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Kolumne | Holger Schulze

RÜCKENSCHMERZEN – CHRONISCH ODER AKUT?

Vier Fünftel der Bevölkerung leiden zumindest zeitweise unter Rückenschmerzen. Oft werden die Schmerzen chronisch. Was zeichnet chronische Schmerzen aus?

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Kennen Sie das auch? Quälende Rückenschmerzen? Falls ja, so sind Sie in guter Gesellschaft: Rund 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erleben zumindest einmal im Leben Rückenschmerzen, die meisten davon auch häufiger. Fragt man nach, wer akut betroffen ist, so ist dies immerhin noch ein Drittel bis die Hälfte der Menschen. Und rund 15 Prozent sind so stark betroffen, dass sie unter schweren oder stark behindernden Schmerzen leiden. Dramatisch für die Betroffenen wird das Ganze, wenn aus zunächst akuten Schmerzen chronische werden, die dann den Alltag massiv beeinträchtigen können, bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Dabei treten chronische Rückenschmerzen bei Frauen häufiger auf als bei Männern, und der Anteil der Patienten steigt mit dem Alter, von etwa 20 Prozent bei jungen Frauen auf fast 50 Prozent bei über 70-Jährigen; bei Männern liegen die Anteile rund 10 Prozent darunter.

Das Gehirn verarbeitet chronische Schmerzen anders als akute.

Da Rückenschmerz also ein erhebliches gesellschaftliches Problem darstellt, das allein in Deutschland jährliche Gesundheitskosten von 12,6 Milliarden Euro (2008) verursacht, von denen der überwiegende Teil auf chronischen Rückenschmerz entfällt, sollte alles unternommen werden, um eine chronische Manifestierung zu vermeiden. Was aber unterscheidet einen akuten Rückenschmerz von einem chronischen?

Grundsätzlich spricht man von einem chronischen Rückenschmerz, je nach Literaturstelle, wenn die Beschwerden länger als drei Monate bis ein Jahr anhalten. Was sich in dieser Zeit verändert, ist insbesondere die Art und Weise, wie unser Gehirn auf den Schmerz reagiert beziehungsweise diesen verarbeitet: Während bei akutem Rückenschmerz im wesentlichen diejenigen Hirnareale aktiviert werden, die den Schmerz an sich verarbeiten (Thalamus, Striatum, Inselkortex, Gyrus cinguli, orbitofrontaler Kortex), sind es bei chronischem Schmerz vorwiegend Bereiche, die auf emotionale Zustände spezialisiert sind, hier besonders der mediale präfrontale Cortex und die Amygdala. Während bei der akuten Schmerzphase also offenbar noch die potenziell gewebsschädigende Warnfunktion des Schmerzes im Vordergrund steht, vollzieht sich mit der Zeit ein Wechsel hin zu einer mehr selbstreflektorischen, emotionalen Bewertung des Schmerzzustandes: Das Gehirn hat aus Erfahrungen gelernt, dass der Schmerz nun ein Teil der eigenen Person geworden ist, wobei dieser mit Angst, Ärger oder auch Traurigkeit assoziiert sein kann. Dem Zustand wird nun eine innere Bedeutung (in Form einer emotionalen Bewertung) anstatt einer äußeren (Warnung vor Gefahr) beigemessen.

Dieser Wechsel in der Bewertung und Verarbeitung des Schmerzes durch das Gehirn vollzieht sich innerhalb des ersten Jahres nach Einsetzen der Beschwerden und passt somit zu der klinischen Definition von chronischem Schmerz. Dies scheint somit auch die kritische Periode zu sein, in der eine Behandlung einsetzen sollte, um die chronische Manifestierung des Schmerzes noch zu verhindern. Zeit, die es zu nutzen gilt, finden Sie nicht auch?

ZUR PERSON

Prof. Dr. Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches MItglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.

www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/17 ab Seite 12.

Prof. Dr. Holger Schulze

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