Frau tastet ihre Brust ab© MARIIA MALYSHEVA / iStock / Getty Images Plus
Regelmäßiges Abtasten der Brust kann dabei helfen, einen Knoten in der Brust frühzeitig zu finden und zu therapieren.

Hormonkonzentration

BRUSTKREBS WANDERT NACHTS

Dass Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung in Deutschland bei Frauen ist, ist nicht neu. Wohl aber, dass er vor allem im Schlaf eine bösartige Wanderlust entwickelt, wodurch die Ausbreitung durch die Bildung von Metastasen voranschreitet. 

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Eine von acht Frauen erhält im Laufe ihres Lebens die Diagnose Mammakarzinom. Als wäre ein solcher Befund nicht schon schlimm genug für die Betroffenen, erhalten viele Frauen zusätzlich das Untersuchungsergebnis: „Der Krebs hat metastasiert “. Die Überlebenschancen verändern sich drastisch, wenn ein Primärtumor Metastasen im Körper gebildet hat. 

Wird das Mammakarzinom in einem frühen Stadium erkannt, haben die Patientinnen oft gute Überlebenschancen. Ernst wird es erst, sobald sich sogenannte zirkulierende Krebszellen vom Primärtumor lösen, über Blutgefäße durch den Körper wandern und letztlich in anderen Organen neue Tumore bilden. 

Einfluss der Tageszeit spielt wichtige Rolle

Ob und warum es zu Metastasen kommt oder nicht, steht daher bereits seit Jahren im Zentrum der Arbeit der Krebsforschung. Der Einfluss der Tageszeit hat dabei bislang kaum eine nennenswerte Rolle gespielt. Bis jetzt. Ein Forscherteam um Nicola Aceto von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) ist bei ihrer Arbeit zufällig auf diesen Aspekt gestoßen. „Einige meiner Kollegen arbeiten frühmorgens oder spätabends und manchmal analysieren sie auch Blutproben zu ganz ungewöhnlichen Zeiten“, so der Krebsforscher. Die Forscher haben festgestellt, dass die zu unterschiedlichen Tageszeiten entnommenen Proben sehr unterschiedliche Mengen an zirkulierenden Krebszellen aufwiesen. Diesen neuen Faktor galt es nun genauer unter die Lupe zu nehmen. 
 

Gefährliche Zellen erwachen im Schlaf

Um herauszufinden, ob die Tageszeit ein entscheidender Faktor ist oder nicht, entnahmen die Wissenschaftler zu unterschiedlichen Zeitpunkten Blutproben von 30 Personen mit Brustkrebs. Eine Entnahme erfolgte um vier Uhr morgens und eine um zehn Uhr vormittags. So kann man gut eine Zeit der Ruhe einer aktiven Phase des Körpers gegenüberstellen. Im Anschluss wurde der Gehalt an zirkulierenden Krebszellen (CTCs) in den Proben bestimmt. 

Die Auswertung der Proben zeigte, dass in der Ruhephase wesentlich mehr potenziell gefährliche Zellen im Körper umherwanderten, als in der aktiven Phase um zehn Uhr vormittags. Das Forscherteam setzte nun zur Überprüfung ihrer Ergebnisse ein Mausmodell ein, das diese Diagnose bestätigte. Die CTC-Konzentration im Blut der Mäuse war schwankend und erreichte ihren Gipfel, als die Tiere sich in der Ruhephase befanden.
 

Zellen sind nachts besonders aggressiv

Die CTC-Konzentrationen wurden von den Forschern auch festgehalten, wenn die zirkadianen Rhythmen der Untersuchungsmäuse gestört wurden. Als Beispiele wären hier das Schlafhormon Melatonin oder die Veränderungen der Lichtzyklen zu nennen. Für Aceto und sein Team kristallisierte sich immer deutlicher heraus: „Im Schlaf erwacht der Tumor“. 

„Unsere Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass das Entweichen von zirkulierenden Krebszellen aus dem ursprünglichen Tumor durch Hormone wie Melatonin gesteuert wird, die unseren Tag- und Nachtrhythmus bestimmen“, erklärte die Erstautorin der Studie Zoi Diamantopoulou von der ETH Zürich. Wirft man weiter einen Blick auf die Genaktivität in den CTCs, wird deutlich, dass Zellen, die den Tumor nachts im Schlaf verlassen, sehr aggressiv sind, dass sie in der Lage sind, sich schneller zu teilen.  Dadurch haben sie ein höheres Potenzial, Metastasen zu entwickeln als zirkulierende Zellen, die ein Tumor tagsüber aufweist.
 

Große Bedeutung für Diagnose und Behandlung

Die Ergebnisse dieser Untersuchung können den Forschern zufolge eine wesentliche Bedeutung für die Überwachung der Entwicklung von Brustkrebs sowie deren Behandlung haben. Es wird deutlich, dass der Zeitpunkt der Entnahme von Tumor- und Blutproben den Befund enorm beeinflussen kann. „Unserer Ansicht nach verdeutlichen unsere Ergebnisse, dass medizinisches Fachpersonal die Zeit, zu der es Biopsien durchführt, systematisch aufzeichnen sollte. Das könnte dazu beitragen, die Daten wirklich vergleichbar zu machen“, erklärt Aceto.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für einen möglichen Behandlungserfolg von Krebstherapien scheint die Tageszeit zu sein. In weiteren Untersuchungen soll nun herausgefunden werden, wie die gewonnenen Erkenntnisse in bereits bestehende Krebsbehandlungen integriert werden können, um Therapien zu verbessern. Eine weitere Frage rückt für die Forscher in den Vordergrund: Inwieweit ist die Neigung zur Metastasierung auch bei anderen Krebsarten vom zirkadianen Rhythmus der Patienten abhängig?

Quelle:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/brustkrebs-erwacht-im-schlaf/
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04875-y

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