Comic Fliege © Frater Aloisius
© Frater Aloisius

Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE - TEIL 2

Und jetzt, da sie das Klimpern des Schlüsselbundes und das charakteristische Rollen der Schiebetür vernahm, musste es halb neun sein ...

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Kapitel 3 „Also wirklich.“ Robert von der Leyden schüttelte ungläubig den Kopf. „Wer kommt denn auf so etwas!“ Britta, die an ihrem Schreibtisch saß, blätterte im „Deutschen Arzneibuch“. Es war eine sehr alte Ausgabe und roch ein wenig modrig, denn sie hatte es aus dem Keller geholt. Da Apotheker nur sehr selten etwas wegwerfen, was nicht verdorben ist, hatte sie es aufgehoben – ein echt antikes Buch im grünen Leineneinband mit goldenem Aufdruck inklusive Reichsadler, zurückgelassen vom verstorbenen Vorbesitzer der historischen Bärenbach- Apotheke. Mit Interesse las sie, was vergangene Generationen von Pharmazeuten einst aufgeschrieben hatten.

„Spanische Fliegen sind glänzendgrün und besonders in der Wärme blauschillernd, 1,5 bis gegen 3 cm lang, 5 bis 8 mm breit“, entzifferte sie die Frakturschrift. „Sie riechen stark und eigenartig.“ „Kann ich mir vorstellen“, brummte Robert. „Willst du die Prüfvorschrift hören?“ gluckste Britta. „Unbedingt.“ „9 Gramm mittelfein gepulverte spanische Fliegen übergießt man in einem Arzneiglas mit 20 g Chloroform und 1 g Salz säure, lässt das Gemisch unter häufigem Umschütteln 24 Stunden lang stehen und fügt dann 40 Gramm Äther hinzu.“ Britta machte eine Kunstpause und las dann grinsend weiter.

„Nach der Filtration lässt man dann das zurückbleibende Chloroform an der Luft verdunsten. Schließlich übergießt man den Rückstand mit Petroleumbenzin und absolutem Alkohol und lässt es dann noch einmal 12 Stunden lang stehen.“ „Bis dahin liegt die prüfende PTA betäubt am Boden“, sagte Robert erschüttert. „Darf sie aber nicht. Denn es braucht nach viermaligem Auswaschen noch einmal 12 Stunden mit Chloroform, Petroleum, Alkohol und Salzsäure, bis man dann endlich den Wirkstoffgehalt bemessen kann. Die lebten früher echt gefährlich.“ „Und was hat man dann daraus fabriziert?“

„Naja, die berühmte Salbe: „Unguentum Cantharidis“. Willst du hören, wie sie gemacht wird?“ „Nein danke“, sagte Robert und verzog das Gesicht. „Meine Phantasie spielt mir da Streiche.“ Britta las mit Interesse die Vorschrift, dass Spanische Fliegen gut getrocknet in gut verschlossenen Gefäßen aufzubewahren waren. Sie stellte sich die grünschillernden Käfer in einem braunen Apothekerglas mit Glasdeckel vor und meinte sich erinnern zu können, so etwas schon einmal im Deutschen Apothekenmuseum gesehen zu haben.

„Moment mal“, sagte sie. „Glaubst du, man kriegt das Zeug über den Großhandel?“ Robert schaute sie fragend an: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Einen Anruf später war Britta klüger. Cantharidin gab es in Deutschland nur in homöopathischer Verreibung. Und mit Globuli konnte sich keiner vergiften. Es war unmöglich, das hochtoxische, reine Pulver einfach so zu bestellen. Das machte die Sache natürlich kompliziert. Wer hatte Gelegenheit, an die Substanz zu kommen? Eigentlich nur, wer internationale Verbindungen zu Laboren aller Art besaß. Britta ging im Geiste die Tischgesellschaft durch: Der preisgekrönte Dr. Wennerhold natürlich. Dessen Frau. Der Präsident der Ärztlichen Vereinigung. Der Medizinhistoriker Zurmuehl-Wiedenhausen. Die Klinikapothekerin Jeanette Scholz. Em, die Journalistin. Sie selbst und Robert.

