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Narkose

PONV

Übelkeit und Erbrechen nach Operationen unter Vollnarkose zählen zu den häufigsten postoperativen Nebenwirkungen.

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Während in der Zeit der Ethernarkosen Erbrechen und Übelkeit in der postoperativen Phase mit einer 70- bis 80-prozentigen Häufigkeit nahezu unvermeidlich waren, leiden inzwischen weitaus weniger Patienten unter diesem Problem. Dennoch ist es auch heute noch ein alltägliches Phänomen nach Vollnarkosen. Werden keine prophylaktischen Maßnahmen eingeleitet, kommt es bei circa 30 Prozent der Patienten zu der äußerst unangenehmen Begleiterscheinung. Das Beschwerdebild wird auch in Deutschland mit dem angelsächsischen Begriff Post Operative Nausea and Vomiting bezeichnet.

Unangenehm und komplikationsbehaftet Zwar ist PONV meist selbstlimitierend, doch es beeinträchtigt das Wohlbefinden der Betroffenen sehr, weshalb es auch als „big little problem” der Anästhesie bezeichnet wird. Oftmals belastet es die Patienten mehr als der Wundschmerz und viele haben davor größere Angst als vor dem eigentlichen Eingriff. Allerdings sind auch schwerwiegende Komplikationen möglich, wodurch sich die Verweildauer im Krankenhaus verlängern kann und aus ambulant geplanten Operationen unvorhergesehene stationäre Aufenthalte werden können.

Gefürchtet ist die Aspiration von Magensaft, was zu Atemwegsverlegungen mit Sauerstoffmangel führen kann. Auch werden Rupturen der Speise- und Luftröhre oder das Aufplatzen von Operationsnähten beobachtet.

Belegte Risikofaktoren Brechreiz und Erbrechen werden über eine Stimulation des Brechzentrums in der Medulla oblongata (verlängertes Mark), einer Gehirnregion im hintersten Teil des zentralen Nervensystems, ausgelöst. Mit diesem Schutzreflex versucht der Körper aufgenommene Substanzen zu eliminieren, die er als Toxine wahrnimmt.

Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin, Histamin und Acetylcholin spielen bei der Übertragung neuraler Impulse eine wichtige Rolle. Die genauen pathophysiologischen Mechanismen von PONV sind jedoch bislang ungeklärt. Bekannt sind zahlreiche Risikofaktoren, die mit einem vermehrten Auftreten assoziiert sind. So haben Frauen und Nichtraucher ein höheres Risiko. Auch spielt das Alter eine Rolle.

Säuglinge und Kleinkinder leiden selten, am häufigsten treten die Beschwerden bei Kindern zwischen 6 und 16 Jahren auf. Im Erwachsenenalter geht das Risiko wieder zurück und Senioren sind nur noch selten betroffen. Trat PONV schon einmal auf oder ist Reiseübelkeit ein bekanntes Leiden des Patienten, so besteht für ihn eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich postoperativ mit Übelkeit und Erbrechen zu quälen. Außerdem beeinflusst das Anästhesieverfahren die Häufigkeit.

Der Einsatz von Inhalationsanästhetika, die Verwendung von Lachgas, eine lange Narkosedauer (> zwei Stunden) sowie die postoperative Gabe von Opioiden sind übelkeitsauslösende (emetogene) Faktoren. Andere Einflüsse wie die Art der Operation, Verwendung einer Magensonde, Maskenbeatmung, eine Abhängigkeit vom Menstruationszyklus, der Body-Mass-Index oder psychologische Faktoren werden kontrovers diskutiert, da die Studienlage nicht eindeutig ist.

Verschiedene Vorgehensweisen möglich Oftmals schätzen die Anästhesisten vor der Operation das Risiko des Patienten für PONV, um das weitere Vorgehen darauf abzustimmen. Je nachdem wie hoch das ermittelte individuelle Risiko ist, können in abgestufter Form verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung der quälenden Begleiterscheinung zum Einsatz kommen. So werden beispielsweise bei mittlerem Risiko geeignete Narkoseverfahren ausgewählt oder ein oder mehrere Wirkstoffe zur Unterdrückung der Übelkeit gegeben und bei besonders hohem Risiko beide Prophylaxestrategien miteinander kombiniert.

Neben dem risikoadaptierten Verfahren haben sich auch risikounabhängige Vorgehensweisen etabliert, bei denen ein fixes Prophylaxeschema ohne Berücksichtigung der persönlichen Veranlagung verfolgt wird. Wurde auf eine vorherige Prophylaxe verzichtet (z. B. bei keinem oder geringen Risiko) oder sollte es trotz vorbeugender Maßnahmen zu PONV gekommen sein, können auch noch therapeutisch Medikamente gegen die Übelkeit eingesetzt werden. Prinzipiell kommen dafür die gleichen antiemetischen Substanzen wie zur Prophylaxe zur Anwendung, wobei aber Wirkstoffe verabreicht werden sollten, die zuvor noch nicht vorbeugend gegeben wurden.

