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Bogenschießen

MIT KLAREN ZIELEN GEGEN DEN STRESS

Die Menschen, die zu Jörn Luley in die Rehabilitationsklinik kommen, leiden an den typischen Symptomen der heutigen technisierten Leistungsgesellschaft. Bogenschießen wird hier als Therapie eingesetzt.

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Burnout, Depression, Ess- und Angststörungen, Tinnitus, Psychosen oder chronische Schmerzen sind nur einige der Probleme. Hervorgerufen werden die Krankheiten in aller Regel durch die Beanspruchung in Job und Familie, die ständige Verfügbarkeit auch an Wochenenden oder im Urlaub etwa per Handy, die Vielschichtigkeit der teilweise zugleich anstehenden Aufgaben, den Druck durch die Firmenleitung, den Zwang zum Gewinnstreben oder zum Einhalten des Budgets. Kurz gesagt: Die Patienten mit psychosomatischen Störungen in der malerisch gelegenen Dr.-Becker-Klinik am Möhnesee haben Stress.

Mit einer Reihe von Therapieangeboten versucht das Klinikteam, diese Probleme zu beheben. Gesprächsangebote stehen an erster Stelle, 20 Sportarten sind im Programm, Nordic Walking etwa gehört dazu. „Doch in der Behandlung eignet sich Bogenschießen am besten“, sagt Therapieleiter Luley ohne Umschweife. „Die hohe Konzentration, die Achtsamkeit auf die konkrete Aufgabe machen das Besondere des Bogenschießens aus.“

Konzentration auf eine Sache Durch den Sport, das ist Luley wichtig, müssten die Patienten zwangsläufig ihre Geschwindigkeit, die sie aus ihrem alltäglichen Leben in der Gesellschaft kennen, reduzieren. „Sie müssen sich fokussieren, achtsam sein, und dieses Verhalten auf sich und ihr Leben übersetzen.“ Denn der Ablauf des Bogenschießens lässt den Menschen keine Chance, an andere Dinge zu denken. Nichts lenkt sie ab. Der Effekt, zu spüren, wie es ist, wenn sie sich auf eine Sache konzentrieren und sie nicht versuchen, an drei Aufgaben gleichzeitig zu denken, ist ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung psychosomatischer Schwierigkeiten wie dem Burnout-Syndrom.

Gründliche Vorbereitung Den Einstieg in den 30-stündigen Therapiekurs absolvieren die Patienten ähnlich den Neulingen im Bogensportverein. Die ersten zwei Stunden werden mit den Themen Sicherheit, Material, Schutz des Körpers vor Verletzungen und dem Bewegungsablauf verbracht. Zum Thema Sicherheit unterschreiben die Teilnehmer sogar eine Erklärung, sich an die Bestimmungen zu halten. Patienten, die zu aggressivem Verhalten neigen, werden zu dieser Therapie gar nicht erst zugelassen. Ist der Einstieg gelungen, erlernen die Patienten das Bogenschießen „aus dem Eff-Eff“, wie Luley sagt. Er selbst ist studierter Sportwissenschaftler.

Mit dem Bogen zum Kern Durch eigene Erfahrung ist Luley der positiven Wirkung des Bogenschießens für viele Menschen „auf die Schliche“ gekommen. Dazu wurde in zwei weiteren der acht Kliniken der Dr.-Becker-Kette bereits mit Pfeil und Bogen gearbeitet, aus den positiven Erkenntnissen erwuchsen die Empfehlungen an die Kollegen, es ihnen gleichzutun. Vor einem Jahr startete die Klinik am Möhnesee in Westfalen unweit von Werl mit dem Angebot. „Es war direkt ein Volltreffer“, sagt Jörn Luley begeistert. „Ich würde dies jeder anderen Klinik sehr empfehlen.“

Er glaubt jedoch, die noch immer relativ geringe Bekanntheit der Sportart und ihrer positiven Wirkung und das Image des Umgangs mit einer „Waffe“ – „Obwohl der Bogen ja keine Waffe ist“ – würden andere Rehabilitationseinrichtungen hindern, das Bogenschießen in ihr Programm aufzunehmen. Doch wer gezielt nach Einrichtungen mit diesem Angebot nicht nur zur Heilung von psychosomatischen, sondern auch orthopädischen Krankheiten sucht, erkennt schnell, dass immer mehr Kliniken den Bogen heraushaben. „Außerdem“, so Luley, „waren wir sehr überrascht, wie günstig wir an die notwendige Ausrüstung kommen konnten, wir hatten geglaubt, viel mehr Geld investieren zu müssen.“

