten versuchen, wieder an Kokain zu kommen, weil die Erinnerung an den Konsum mit der Aktivierung des Belohnungssystems verknüpft und damit für die Ratte außerordentlich positiv belegt ist.

Nun ist Gedächtnis, anders als Daten auf einer Festplatte, aber nicht statisch, sondern dynamisch und kann sich neuen Erkenntnissen anpassen. Damit dies möglich ist, müssen sich einmal geknüpfte sy­naptische Verbindungen auch wieder verändern lassen, was dadurch erreicht wird, dass sie von einem stabilen in einen instabilen Zustand wechseln können, und zwar immer dann, wenn die ursprüngliche Erinnerung abgerufen, die Synapsen also reaktiviert werden.

Sie sind dann für eine kurze Zeit wieder plastisch, können sich also an mögliche Veränderungen anpassen, bevor sie sich wieder stabilisieren. Beim beschriebenen Kokaingedächtnis geschieht dies dadurch, dass bei einem neuerlichen Drogenkonsum die AMPA-Rezeptoren wieder aus den Synapsen verschwinden, erst nach sechs Stunden wieder eingebaut werden und das Kokaingedächtnis so erneut stabilisieren.

In den sechs Stunden aber ist der Prozess prinzipiell störbar und bietet so möglicherweise ein therapeutisches Fenster, um das Drogengedächtnis zu schwächen und so das Suchtverlan­gen zu reduzieren – man müsste dazu lediglich den Einbau der AMPA-Rezeptoren in die Synapsen verhindern! Im Gegensatz zu anderen Interventionen, etwa der unspezifischen und daher nebenwirkungsreichen Unterdrückung der Proteinbiosynthese, ein klar definiertes Ziel für die Pharmakologen, finden Sie nicht auch?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 auf Seite 12.

Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.

www.schulze-holger.de

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