Emetogene Faktoren ausschalten Wichtigste prophylaktische Maßnahme ist das Vermeiden emetogener Einflüsse. Da Narkosemittel, die durch Inhalation aufgenommen werden (z. B. Halothan, Enfluran, Isofluran, Sevofluran), eine wichtige Ursache für PONV darstellen, kann durch Einsatz einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) mit Propofol eine effektive Reduktion von Übelkeit und Erbrechen erzielt werden.

Opioide werden möglichst schon während der Operation in niedriger Dosierung verabreicht. Zudem gehen periphere und rückenmarksnahe Anästhesien sowie der Verzicht auf Lachgas oder die Verwendung von Stickstoff anstelle von Stickstoffoxid als Trägergas mit einem niedrigeren Risiko für PONV einher.

Medikamente einsetzen Zur Vorbeugung und Therapie werden verschiedene antiemetisch wirksame Substanzgruppen eingesetzt. In der Regel werden verschiedene Wirkstoffe kombiniert, da sich ihre Effektivität durch Gabe mehrerer Komponenten steigern lässt. Dabei existieren keine fixen Kombinationen, sondern die Auswahl der Substanzen erfolgt individuell und richtet sich nach dem Nebenwirkungsspektrum. Zu den gängigen Arzneimitteln zählen:

  • Dexamethason, dessen antiemetischer Wirkmechanismus nicht geklärt ist. Da die Wirkung des Glukokortikoides langsam einsetzt, wird es schon zu Beginn der Operation appliziert.
  • 5-HT3-Serotonin-Antagonisten wie Granisetron, Ondansetron, Palonosetron oder Tropisetron dienen der Prophylaxe und Therapie. Unerwünschte Wirkungen können Obstipation und Kopfschmerzen sein. Zudem sind sie in der Lage, im Elektrokardiogramm (EKG) die QT-Zeit verlängern.
  • Auch für den D2-Dopamin-Antagonisten Droperidol konnte eine QT-Zeit-Verlängerung beobachtet werden, weshalb es zwischenzeitlich vom Markt genommen wurde. Seit einigen Jahren ist es aber wieder zur Behandlung und Vorbeugung erhältlich und gilt wie Dexamethason für die Prophylaxe als Mittel der Wahl. Zur Wirksamkeit von des Dopamin-Antagonisten Metoclopramid existieren kontroverse Aussagen.
  • Vor der Einführung der Dopamin-Antagonisten gehörte das H1-Antihistaminikum Dimenhydrinat zu den gebräuchlichsten Antiemetika. Heute wird es vornehmlich in der Kinderanästhesie eingesetzt.
  • Die neuste Substanz zur Prophylaxe ist der NK1-Neurokinin-Antagonist Aprepitant. Er verhindert die Wirkung von Substanz P an Neurokininrezeptoren im Brechzentrum und an peripheren Nerven.

»Ohne Prophylaxe kommt es bei etwa 30 Prozent der Patienten zu Übelkeit und Erbrechen.«

Risikoabschätzung mit dem Apfel-Score In der Praxis hat sich ein vereinfachtes Prognosesystem durchgesetzt, das als „Apfel-Score“ bekannt geworden ist. Dabei werden Risikofaktoren addiert und einer Risikowahrscheinlichkeit gegenübergestellt. Das Punktesystem (Score) berücksichtigt vier Risikofaktoren:

  • weibliches Geschlecht
  • positive PONV-Anamnese (Übelkeit und Erbrechen nach vorheriger Operation beziehungsweise bekannte Reisekrankheit)
  • Nichtraucher
  • Verwendung postoperativer Opioide zur Schmerztherapie

Die Risikofaktoren werden jeweils mit einem Punkt bewertet. Ein Patient ohne Risikofaktor hat einen Score von 0. Ein Patient mit vier Risikofaktoren erreicht die Gesamtpunktzahl von 4.

  • Bei 0 bis 1 Punkt wird von einem niedrigen Risiko (10 bis 21 Prozent),
  • bei 2 Punkten von einem mittleren Risiko (39 Prozent) und
  • bei 3 bis 4 Punkten von einem hohen PONV-Risiko (61 bis 79 Prozent) ausgegangen.

Das bedeutet beispielsweise, dass ein Patient ohne Risikofaktoren lediglich mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit nach der Operation mit Übelkeit und Erbrechen reagieren wird. Treffen hingegen drei Risikofaktoren zu, spricht man von einem Hochrisikopatienten, bei dem mit etwa sechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit mit PONV zu rechnen ist.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 108.

Gode Meyer-Chlond, Apothekerin

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