Schließlich sind die Erfolge über das Bogenschießen in der Therapie unverkennbar. „Jeder bringt hierhin sein Päckchen mit, aber wir können über das Bogenschießen eben auch viele Päckchen angehen“, hat Luley erkannt. Etwa bei einer Depression sehen viele Patienten das eigentliche Problem nicht. Beim Bogenschießen, bei dieser hohen Konzentration auf eine Sache, würden viele Menschen zum Kern ihrer Krankheit vordringen. „Und dieser Weg über das Bogenschießen ist einfacher als über die klassische Gesprächstherapie, weil viele sich im Gespräch eben nicht öffnen, aber über das Bogenschießen.“

Drei Aspekte für das Leben Zwei Punkte möchte Luley mit seinem Team den Menschen, die zu ihm kommen, vermitteln. Zum einen erreichen sie durch die Achtsamkeit auf die eine Sache eine hohe Entspannung, ähnlich wie bei der Meditation oder dem Yoga. Zum anderen haben sie durch die Bewegung Spaß, was viele zum Weitermachen auch nach der Therapie animiert. Entspannung, Spaß und Achtsamkeit – das sind die drei wichtigsten Faktoren für eine Therapie bei psychosomatischen Krankheiten.

„Der Schlüssel ist die Bewegung. Die Achtsamkeit auf die richtige Ausführung führt die Menschen in ihre eigene Gefühlswelt.“ Damit würde ihnen das eigene Bewusstsein verdeutlicht, die eigenen Probleme und wie sie mit ihrer Situation umzugehen haben, so Luley. Und dies alles zusammen genommen wirke wie eine einzige große Entspannungsübung. Und dann sind da ja noch drei Aspekte des Bogenschießens, die auf den Alltag und die Berufswelt zu übertragen sind. „Man braucht beim Bogenschießen einen eigenen Stand.“

Einen festen Stand, um im Leben fest verwurzelt zu sein. Der Bogenschütze verfolgt Ziele, die auch die Patienten klar verfolgen können. Die Ziele können variieren. Das erkennen die Patienten an der Bogenscheibe ebenso, wenn sie auf einmal nicht die Mitte der Zielscheibe, sondern eine Reihe von links nach rechts schießen sollen. Auf einmal sind sie, die sonst glauben, alles im Griff zu haben, fremdbestimmt und lernen, wie anstrengend das ist, aber dass sie auch dies akzeptieren müssen.

Patienten entdecken ihre Probleme Und dann, Aspekt drei und ganz wichtig: Loslassen können. Jeder entwickelt mit Pfeil und Bogen seinen eigenen Ablauf, auch sein eigenes Tempo. Einige aber, und davon können auch Spitzenschützen ein Lied singen, zielen zu lange, sie wollen es zu genau machen, sie sind nicht mutig genug. Sie können nicht loslassen. Das aber ist wichtig, im Bogenschießen für ein gutes Ergebnis, im Leben, um schlechte Erfahrungen abstreifen zu können. All diese Erfahrungen, die Gedanken, die Gefühle, die die Patienten beim Bogenschießen sammeln, tragen sie am Möhnesee in ein kleines Notizbuch ein.

Das haben sie immer bei sich, für den Eintrag dürfen sie jederzeit Pfeil und Bogen kurz aus der Hand legen. Es sind letztlich die psychologischen Probleme, die sie beim Bogenschießen bei sich selbst entdecken. Die Notizen dienen später dazu, in Gesprächen die einzelnen Punkte zu vertiefen und Lösungen zu diskutieren. Das Ergebnis ist nicht statistisch erfasst, aber Luley sagt: „Es ist ganz selten, dass hierhin Patienten zum zweiten Mal zu einer Therapie kommen.“ Viele hingegen wollen das Bogenschießen auch im Alltag weiter betreiben.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 126.

Harald Strier, freier Journalist

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