Mutter und kranke Tochter stehen am Fenster© KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus
50 000 Kinder und junge Menschen in Deutschland haben nach Angaben des Deutschen Kinderhospizvereins (DKHV) eine Erkrankung, an der sie frühzeitig sterben werden.

Tag des Kinderhospizes

EIN ORT DES STERBENS - UND DES LEBENS

Eltern mit schwerstkranken Kindern brauchen im Alltag ein Übermaß an Kraft. Im Kinderhospiz des Johanniter-Kinderhauses «Pusteblume» in Burg bekommen sie Hilfe.

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Kilian hört aufmerksam Musik von Bach und ein Lächeln huscht über sein Gesicht - die Töne scheinen zu ihm durchzudringen. Sein Vater spielt auf dem Klavier, das vor dem Kinderhospiz-Bereich steht und ist glücklich über diesen Moment. Denn die Reaktion seines Sohnes ist alles andere als selbstverständlich. Seit Jahren bewegt sich der Alltag von Peter Wenzel und seiner Frau Romy Richter aus Chemnitz zwischen Sorge, schönen Momenten und großer Erschöpfung. Der 13-jährige Kilian hat eine seltene Stoffwechselerkrankung mit einer besonders aggressiven Form der Epilepsie. 2009 als vermeintlich gesundes Kind zur Welt gekommen, stellten die Ärzte bald fest: Kilian hat eine Schwerstbehinderung. Seitdem ist das Leben der Eltern, beide Berufsmusiker, ein anderes. "Man bekommt immer zum ersten Mal so ein Kind und muss alles selber herausfinden", sagt Romy Richter.

Dazu gehört für das Paar auch zu wissen, wann die Kräfte schwinden und eine Auszeit nötig ist. An diesem Wintertag hat die Familie Urlaub, denn für Kilian gibt es im stationären Kinderhospiz in Burg einen Platz zur Kurzzeitbetreuung. Das bedeutet für das Paar: sechs Tage mal keine durchwachte Nacht, mal Zweisamkeit und bei Bedarf Austausch mit anderen Familien über den so besonderen Alltag.
 

19 stationäre und 170 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste deutschlandweit

50 000 Kinder und junge Menschen in Deutschland haben nach Angaben des Deutschen Kinderhospizvereins (DKHV) eine Erkrankung, an der sie frühzeitig sterben werden. Bundesweit gibt es etwa 19 stationäre und 170 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste - das stationäre Kinderhospiz in Burg, dass 2022 eröffnet wurde, ist das einzige in Brandenburg. 

Die Sonne taucht die modern gestalteten Räume mit den großen Fenstern in warmes Licht. Eine Sitzecke in einer Bibliothek mit gespendeten Büchern bietet Ruhe. Vom großen Wohnzimmer mit Küche gelangt man auf die Terrasse in einen Garten mit Spielplatz, vorbei an Plüschteddys, Holzeisenbahn und Entspannungsraum mit Klangbett für die kleinen Patienten. Den Kamin an der Wand hat eine örtliche Firma gespendet. Es ist still - nur ein medizinisches Gerät piepst ab und an.
 

Eltern-Café für betroffene Paare

Für Andreas Berger-Winkler vom Träger Johanniter soll alles so wenig wie möglich an ein Krankenhaus erinnern. Der Südbrandenburger Regionalvorstand führt durch das Kinderhaus, das zwölf Plätze im Kinder- und Jugendhospiz hat und eine integrierte Wohngruppe, in der acht Kinder mit schweren Erkrankungen intensiv betreut werden. Diese Kombination sei in Deutschland einmalig, erzählt der 51-Jährige und räumt gleichzeitig mit einem falschen Bild auf. "Familien kommen nicht nur zum Sterben her." Das Haus berge Tod und Leben gleichermaßen. "Manchmal ist so viel Krawall hier, dass man sich 'ne ruhige Ecke suchen muss."

