Bogenschütze© Bildarchiv Deutsche Rentenversicherung Westfalen

Bogenschießen

MIT DEM BOGEN ZUR RICHTIGEN HALTUNG

Wenn Oltmann Lehners Pfeile und Bögen auspackt, stehen auf dem Platz mit den drei Bogenscheiben in Bad Rothenfelde Menschen, die diesen Sport vom Arzt der Klinik Münsterland verordnet bekommen haben. Sie haben „Rücken“.

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Häufig wird die Volkskrankheit durch eine einseitige Haltung auf dem Bürostuhl und durch zu wenig Bewegung ausgelöst. Aber auch Haltungsschäden, erblich bedingt oder etwa durch einseitige Arbeitsbelastung, können der Grund für orthopädische Kuren sein. „Es sind Patienten, die nach aktuellen Ereignissen zu uns kommen“, sagt Oltmann Lehners, der als Sportlehrer für die Durchführung der sportlichen Therapieangebote zuständig ist. „Zustände nach Bandscheibenvorfällen, nach Bandscheibenoperationen, nach einer Knochenfraktur im Rückenbereich, bei Verschleiß und Instabilität, das sind die Ausgangssituationen vor dem Aufenthalt bei uns.“

Drei bis vier Wochen dauert dieser in der Regel, nur nach Amputationen sind es sechs bis acht Wochen. Eine Fülle von Angeboten wartet auf die Patienten. Gymnastik in der Halle und im Schwimmbad, Gerätetraining unter Anleitung von Krankengymnasten, ein spezielles Gehtraining und für diejenigen, denen es schon besser geht, gibt es zusätzlich Aquajogging, Klettern, Ergometertraining und physikalische Therapien wie Fangopackungen oder die Stimulierung durch elektrische Reize.

Und es gibt eben Bogenschießen. „Dabei kann die gute Haltung geschult werden“, erläutert Lehners den Grund, warum diese Sportart in den Kanon der Anwendungen aufgenommen wurde und schon seit Mitte der 1990er-Jahre dazu gehört. „Damals haben die früheren Kollegen, die schon Bogenschützen waren, überlegt und angeregt, diesen Sport mit in unser Programm aufzunehmen.“ Seither ist er nicht mehr wegzudenken.

Rückenmuskeln werden trainiert Schon das stabile Stehen, für das Bogenschießen unabdingbar, ist für viele Patienten ein Problem und muss trainiert werden. Das gilt insbesondere auch für Beinamputierte, die sich an eine Prothese gewöhnen müssen. „Diese Menschen bekommen ja von ihrem kranken Bein keine Rückmeldung über ihren Stand, weil es keine Nervenstränge mehr bis zum Fuß hinunter gibt“, erläutert Oltmann Lehners.

„Sie müssen sich an den richtigen Stand gewöhnen, indem sie das gesunde Bein so schulen, dass sie genügend Rückmeldungen erhalten und damit die richtige Position finden.“ Wichtig für alle Patienten ist die Beanspruchung der Muskeln im Rückenbereich, wenn der Bogen ausgezogen wird. „Die Muskeln werden trainiert, es ist eine dynamische Übung“, verdeutlicht der Sportlehrer, der vor allem auf eine korrekte, also für die Haltung richtige Bewegungsausführung achtet.

„Durch das Training wird der gesamte Stützapparat der Wirbelsäule und Bandscheiben gestärkt, und durch die vermehrte und härtere Muskeltätigkeit verbessert sich die Haltung.“

Tolle Erfahrung „Natürlich können wir kein Training im herkömmlichen Sinn anbieten, aber wir befähigen unsere Patienten schon dazu, dass sie schießen können.“ Die Scheiben stehen in Entfernungen von 10, 17 und 25 Metern, es wird also langsam anspruchsvoll gegen Ende der Kur. Und es stellt eine interessante Erfahrung dar. „Das ist eine nicht so anstrengende Therapie“, sagen viele. „Es ist toll, es macht Spaß.“

