© Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

MORD NACH REZEPT – TEIL 4

Seite 1/1 8 Minuten

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Frank Eidenmöller, der Kommissar, war in der Bärenbach-Apotheke erschienen und hörte sich sehr genau an, was Britta zu sagen hatte. Ihre lange Rede bestand im Wesentlichen daraus, dass Renate-Sophie, genannt Gigi, den Mord unmöglich begangen haben konnte. Gefolgt von der schlüssigen Kombination, wer es unbedingt getan haben musste. Als Britta geendet hatte, ließ er sich nachdenklich im Besuchersessel nieder, sagte gar nichts und dachte nach. Schließlich machte er den Mund auf. „Das hab ich nicht gewusst. Dazu braucht man einfach medizinische Kenntnisse. Gut, dass Ihre PTA sich an das Rezept erinnert hat.“ Britta neigte bescheiden ihr Haupt. Sie wusste längst, dass ihre PTA die Beste war. „Doch wie immer auch die Beweiskette sein mag, sie ist ein bisschen schwach“, führte der Kommissar fort. Und als Britta ihn ungläubig ansah, fügte er hinzu: „Es geht hier um Minuten. Wenn sich auch nur einer falsch erinnert und der, um den es geht, alles abstreitet, steht die Anklage auf wackligen Füßen.“ „Und was schlagen Sie vor?“ fragte Britta, die jäh aus ihrer Euphorie abgestürzt war.

Der Kommissar seufzte. „Ich brauche ein Motiv. Am besten aber wäre ein Geständnis.“ 48 Stunden war es her, dass sie und Robert das letzte Mal diese Treppe heraufgestiegen waren. Britta begrüßte mit einem kurzen Nicken Franziska, die an der Küchentür auf sie wartete. Gottseidank haben alle mitgemacht, dachte Britta. Selbst Gigi haben sie mitgebracht. Die Hauptverdächtige saß mit den anderen am großen Esstisch, der diesmal nicht gedeckt war. Lediglich ein hübscher kleiner Läufer aus Franziskas Werkstatt zierte die polierte Fläche. Renate-Sophie schaute mit gesenktem Kopf auf die Tischplatte. Gerd von Falckenberg, der dicke Patensohn des Jubilars, guckte mit seinen runden blauen Augen immer wieder über die Runde, als wolle er der erste sein, der den Täter auf frischer Tat ertappt. Bruno Bockelmann, der Sandkastenfreund von Hans, zupfte mit leerem Gesichtsausdruck an seinem Schnurrbart, während seiner Frau Jeanette die unterdrückte Spannung anzumerken war; ihr Blick flitzte hin und her, als wolle er von irgendwoher einen Aschenbecher zaubern. Sie brauchte sehr dringend eine Zigarette.

Guido Wartenburg hatte seinen Rollstuhl wie schon zwei Tage zuvor neben dem großen Lehnstuhl seines Bruders Hans geparkt. Kommissar Frank Eidenmöller lehnte mit verschränkten Armen in einer Ecke, als Britta, Franziska und Robert eintraten. „Guten Abend, ihr alle“, sagte Britta und schaute jeden einzelnen an. „Danke, dass ihr gekommen seid.“ „Blieb uns wohl nichts anders übrig“, sprach Gerd, das Patenkind. „Sonst hätten wir ja alle ins Revier marschieren müssen.“ Von Falckenberg schnaufte etwas entrüstet und sein Blick flackerte. Er bemühte sich krampfhaft, sich seine Aufgeregtheit nicht anmerken zu lassen. „Wird wohl so sein“, nickte Britta. „Kriminalkommissar Eidenmöller und ich haben überlegt, dass wir die neuen Erkenntnisse mit euch teilen wollen. Das geht am besten, wenn alle beisammen sind. Also: Bisher gingen wir davon aus, dass Wolfgang Meulé kurz vor acht in Franziskas Küche ermordet wurde.

Nur ein paar Minuten später entdeckte Franziska die Leiche, und zwar genau in dem Moment, als wir beide, Robert und ich, erschienen. Wollen Sie was zum Todeszeitpunkt sagen, Herr Kommissar?“ Eidenmöller räusperte sich in seiner Ecke. „Er muss unmittelbar vorher ermordet worden sein, denn das Blut auf dem Fußboden begann gerade erst zu gerinnen. Nicht zu vergessen jenes Blut, das immer noch aus der Austrittswunde sickerte.“ „Genau. Wo befanden Sie sich in diesem Moment, Frau Meyer?“ fragte Britta Gigi, die nun den Kopf hob. „Ich war es nicht“, sagte sie. Britta lächelte. „Das weiß ich. Aber ich frage Sie nochmal: Wo waren Sie zu dem Zeitpunkt, als mein Mann und ich eintrafen?“ Gigi starrte sie verwirrt an. „Oben auf dem Treppenabsatz. Ich habe euch von dort aus beobachtet.“

