Eine Frau steht auf einem Parkplatz und desinfiziert sich die Hände.
Das kleine Desinfektionsmittelfläschchen für unterwegs - wann ist es wirklich sinnvoll? © Finn Hafemann / iStock / Getty Images Plus

Desinfektion

NUR NICHT ZU VIEL HYGIENE

Im Bestreben, das Corona-Virus zu besiegen, steht Hygiene an oberster Stelle.

Doch ist es wirklich sinnvoll, alles um sich herum zu desinfizieren? Und wenn ja, womit? Oder hat der ständige Gebrauch von Desinfektionsmitteln eher den gegenteiligen Effekt?

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Den Türöffner im Bus betätigen, einen Einkaufswagen schieben und beim Bezahlen das Kleingeld aus der Tasche holen: Bei zahlreichen Situationen in unserem Alltag fassen wir Gegenstände an, die mit vielen Menschen in Berührung kommen. Das löst in uns oft das Bedürfnis aus, die Hände sofort zu reinigen – ein Grund, warum immer mehr Menschen stets ein Fläschchen mit Desinfektionsgel griffbereit haben. Dabei ist gründliches Händewaschen mit Seife völlig ausreichend. Die lipophilen Anteile der Seifen machen Fett und Öl wasserlöslich. Auch Haushaltsbakterien und -viren werden von Seife problemlos beseitigt.

Mindestens fünfmal am Tag, besser aber öfter, sollte man sich die Hände waschen:
• Beim Nachhause kommen
• Vor dem Kochen
• Vor dem Essen
• Nach dem Gang auf die Toilette
• Nach dem Naseputzen, Husten, Niesen
• Nach dem Kontakt mit Tieren
• Nach dem Kontakt mit Geld
• Vor und nach einem Krankenbesuch

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) macht darauf aufmerksam, dass nur 81,4 Prozent der Bevölkerung den Hinweis, sich 20 Sekunden die Hände zu waschen, umsetzen. Obwohl mit 91,8 Prozent der Großteil die Bedeutung dieser Schutzmaßnahme kennt. Das zeigen Ergebnisse der aktuellen Befragungswelle des COVID-19 Snapshot Monitorings der Universität Erfurt, an dem die BZgA beteiligt ist. Um die Bevölkerung – insbesondere in der Coronavirus-Pandemie – stärker für die Händehygiene zu sensibilisieren, motiviert sie mit der Plakatserie „Wo waren deine Hände heute?“. Professor Dr. med. Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA, erklärt dazu:

Durch gründliches Händewaschen mit Seife für mindestens 20 Sekunden lassen sich die meisten Krankheitserreger nahezu vollständig entfernen. Die Übertragung von Infektionskrankheiten kann so wirksam unterbrochen werden – das ist gerade jetzt in Zeiten der Coronavirus-Pandemie wichtig.

Vorsicht ist geboten bei antibakteriellen Reinigern, denn sie können die nützlichen Bakterien der Hautflora schädigen und Allergien und Ekzeme auslösen. Zudem können sie die Abwehrkräfte angreifen und damit die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhen. Einige Desinfektionsmittel gelten sogar als möglicherweise erbgutverändernd und krebserregend.

Was passiert beim Händedesinfizieren?
Die meisten Handdesinfektionsmittel basieren auf Alkohol, dieser trocknet bei häufigem Gebrauch die Hände aus. Egal ob in der Krankenpflege, in der Arztpraxis oder in anderen Berufen der Gesundheitsbranche: Alle Personen, die in diesem Umfeld arbeiten, lernen, dass Handdesinfektionsmittel die wichtigste Maßnahme gegen Keimübertragungen darstellen.

Doch was sich in Arztpraxen, Kliniken und Heimen bewährt, wird seit einiger Zeit auf den Alltag ausgeweitet. Neuerdings hängen Desinfektionsmittel auch in den Toilettenräumen von Restaurants, Raststätten und Büros. In den Jacken- und Handtaschen findet sich immer häufiger ein handliches Fläschchen mit einem Desinfektionsmittel. Zuhause ersetzen antimikrobielle Produkte die Seifen aus natürlichen Produkten oder die rückfettenden Waschlotionen. Die Verkaufszahlen für desinfizierende Produkte sind innerhalb der letzten Jahre um 71,2 Prozent gestiegen, zeigt eine Studie des Marktforschungsunternehmens Nielsen.

Doch wie gesund ist das ständige Desinfizieren unserer Hände? Die Haut wird spröde und rissig und dadurch erst recht durchlässig für Krankheitserreger. Zudem töten Desinfektionsmittel auch Keime ab, die eigentlich gut sind. Darunter leidet das natürliche Gleichgewicht der Haut, die Mikroorganismen können Toleranzen gegen bestimmte Wirkstoffe bilden. Das macht die Haut auf Dauer sogar anfälliger für Infektionen.

Wann ist Händedesinfizieren sinnvoll?
In einigen Situationen kann die Verwendung von Handdesinfektionsmitteln dennoch sinnvoll sein. Zum Beispiel in Krankenhäusern und im Umgang mit Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, um diese nicht zusätzlich mit Keimen zu belasten. In Frage kommen alle Präparate der vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichten „Liste der geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel und –verfahren“. Dazu gehören unter anderem:

  • aus der Gruppe der Alkohole Desderman® oder Sterillium®
  • aus der Gruppe der Halogene Braunol® oder Chloramin T-Lysoform®
  • aus der Gruppe der „Sonstigen“ primasept med® oder Wolfasteril®

Bei Reisen in Länder mit schlechten hygienischen Bedingungen kann der Gebrauch eines Handdesinfektionsmittels ebenfalls sinnvoll sein. Welches Mittel am sinnvollsten ist, hängt von den Keimen im Zielland ab: Reicht eine bakterizide Lösung, muss sie begrenzt viruzid oder viruzid sein?

Desinfektionsmittel belasten die Umwelt
Die Verwendung von Desinfektionsmitteln hat schwerwiegende Konsequenzen für die Umwelt. Gelangen sie über den Abfluss in die Klärwerke, töten sie dort die kleinen Wasserorganismen, die beim Reinigungsprozess des Wassers helfen. Forscher konnten bereits Rückstände von bedenklichen Stoffen wie Triclosan und Chlorofen aus hochpotenten Reinigungsmitteln in Gewässern, Klärschlamm und Fischen nachweisen. Langfristig haben Desinfektionsmittel im Abwasser zudem zur Folge, dass sie Resistenzen fördern. Bakterien bilden Abwehrmechanismen gegen die Mittel, sie vermehren sich und geben ihre Resistenz weiter. Besonders gefährlich wird es, wenn Kreuzresistenzen zu Antibiotika entstehen, die das Bakterium auf die gleiche Weise angreifen wie das Desinfektionsmittel. Statt uns zu schützen, erschaffen wir durch die ständige Anwendung antibakterieller Stoffe gefährliche, schwer zu besiegende Keime.

Werner Hilbig,
Apotheker/Journalist

Quellen:

projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/topic/wissen-verhalten/30-schutzmassnahmen/


www.infektionsschutz.de/mediathek/printmaterialien/detail.html


www.fr.de/wirtschaft/mehr-umsatz-handdesinfektionsmitteln-11030890.amp.html


edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/5723/2017_Article_ListeDerVomRobertKoch-Institut.pdf

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