Drei Schimpansen sitzen sich gegenüber und gestikulieren.© curioustiger / iStock / Getty Images Plus
Schimpansen leben in sozialen Gruppen zusammen. Sind sie verletzt, kümmern sie sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um andere Mitglieder der Gruppe.

Insekten-Salbe

DIE PHARMAZEUTEN UNTER DEN AFFEN – WAS WIR VON SCHIMPANSEN LERNEN

Schon früher hatten Verhaltensforschende bemerkt, dass Tiere sich aus der Natur bedienen, um Krankheiten zu therapieren oder Parasiten vorzubeugen. An Schimpansen haben sie nun eine neue Art der Selbstmedikation entdeckt – und ein unerwartet soziales Miteinander.

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Schimpansen fangen bestimmte Insekten, zerquetschen sie im Mund und tragen sie dann wie eine Salbe auf Wunden auf. Forscher*innen haben dieses Verhalten beobachtet und schätzen es als medizinische Therapie ein. Nun wollen sie herausfinden, um welche Insekten es sich handelt und ob sie tatsächlich pharmakologisch wirken.

Außerdem versorgen sie nicht nur sich selbst, sondern auch Familien- und Gruppenmitglieder mit der Insekten-Wundsalbe. Dieses Verhalten sei markant prosozial, sagen die Forschenden.

Naturmedizin für Mensch und Tier

Seit Jahrtausenden verwendet der Mensch Flora und Fauna, um seiner Gesundheit Gutes zu tun – seien es altertümliche Wundwickel aus Kräutern, Hirschzungenelixier in der Hildegardmedizin oder moderne Phytopharmaka. Auch Tiere wissen scheinbar um die heilende Wirkung bestimmter Naturstoffe. Simone Pika, Kognitionsforscherin an der Universität Osnabrück, berichtet: „Formen der Selbstmedikation wurden bei zahlreichen Tierarten beobachtet, darunter Insekten, Reptilien, Vögel und Säugetiere.“ Unabhängig von der normalen Nahrung, also wohl gezielt, nehmen manche Tierarten zum Beispiel bestimmte Pflanzenteile zu sich, um Krankheitserreger oder Parasiten zu bekämpfen.

Speziell von Schimpansen und Bonobos, zwei Menschenaffenarten, ist bekannt, dass sie gezielt bittere Blätter schlucken, um Darmparasiten abzutöten. Im Rahmen des Ozouga-Schimpansenprojekts im Loango-Nationalpark in Gabun, wo sie eine Gruppe von 45 Schimpansen beobachten, stellten Pika und ihr Team fest, dass das nicht die einzige Naturmedizin ist, die Schimpansen kennen.

Schimpansin Suzee versorgt Sohn Sia

Alessandra Mascaro vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erklärt: „2019 beobachtete ich ein Schimpansenweibchen namens Suzee, wie sie sich um den verletzten Fuß ihres halbwüchsigen Sohnes Sia kümmerte. Mir fiel auf, dass sie etwas zwischen ihren Lippen zu haben schien, das sie dann auf die Wunde an Sias Fuß auftrug.“ Erst später habe sie gemerkt, dass es sich dabei um ein Insekt handeln muss: „Später am Abend schaute ich mir meine Videos noch einmal an und sah, dass Suzee zuerst etwas auffing, das sie zwischen ihre Lippen nahm und dann direkt auf die offene Wunde an Sias Fuß legte.“ Ein solches Verhalten sei auch ihren Teammitgliedern unbekannt gewesen.

Ihre Kollegin Lara-Southern von der Universität Osnabrück beobachtete eine Woche später bei einem erwachsenen Schimpansenmännchen Ähnliches. Es folgte ein Jahr, in dem die Forscher*innen systematisch verletzte Tiere filmten, die Aufnahmen auswerteten und so das Verhalten der Schimpansen beschreiben konnten. Dabei gehen die Tiere so vor:

  • Zuerst fangen die Schimpansen das Insekt mit der Hand.
  • Dann immobilisieren sie es, indem sie es zwischen den Lippen zerquetschen.
  • Anschließend legen sie es auf die Wunde und bewegen es mit den Lippen oder Fingerspitzen, als würden sie es einreiben.
  • Die Prozedur wird mehrmals wiederholt.

Hier können Sie sich die Arbeit des Teams und die wundbehandelnden Affen anschauen:

Geheimnisvolles heilendes Insekt

Um welche Insektenart es sich handelt, ist bislang unklar, es scheint sich jedoch um ein fünf Millimeter großes Fluginsekt zu handeln. Die Forscher*innen vermuten, dass die Insekten antiphlogistische, antiseptische oder analgetische Eigenschaften haben könnten. Solche Wirkungen wurden für andere Insektenarten bereits nachgewiesen. Das Team will nun im nächsten Schritt die Insekten fangen, identifizieren und analysieren.

Auch der Mensch setzt Insekten in der Wundbehandlung ein: beispielsweise Maden, um in schlecht heilenden Wunden infiziertes oder abgestorbenes Gewebe zu entfernen.

Fürsorgliches Miteinander

Neben dem pharmazeutischen Aspekt ist vor allem das soziale Verhalten der Schimpansen von wissenschaftlichem Interesse. So wie Suzee ihren Sohn mit Insektensalbe behandelte, kümmerte sich Carol, ein weiteres erwachsenes Weibchen, um das Männchen Littlegrey. Während sie ihn pflegte, streckte sie die Hand aus, um ein Insekt zu fangen. „Was mich am meisten beeindruckte, war, dass sie es Littlegrey reichte, er es auf seine Wunde legte und anschließend Carol und zwei andere erwachsene Schimpansen ebenfalls die Wunde berührten und das Insekt darauf bewegten. Die drei nicht miteinander verwandten Schimpansen schienen diese Verhaltensweisen somit nur zum Nutzen ihres Gruppenmitglieds auszuführen“, staunt Southern.

„Die drei nicht miteinander verwandten Schimpansen schienen diese Verhaltensweisen somit nur zum Nutzen ihres Gruppenmitglieds auszuführen.“

Dazu erklärt Pika: „Solche Beispiele für eindeutig prosoziale Verhaltensweisen werden bei nicht-menschlichen Arten selten dokumentiert, aber diese Beobachtungen könnten nun auch die Skeptiker überzeugen“.

Quellen:
Alessandra Mascaro, Lara M. Southern, Tobias Deschner, Simone Pika:“Application of insects to wounds of self and others by chimpanzees in the wild“, Current Biology, 7. Februar 2022. https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(21)01732-2
https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/wund-behandlung-mit-insekten-salbe/
https://youtu.be/hkHetiAxRXg

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