„Was taten Sie dort?“ Gigi schwieg zunächst, dann stieß sie hervor: „Ich war in der Küche gewesen. Ich hab Wolfgang gesucht. Und dann lag er da… ich war total geschockt. Und dann geriet ich in Panik. Ich hörte euch die Treppe hochkommen. Von der anderen Seite, vom Wohnzimmer aus, hörte ich die Tür gehen, das war wohl Franziska, die nach ihrem Braten schauen wollte. Ich… ich wollte nur noch weg. Ich bin aus der Wohnungstür hinaus und die Treppe hoch, und dann habe ich dort gewartet.“ „Wann sind Sie wiedergekommen?“ „Als alle in den Flur stürzten und durcheinander riefen. Ich bin einfach wieder durch die Tür geschlüpft, die stand ja noch offen.“ Eine Zeitlang herrschte Stille. Man hörte die Menschen, die hier versammelt waren, nicht einmal atmen, so ruhig war es – eine lauernde, irgendwie gefährlich anmutende Ruhe vor dem Sturm.

ZUM DINNER BEI HANS WARTENBURG SIND FOLGENDE GÄSTE ERSCHIENEN:

+ Wolfgang Meulé, Gastrokritiker und leider tot
+ Renate-Sophie Meyer, genannt Gigi, Möchtegern-Verlobte des Opfers und etwas verwirrt
+ Gerd von Falckenberg, der beleibte und längst erwachsene Patensohn von Hans Wartenburg
+ Bruno Bockelmann, Unternehmer und alter Freund von Hans, ausgestattet mit einem stattlichen Schnurrbart
+ Jeanette Vargas, Journalistin, Bockelmanns rassige Frau, die lieber ihren Mädchennamen behalten hat
+ Guido Wartenburg, Bruder von Hans, sitzt wegen einer Querschnittslähmung im Rollstuhl
+ Außerdem zugegen: Franziska und Hans Wartenburg, die Gastgeber Apothekerin Britta Badouin und ihr Mann Robert von der Leyden, Kardiologe

Schließlich brach Guido Wartenburg das Schweigen: „Und was haben Sie uns nun mitzuteilen, Frau Badouin?“ „Zunächst würde ich gern die halbe Stunde vor dem Mord rekonstruieren. Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie, Herr Bockelmann, etwa zwanzig Minuten vor acht in der Küche. Und Ihre Frau ebenfalls?“ „Äh – „ schaltete sich Franziska ein. „Ich war da auch. Ich musste nach dem Braten sehen.“ „Ist dir irgendwas aufgefallen?“ „Naja… es war so eine Spannung. Wolfgang stand neben mir und erzählte von irgendeinem neuen Restaurant und dabei schaute er immer in Richtung Garderobe, wo Jeanette sich befand. Glaube ich jedenfalls.“ Gigi sackte ein wenig in sich zusammen. Sie murmelte etwas vor sich hin. Britta, die das hörte, sprach sie an: „Was haben Sie da gesagt, Frau Meyer?“ Ihre Stimme war ein wenig zittrig, aber fest, als die Frau, die Wolfgang Meulé so gern geheiratet hätte, hervorstieß: „Er konnte es einfach nicht lassen.“ Britta nickte.

„Ja. Wolfgang Meulé konnte es einfach nicht lassen. Und so hat er sich auch an diesem Abend auf die Jagd begeben, nicht wahr? Vor den Augen ihres Mannes machte er sich an Jeanette Vargas heran. Und Sie, Frau Vargas, haben dieses kleine Spiel mit dem Feuer durchaus genossen, nicht wahr?“ Die Vargas guckte trotzig vor sich hin. „Wenn Sie es sagen.“ Britta ließ eine kleine Weile verstreichen. „Meiner PTA ist in der Apotheke etwas aufgefallen. Nämlich, dass wir ein Rezept von Herrn Meulé erhalten hatten. Er hat ja einen eher ungewöhnlichen und noch dazu prominenten Namen, da erinnert man sich schon mal daran. Wir wissen, dass Herr Meulé herzkrank war; deshalb erhielt er einen sogenannten Koagulationshemmer, Phenprocoumon, auch unter dem Namen Marcumar bekannt. Zusätzlich litt er an Bluthochdruck. Dafür bekam er einen Blutdrucksenker. Diese Kombination ist es, die uns auf die Spur geführt hat. Denn wenn nur eine der beiden Substanzen versehentlich falsch dosiert wurde, kann es zu unkontrollierten Blutungen kommen – bei der das Blut erst viel später gerinnt als es bei gesunden Menschen geschieht.“