Ruhig ist es im Raum der Stille. Dort verabschieden sich Familien von ihren verstorbenen Kindern. "Wir haben auch schöne Momente des Abschieds", beschreibt Berger-Winkler. Das sei auch möglich, weil die Eltern von den Fachkräften in einem langen Prozess darauf vorbereitet würden. So bemalten Pflegekräfte und Eltern den Sarg, Kerzen werden zur Erinnerung angezündet.  

Der Tod mit seiner Endgültigkeit sei für Eltern meist eine Erlösung, der Weg dahin mit Hoffen und Bangen kräftezehrend und schwierig, hat Pflegedienstleiter Lutz Metzner beobachtet. Das Hospiz unterstütze Familien auch über den Tod ihrer Kinder hinaus. In einem neuen Eltern-Café etwa können sich betroffene Paare treffen.

Jährlicher Anspruch sind 28 Tage

Kinderhospize gab es anderswo schon länger, erzählt Andreas Berger-Winkler. Brandenburger Familien wie Juliane und Christian Paulick aus Jethe (Spree-Neiße) mussten für einen Hospizplatz für sich und ihre schwerstkranke Tochter Soé durch ganz Deutschland fahren, beispielsweise nach Wuppertal in Nordrhein-Westfalen. Soé wurde mit einem seltenen Gen-Defekt geboren und gilt als schwerst mehrfachbehindert. Seit ihrem ersten Lebenstag hatte sie schwere epileptische Anfälle, die auch lebensbedrohlich waren. Christian Paulick war jahrelang auf Montage, Juliane Paulick mit zwei Kindern teilweise arbeiten - sie kam an ihre Grenzen, wie die Studentin erzählt.

Nun können die Paulicks die Zehnjährige Soé in der Nähe betreuen lassen und mit ihrer gesunden siebenjährigen Tochter Alma auch mal allein Ausflüge unternehmen. Familien wie die von Soé und Kilian, die die Diagnose erhalten, dass ihr Kind lebensverkürzt erkrankt ist, haben nach Johanniter-Angaben pro Jahr Anspruch auf 28 Tage im Kinderhospiz.

Kraft braucht die 34-jährige Mutter auch für den "Kampf mit den Ämtern" - für ein Bett, für einen Reha-Buggy, meist gehe nichts ohne Widerspruch und Klage, sagt sie. Ähnliches berichten Kilians Eltern. Der 13-Jährige, dem eine Lebenserwartung von vier Jahren prognostiziert wurde und der inzwischen Sitzen gelernt hat, trägt ein Orthese zur Unterstützung des Bewegungsapparates. Anträge auf Hilfen werden für die Eltern zur Kraftprobe mit den Krankenkassen.
 

Fehlende qualifizierte Fachkräfte

Auch der Aufenthalt im Kinderhospiz ist von den Kassen nicht komplett finanziert. Sie tragen 95 Prozent der anerkannten Kosten, erläutert Berger-Winkler. Wenn die Eltern bei ihren Kindern bleiben wollen, wird das nicht übernommen, kann aber aus Spenden finanziert werden, wenn sie das Geld nicht selber aufbringen können. Das ist nicht der einzige Punkt, bei dem er häufig ins Grübeln kommt. Es fehlen Fachkräfte: Nur bis zu sechs der zwölf Hospizplätze sind belegt. 

Fehlende qualifizierte Fachkräfte in diesem Bereich seien bundesweit ein gravierendes Problem, um alle Betten betreiben zu können, bestätigt DKHV-Geschäftsführer Marcel Globisch. Das Versorgungsnetz sei deutschlandweit eigentlich gut ausgebaut, auch, weil die Einrichtungen überregional arbeiteten, sich auch vernetzten. 

Kilian macht sich inzwischen durch Laute bemerkbar. Er will zu den anderen Kindern, wie die Mutter deutet. Schwierig sei gewesen, dass es keine Diagnose der Ärzte gab, dafür aber die Bemerkung der Mediziner: "80 Prozent der Paare schaffen das nicht." Darüber ist Mutter Romy heute noch wütend. "Die Reise darf hingehen, wo sie hingeht", formuliert die 49-Jährige für Kilian.

Quelle: dpa

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