Sie alle konnten, wenn sie wollten, Kontakte herstellen; jeder kannte jemanden, der an Substanzen herankam, die für den Publikumsverkehr verboten waren. Britta schaute nachdenklich auf das grünleinene Arzneibuch. Wer kam bloß auf die Idee, solch eine … abseitige Substanz zum Morden zu verwenden? Ob die Art des Todes einen Rückschluss auf den Mörder zuließ? Schließlich hatte man Cantharidin nicht einfach so zuhause rumliegen, man musste es sich beschaffen. Vielleicht gelang es, über diesen Weg Zugang zu finden. Doch wie sollte es gelingen, Zugang zu den Beteiligten zu bekommen? „Liebling?“ Robert stand plötzlich neben ihr.

Er hatte im Nebenzimmer telefoniert und seine Post gelesen, das tat er gern hier, in der Apotheke. Und für beide war es eine angenehme Art, einander tagsüber zu sehen. Wir sind schon wie so ein altes Ehepaar, dachte Britta, und zuckte innerlich zusammen, denn von der Ehe hatte sie nach ihrem missglückten Versuch einige Jahre zuvor ein für allemal genug. Robert beugte sich über sie und sie roch sein After Shave, das er immer benutzte und dass sie ausgesprochen lecker fand. „Du hast ja schon wieder diesen Blick“, sagte er. Seine grauen, fast weißen Haare fielen ihm in einer schmackigen Welle über die Augen, er musste mal wieder zum Friseur, sonst sah er wieder aus wie der Dirigent aus einem Hollywoodfilm.

Britta dachte zusammenhanglos: Die Frauen himmeln ihn dann immer so an. Wie den ollen Professor, den es dahingerafft hat. „Es ist der Fall, nicht wahr? Du hast dich darin verbissen.“ Britta schaute ihn an. In seine klaren blauen Augen, die sie unverwandt betrachteten. „Ja“, sagte sie. Robert seufzte. „Und ich dachte, wir könnten vielleicht mal ein paar Tage wegfahren. Nächste Woche ist ein Brückentag, da bleibt die Praxis von Mittwoch bis Montag geschlossen. Was meinst du? Lassen das deine Nachforschungen zu?“ Sie musste wirklich aufpassen. Sie vergrub sich immer so in ihre Aufgaben, das hatte schon ihr verflossener Ehemann immer bemängelt.

Nicht, dass ihr der charismatischste Mann, den sie jemals gekannte hatte, stiften ging. Britta drehte ihren Stuhl ein Stück nach links und hatte Robert nun genau vor sich. Er legte seine Hände auf die Armlehnen und sie nahm sein Gesicht. „Klar machen wir das“, lächelte sie. „Wo soll’s denn hingehen?“ „Wir setzten uns einfach ins Auto und fahren los“, murmelte er und küsste sie. „Toll“, wisperte Britta etwas erstickt, zwischen seinem Jackett und der Haartolle, eingehüllt in köstliches Männerparfüm, denn Robert zeigte ihr seine Zuneigung nun deutlicher, und sie hoffte, dass jetzt die Bürotür nicht aufging. „Holland? Ein Spaziergang an der Nordsee? Oder die andere Richtung, nach Italien? Rom oder Apulien? Such es dir aus.“

Robert knabberte an ihrem Ohrläppchen. Das Telefon klingelte. Britta dachte: Ich geh nicht ran. Auf gar keinen Fall jetzt. Nachdem es lange Zeit vor sich hingeorgelt hatte, verstummte es. Robert hauchte Britta gerade weitere Reiseziele ins Ohr, als es an der Bürotür klopfte. „Britta?“ Annette tat so, als ob sie den dérangierten Doktor und die errötete Britta nicht wahrnahm. „Telefon für dich im Backoffice. Die Journalistin ist dran. Sie sagt, es gäbe neue Entwicklungen und sie müsste dich dringend sprechen.“

Wie geht’s weiter? Teil 3 unseres Apothekenkrimis „Die Spanische Fliege“ lesen Sie in unserer April-Ausgabe.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/17 ab Seite 102.

Alexandra Regner

„Die Spanische Fliege - Teil 2”

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