aufgeschnittenes Vollkornbrot
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Ernährungsstudie | Entwarnung

EINE LANZE FÜRS GLUTEN

Es ist nicht gerade gut fürs Herz und für Kinder sogar schädlich: Glutenverzicht für Gesunde. Zwei Langzeitstudien kommen zu dem Schluss, dass grundlose und damit übertriebene Vorsicht in Ernährungsdingen auch mit Vorsicht zu genießen ist.

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Im „British Medical Journal“ erschien die Auswertung einer Studie, die immerhin 24 Jahre lang 110 000 Amerikaner und ihr Essverhalten beobachtet hatte. In den USA glaubt nämlich jeder vierte, dass Ernährung ohne Gluten für jedermann gesund sei. Martin Raithel, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) gibt zu bedenken: „Die Zahlen der Weizen- oder Glutensensitivität werden in der Öffentlichkeit und in den Medien generell überschätzt.“ Zwei bis drei Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter angeborener Zöliakie, eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, bei der das Klebereiweiß im Weizen (Gluten) eine Dünndarmentzündung mit heftigen Durchfällen auslöst. Diese Menschen müssen ihr Leben lang auf glutenhaltige Nahrung verzichten.

Doch alle anderen sollten es lieber nicht tun. Denn mit dem Gluten reduzieren viele auch ihren Vollkornkonsum – und der bringt unbestreitbar Vorteile für das Herz. „Basierend auf unseren Daten ist eine glutenarme Diät nur mit dem Ziel Herzgesundheit nicht zu empfehlen“, sagt Mitautor Andrew Chan von der Harvard School of Medicine. „Vor allem die B-Vitamine können das Herz schützen“, fügt Martin Raithel hinzu. Ballaststoffe aus Vollkörnern seien zudem wichtige Bestandteile für die Darmflora.

Besonders gefährlich sei es, Kinder vom Verzehr weizenhaltigen Gebäcks abzuhalten, warnt Raithel. „Kinder sollten wirklich von allem etwas essen, auch Fleisch und geringe Mengen Zucker“, sagte der Darmexperte dem SPIEGEL. „Denn mit jeder Einschränkung von Lebensmitteln verkleinert sich die Vielfalt der Darmflora. Und das ist wiederum ein Risikofaktor für die Entstehung von vielen Erkrankungen.“

Der zweite Mitautor der amerikanischen Studie, Benjamin Lebwohl vom Zöliakie-Zentrum der Columbia University New York, fasst in Worte, woher der Irrglaube des allgemeinen Gluten-Verzichts kommt: „Beliebte Diätbücher, die mit zufälligen und anekdotischen Beispielen arbeiten, haben die Ansicht befeuert, dass eine glutenarme Diät für jeden gesund ist.“ Das aber sei falsch. Der Anti-Gluten-Hype hänge wohl auch damit zusammen, dass oft über Tierversuche berichtet werde, in denen Gluten schädliche Wirkung zeigt, meint der deutsche Experte Raithel. Ergebnisse aus Tierversuchen seien aber nicht einfach zu übertragen.

Die Amerikaner haben auch ein Wort für den übermäßigen Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel: „Wheat Belly“, übersetzt etwa „Weizenwampe“. Doch was hier dick macht, sind einfach meist die Kalorien.

Alexandra Regner, PTA und Redaktion

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