Drei Wassergläser© AndrewRafalsky / iStock / Getty Images

Reizblase

HALB LEER, VOLL VERKRAMPFT

Über 13 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer überaktiven Blase, auch Reizblase genannt. Der Weg zur Diagnose ist schwer, bei der Therapie ist die Mitarbeit der Betroffenen gefragt. Arzneimittel und Verhaltenstipps können Ihren Kunden helfen.

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Es sind etwa 16 Prozent, die hierzulande unter einer überaktiven Blase leiden. Womöglich sind es sogar mehr, denn viele Betroffene halten häufige Toilettengänge im Alter für normal oder gehen aus Scham nicht zum Arzt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, vor allem zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Bei Männern steigt die Prävalenz mit dem Alter. Häufiges Wasserlassen (zehnmal täglich oder öfter), auch nachts, gilt als ausschlaggebendes Kriterium für die Diagnose. Hinzu kommen starker Harndrang, bei dem die Betroffenen sofort zur Toilette müssen, und manchmal Inkontinenz. Auch Blasenkrämpfe und Schmerzen beim Urinieren sowie Nachträufeln nach dem Toilettengang können mit einer überaktiven Blase einhergehen.

Das Glas ist halbvoll – immer Anders als bei einer Blasenentzündung lösen nicht Erreger die Beschwerden aus, die Reizblase kann allerdings Überbleibsel einer Zystitis sein. Hier sind Nervensignale gestört. Die gesunde Blase fasst etwa 500 Milliliter (ml) und meldet dem Hirn bei einem Füllstand von 300 ml, dass sie voll sei – das Signal, demnächst das stille Örtchen aufzusuchen. Währenddessen ist die Blasenmuskulatur entspannt, damit sie sich beim Befüllen gut dehnen kann. Beim Urinieren wird sie willentlich zusammengezogen.

Die überaktive Blase hingegen krampft unwillkürlich, während sie sich eigentlich noch füllen sollte. Die Nerven melden „voll“, wenn sich noch kaum Urin in der Blase gesammelt hat. Das wirkt sich auf die Lebensqualität der Betroffenen aus: Viele ziehen sich zurück, weil sie fürchten, jemand könne den unfreiwilligen Urinverlust bemerken. Das kann auch Schlafstörungen und Depressionen nach sich ziehen. Oft leiden auch das Selbstwertgefühl und die Sexualität unter dieser Angst.

Was stresst die Blase? Als Ursachen kommt Estrogenmangel während der Wechseljahre in Frage, auch versteckte chronische Infekte und psychosomatische Faktoren. Neurologische Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Schlaganfälle oder Multiple Sklerose können die Blase überaktivieren. Bei Frauen können Beckenboden- und Scheidensenkungen, wie sie nach Geburten auftreten, bei Männern die Prostatahyperplasie eine Reizblase auslösen. Auch sexuelle oder psychische Traumata können eine Reizblase verursachen. Sekundäre Formen der überaktiven Blase sind auf Blasen- oder Nierensteine, Tumoren oder Arzneimittelnebenwirkungen zurückzuführen.

Je früher zum Arzt, desto besser Stellen sie Beschwerden fest, sollten Frauen schnellstmöglich den Gynäkologen aufsuchen, Männer den Urologen. Denn das häufige Wasserlassen lässt die Blase schrumpfen, was den Harndrang weiter steigert. Vermeidungsverhalten, bei dem Betroffene weniger trinken, um seltener auf Toilette zu müssen, hat den gleichen Effekt – ein Teufelskreis. Der Arzt stellt eine überaktive Blase dann als Ausschlussdiagnose fest: Eine Urinkultur schließt Harnwegsinfekte aus, per Ultraschall wird nach Nierensteinen gesucht, bei Männern wird die Prostata abgetastet. Eine Blasenspiegelung zeigt, ob die Blasenschleimhaut Veränderungen aufweist. Blasendruck, Muskelaktivität und Restharnvolumen werden gemessen. Kommen keine organischen Erkrankungen in Frage, heißt die Diagnose Reizblase.

Verhaltenstipps bei Reizblase
+ 1,5 bis 2 Liter Wasser am Tag trinken, in gleichmäßigen Abständen – hier kann ein fester Trinkplan helfen,
+ harntreibende Mittel wie Alkohol, Coffein, scharfe Gewürze und kohlensäurehaltige Getränke meiden,
+ Rauchen einstellen: Nikotin bindet an Rezeptoren, die normalerweise bei voller Blase aktiviert werden,
+ nicht vorsorglich auf Toilette gehen; nur, wenn man muss,
+ Blasenentzündungen vorbeugen: beim Toilettengang von vorne nach hinten wischen, nach dem Geschlechtsverkehr die Blase leeren, Baumwollunterwäsche tragen.

Therapie nach Leitlinie Die S2k-Leitlinie empfiehlt als Mittel der ersten Wahl bei einer überaktiven Blase Anticholinergika, die die Blasenmuskulatur entspannen. Dazu gehören beispielsweise Oxybutynin, Solifenacin und Trospiumchlorid. Bei einem Estrogenmangel kann das Hormon lokal zugeführt werden. Die Leitlinie aus dem Jahr 2010 wird aktuell überarbeitet, deshalb bewertet sie den 2012 zugelassenen Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten Mirabegron noch nicht. Bei leichten Beschwerden können Sie Ihren Kunden auch pflanzliche Extrakte aus Kürbissamen, Brennnesseln, Sägepalmfrüchten oder Echter Goldrute empfehlen.

Die Diagnose sollte dann bereits stehen, um eventuell zugrundeliegende Erkrankungen nicht zu verschleiern. Auch mit Inkontinenzprodukten können Sie Ihren Kunden weiterhelfen. Außerdem sollten Betroffene Methoden zur Stressreduktion erlernen und ihren Beckenboden stärken. Auch das bewusste Herauszögern des Toilettengangs in kleinen Schritten hat einen Trainingseffekt auf die Blase. Bei einer Gebärmuttersenkung kommen Pessare zum Einsatz. Dem behandelnden Arzt stehen außerdem die Reizstromtherapie, Botulinumtoxin zur Entspannung der Blasenwand oder ein Blasenschrittmacher zur Verfügung. Erst als letztmögliche Maßnahme wird die Blase operativ vergrößert.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2021 ab Seite 112.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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