Wenn zelluläre Reinigungsprozesse im Gehirn nicht mehr gut funktionieren, beginnen altersbedingte Gedächtnisstörungen. Berliner Forscher fanden ein Polyamin, das uns länger fit hält. © yodiyim / iStock / Getty Images Plus

Autophagie | Gehirn

SPERMIDIN BRINGT DAS GEDÄCHTNIS VON FRUCHTFLIEGEN AUF ZACK

Was für den Computer ein Update, ist für das menschliche Gehirn die Autophagie – ein zellulärer Reinigungsprozess, der Unwichtiges von Wichtigem trennt und Erinnerungen abspeichert. Damit dieser Prozess auch funktioniert, wenn wir älter werden, ist ein bestimmter Stoff notwendig.

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Alternde Menschen können laut einer Studie der Freien Universität Berlin zufolge nur dann neue Erinnerungen bilden, wenn ein zelluläres Reinigungsprogramm im Gehirn funktionstüchtig bleibt. Die Autophagie hält, salopp formuliert, die Neuronen sauber. So wird ein Mensch nicht nur in die Lage versetzt, Erinnerungen zu speichern, sondern diese auch sogar noch viele Jahre später wieder abzurufen. Mit zunehmenden Alter entwickeln viele Menschen jedoch Schwierigkeiten, neue Erinnerungen zu bilden; dies wird als altersbedingte Gedächtnisstörung bezeichnet. Um Licht ins Dunkel der Forschung an Neuronen zu bringen, ist ein umfassendes Verständnis dieses komplexen Prozesses vonnöten.

Prof. Dr. Stephan Sigrist und sein Team von der Freien Universität fand das zusammen mit dem Excellenzcluster NeuroCure an der Charité heraus; beide veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie unlängst in der neuesten Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications. Grundlage des Erinnerns sind strukturelle und funktionelle Veränderungen an Neuron-zu-Neuron-Verbindungen (Synapsen), synaptische Plastizität genannt. Bei der synaptischen Signalübertragung stehen die Präsynapsen den Postsynapsen gegenüber, wobei letztere die freigesetzten chemischen Signale erkennen und weiterleiten. Forschungen an Drosophila melanogaster, der Fruchtfliege, ergaben: Je größer die vorgeschalteten präsynaptischen Strukturen, desto schlechter die (altersbedingte) Gedächtnisleistung. Ja, mit einer künstlich herbeigeführten Vergrößerung dieser Neuro-Strukturen sahen selbst junge Fruchtfliegen vor der Zeit alt aus: Sie konnten sich nicht mehr viel merken; ihr Erinnerungsvermögen baute stark ab. Die Forscher vermuteten, dass die vergrößerten Synapsen die Fähigkeit erschwerten, plastische Veränderungen einzugehen - damit werden Lernprozesse ineffektiv bis ineffizient.

Ein Mittel, diesen altersbedingten Gedächtnisstörungen entgegenzuwirken, ist den Ergebnissen zufolge das körpereigene Kleinmolekül Spermidin, dessen Konzentration im Körper mit zunehmendem Alter abnimmt. Wenn man die Fliegen mit Spermidin fütterte, beeinflusste das die Größe der präsynaptischen Strukturen und stabilisierte die Gedächtnisleistungen der Fliege auf dem Niveau jugendlicher Tiere. Das Polyamin führt zur Belebung des zellulären Reinigungsprogrammes Autophagie – nachgewiesen werden konnte ebenfalls, dass die Verabreichung von Spermidin auch ältere Menschen vor Demenz schützen kann.

Wie Professor Sigrist und seine Helfer weiterhin herausfanden, ist die Fähigkeit von Drosophila zur Erinnerung abhängig davon, wie gut das Reinigungsprogramm in einem spezifischen Lern- und Gedächtniszentrum in ihrem Gehirn funktioniert. „Eine genetische Blockade der Autophagie in diesem Lern- und Gedächtniszentrum verursachte eine frühzeitige Gedächtnisstörung, die junge Tiere bereits „alt“ aussehen lässt“, erläuterte der Biologe. Überraschenderweise führte die Blockade im gesamten Gehirn zu einer Zunahme dieser präsynaptischen Strukturen, die denen älterer Tiere ähnelten. Normalerweise unterdrücken nämlich bestimmte Neuropeptide die synaptische Alterung im Gehirn. Wird die autophagische Reinigung in den Lernzenten allerdings ineffizient, werden auch weniger dieser Neuropeptide freigesetzt, und die Synapsen altern im gesamten Gehirn. Diese Neuropeptide werden also in der Zukunft als mögliche Anti-Aging-Faktoren für Menschen hoch gehandelt.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft 

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