Doch am Ende, wenn sie eine Dreiviertelstunde den Bogen wieder und wieder gespannt haben, gezielt und losgelassen, dann merken sie auf einmal: „Das ist ja doch anstrengend.“ Der ehemalige Patient Dieter Schnepel berichtet: „Ich fühlte mich in meine Jugendzeit zurückversetzt, als wir früher Winnetou und Old Shatterhand gespielt hatten. Jetzt schossen wir mit dem Blankbogen auf Scheiben. Auch kleine Federbälle, die auf den Toren platziert waren, wurden abgeschossen. Es war ein Heidenspaß und leider nach knapp einer Stunde Therapiezeit viel zu schnell vorbei.“

Tipps für die „Bogensportkarriere“ Etwas Neues kennenzulernen bedeutet für viele der Patienten eine interessante Anregung und damit einen mentalen Kick nach einer in der Regel schwierigen Zeit mit Schmerzen und Operationen. Diese neue Erfahrung möchten einige aus den Kursen weiter sammeln und verlassen die Klinik mit der Ankündigung, sich in heimischer Umgebung nach einem Bogensportklub umzuschauen. „Wie viele dies wirklich umsetzen, wenn sie sich in der Mühle des normalen Alltags wiederfinden, lässt sich natürlich schwer sagen“, meint Sportlehrer Oltmann Lehners.

Dieter Schnepel hat es mit seinen 50 Jahren getan, suchte sich nach der Therapie einen Verein und fand ihn im FC Pfeil Broistedt. Er lernte die Technik ganz neu, hatte zunächst Ängste, er könne sich blamieren und würde aufgrund seiner Behinderung – er ist beinamputiert – vielleicht missachtet. Doch das Ergebnis ist ein ganz anderes: „Menschen mit einer Behinderung sollten den Mut haben, sich zu engagieren. Zu engagieren in einer Sportart, in welcher eine Körperbehinderung kein Grund ist, sich sportlich auszuschließen. Im Gegenteil, ich habe in und mit der Gemeinschaft der Bogenschützen so viel Unterstützung, aber auch Anerkennung für meine Leistungen erhalten, die ich niemals mehr missen möchte.“

Schnepel, der lange zweifelte, hat es sogar bis zur Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften der Behinderten gebracht. Sportlehrer Lehners leistet, wenn der Wunsch auf Fortsetzung der „Bogensportkarriere‘“ auch außerhalb der Klinik besteht, gern Beratung. „Wir empfehlen, sich nicht zunächst Material zu kaufen, sondern in einem Bogensportklub auszutesten, wie sehr die Ex-Patienten diesen Sport wirklich mögen und auch das dazugehörige Vereinsleben. Und sie müssen dort das Bogenschießen auch erst einmal vernünftig erlernen.“

Erst danach sollten sich die einstigen Patienten, so der Rat, zielgerichtet mit eigenem Material eindecken und sich beim Kauf auch eingehend beraten lassen. Oltmann Lehners ist ein Verfechter der These, dass man mit dem Beginn des Bogenschießens nicht warten sollte, bis der Rücken schmerzt. „Gerade für die Schreibtischtäter eignet sich dieser Sport auch hervorragend in der Prophylaxe.“

Er habe einen hohen Wert für die Haltung, außerdem sorge er für eine gesteigerte Entspannung und zugleich eine Schulung der Konzentrationsfähigkeit. Aber der Sportlehrer empfiehlt zusätzlich: „Man sollte noch eine aktive Komponente hinzufügen, etwa zum Bogenplatz wandern oder mit dem Fahrrad fahren.“ Denn bei aller Haltungsförderung darf auch das Training des allgemeinen Herz-Kreislauf-Systems nicht zu kurz kommen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 04/2022 ab Seite 122.

Harald Strier, freier Redakteur

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