Ein Tumor umgeben von lauter Blutgefäßen© peterschreiber.media / iStock / Getty Images Plus
Will der Tumor weiter wachsen, muss er sich ein komplexes Versorgungssystem aufbauen.

Rätsel entschlüsselt

SO KÖNNTE MAN DAS METASTASENWACHSTUM VERHINDERN

Gerade bei Brustkrebs und schwarzem Hautkrebs ist das Phänomen bekannt wie gefürchtet: Wurde der Primärtumor operativ entfernt, können plötzlich lebensbedrohliche Metastasen auftreten. Welche Rolle der Primärtumor selbst dabei spielt, haben Forschende nun erkannt.

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Hat sich ein Tumor etabliert, möchte er wachsen. Das Ganze beinhaltet mehr als Zellteilung: Der Tumor muss sich Platz schaffen, ein Versorgungsnetzwerk aufbauen und sich in seiner Umgebung durchsetzen. Dafür schüttet er verschiedene Botenstoffe aus.

Und Makrometastasen kann er dann nicht gebrauchen, daher wird ein Botenstoff, der das Wachstum des Primärtumors fördert, in der Peripherie in Fragmente gespalten, von denen eines anscheinend das Wachstum von Metastasen unterdrückt. So die Entdeckung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.

Prinzip der begleitenden Resistenz

Auch wenn es noch nicht entschlüsselt war, so war das Phänomen der „concomittant tumor resistance“ (begleitenden Resistenz) bereits bekannt: Der Primärtumor kann das Wachstum von Makrometastasen unterdrücken. Das Immunsystem solle hierbei eine Rolle spielen, aber auch angiogene Faktoren, die für die Bildung versorgender Blutgefäße für den Tumor zuständig sind. So produziere der Tumor nicht nur Faktoren, die das Wachstum förderten, sondern auch solche, die das Ausbilden neuer Blutgefäße unterdrücke.

Metastasen und Makrometastasen
Wachsen Metastasen auf eine Größe von über einem Millimeter heran, benötigen sie eine eigene Blutversorgung. Bilden sich diese aus und wachsen die Tochterzellen somit weiter, spricht man von Makrometastasen.

Hier lag der Ansatzpunkt des Teams um Hellmut Augustin und Moritz Felcht. Der Botenstoff Angiopoietin-like 4 (ANGPLT4) interessierte sie hierbei besonders. „Wir sind auf ANGPLT4 aufmerksam geworden, weil zu diesem Faktor viele widersprüchliche Veröffentlichungen vorliegen", so Augustin. „Während ANGPLT4 zunächst als fördernd für die Gefäßneubildung und damit auch als krebsfördernd beschrieben wurde, konnten andere Untersuchungen das genaue Gegenteil nachweisen und zeigen, dass ANGPLT4 die Entstehung von Metastasen hemmt."

Starke Kontrolle durch ANGPLT4

Tatsächlich stellte sich ANGPLT4 nach zahlreichen Versuchen an Mensch und Maus als heißer Kandidat für weitere Forschungen heraus. Denn der Tumor bildet ANGPLT4 in seinen Zellen und fördert so sein Wachstum. Doch wird der Botenstoff in die Blutbahn abgegeben, wird er gespalten: in sein n-Fragment nANGPLT4 und sein c-Fragment cANGPLT4.

Das n-Fragment bindet nun im Gegensatz zum kompletten Botenstoffmolekül oder dem c-Fragment an einen ganz anderen Rezeptor. Und diese Bindung hemmt die Bildung neuer Blutgefäße und damit die Bildung von Makrometastasen. Das Ganze blieb keine reine Beobachtung. Im Tierversuch bildeten mit n-Fragment behandelte Mäuse weniger Metastasen und überlebten daraufhin länger.

Neues Medikament in Sicht?

„Natürlich bleibt die chirurgische Entfernung der Primärtumoren der Goldstandard bei der Behandlung der meisten Krebsarten", sagt Moritz Felcht. „Aber wir verstehen jetzt, dass damit gleichzeitig die Quelle für das Metastasen-unterdrückende n-Fragment versiegt. Fehlt nANGPLT4, so können einzelne schlafende metastasierte Tumorzellen aktiv werden und zur gefährlichen Makrometastase auswachsen", sagt Moritz Felcht. „Durch die Spaltung des Proteins im Körper und die daraus resultierenden gegensätzlichen Funktionen bei der Metastasierung von Tumoren können wir jetzt die widersprüchlichen Ergebnisse vorheriger Studien erklären".

„Von Medikamenten, die das Auswachsen von Metastasen wirksam unterdrücken, könnten viele Krebspatientinnen und -patienten profitieren. Einige solcher Wirkstoffe sind jedoch in klinischen Studien bereits gescheitert. Doch angesichts des enormen Gewinns, den ein solches Medikament für die Betroffenen bedeuten könnte, lohnt es sich, ANGPLT4 weiter präklinisch und danach klinisch zu erforschen", ergänzt Hellmut Augustin.

Quelle:
Deutsches Krebsforschungszentrum
Journal of Experimental Medicine 2022, DOI: https://doi.org/10.1084/jem.20202595 

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