Britta machte eine kleine Pause. „Was hast du getan, Franziska, als du deinen Braten herausgeholt hattest?“ „Ich… ich legte ihn auf die Platte und steckte das Bratenthermometer hinein, um die Kerntemperatur zu kontrollieren.“ „Und dann?“ „Dann verließ ich die Küche. Ich mochte die Atmosphäre dort nicht.“ „Herr von Falckenberg, bitte sagen Sie uns noch nochmal, wann Frau Vargas wieder hier im Esszimmer erschienen ist. Sie haben sich doch vom Tisch nicht wegbewegt.“ „Zwanzig vor acht war sie wieder da“, sagte er prompt und ohne den üblichen hämischen Unterton. Selbst dem quasi zur Familie gehörenden Patensohn war die Lust zum Sticheln vergangen. „Wenn ich richtig rechne, befanden sich jetzt nur noch die beiden Männer in der Küche.“ Alle Blicke richteten sich auf Bruno Bockelmann, der auf seinem Stuhl saß, als hätte man ihn in Stein gehauen. „Was geschah dann, Herr Bockelmann?“ Der Angesprochene antwortete nicht. Britta ging zu ihm.

„Sie haben im Affekt gehandelt, nicht wahr?“ fragte sie weich. „Was hat er zu Ihnen gesagt?“ Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er antwortete: „Dass ich ein Schlappschwanz wäre. Viel zu alt für meine Frau. Die er wunderschön fand. Er hätte gesehen, wie ich sie kontrollieren würde. Und dass sie das unbeschreiblich nerven würde. Ich sollte schon sehen, irgendwann würde sie mir davonlaufen… ich weiß auch nicht, wie kann ein Mensch nur so sein?“ Er ließ offen, wen er meinte. „Sagen Sie, Frau Meyer, bevor Sie die Küche verließen und nach oben liefen, haben Sie da irgendetwas aus dem Raum entfernt?“ fragte Britta. „Nein, wieso?“ „Herr Bockelmann, wie ging es weiter?“ „Er redete immer weiter. Er machte sich über die Tischgesellschaft lustig. Über Franziskas Kochkünste. Fragte mich, was ich davon hielte. Zu einem solchen Anlass einen Rinderbraten zu servieren, fand er spießig. Ich weiß nicht, es kam dann alles zusammen und ich sah rot.“

Bruno Bockelmann schaute seine Frau an, die ihn ihrerseits mit zitternden Lippen und schwimmenden Augen betrachtete. „Ich hab das Bratenthermometer aus dem Fleisch gezogen und auf ihn eingestochen. Dass ich die Hauptschlagader oder so etwas getroffen hatte, wurde mir gleich klar, weil das Blut so spritzte und er sofort zu Boden ging. Ich zog das Ding raus und sah Meulé zu, wie er zusammensackte. Dann hab ich das Thermometer wieder in den Braten gesteckt. Wie in so einer Art Trance… ich war nicht ganz bei mir. Und dann bin ich gegangen, zu den anderen. Ich war ganz ruhig. Das Ganze hatte nur Minuten gedauert.“ „Zehn vor acht“?“ Britta guckte Gerd von Falckenberg an. „Ja“, nickte der. „Kurz danach standen Sie auf, Frau Meyer, um nach Ihrem Wolfgang zu schauen. Sie sind sich sicher, dass Sie in Ihrem Schock nichts aus der Küche mitgenommen haben?“

„Ganz sicher“, antwortete sie. Britta ging um den Tisch herum und setzte sich. Alle schwiegen lange. Dann griff die Apothekerin in ihre Jackentasche, holte etwas heraus und legte es auf die Tischplatte. „Wie kam das Bratenthermometer in meine Manteltasche?“ Bruno Bockelmann lächelte, und es sah grausig aus in seinem kalkweißen Gesicht. „Ach so. Das war ich. Als alle in die Küche stürzten, um nachzuschauen, hab ich das Ding herausgezogen und zwischen den Mänteln im Flur versteckt. Die waren ja heruntergefallen. Ich hab irgendwie gedacht… vielleicht kann ich ja dafür sorgen, dass Verwirrung entsteht.“ Er betrachtete seine Hände. „Aber das ist ja jetzt auch egal.“ Und er erhob sich, durchaus würdevoll. Sah niemanden mehr an, nur noch den Kommissar. „Wollen wir?“ Die Tischgesellschaft sah zu, wie der Kommissar den Mann, der sich schuldig bekannt hatte, herausführte.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 118.

Teil 3 von Mord nach Rezept finden Sie hier.

von Alexandra Regner

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