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Kolumne | Holger Schulze

GANZ SCHÖN TRAURIG

Eine Tragödie anzusehen, kann einen emotional sehr mitnehmen. Aber machen solche Geschichten einfach nur traurig oder haben sie vielleicht auch eine nützliche Funktion?

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Kennen Sie das auch? Man trifft sich mit ein paar Freunden zu einem Videoabend oder Kinobesuch, um sich gemeinsam in die Fantasiewelt eines Filmemachers zu begeben. Vielen von uns macht es in Gesellschaft eben einfach mehr Spaß, sich von spannenden, lustigen oder auch traurigen Geschichten unterhalten zu lassen.

Haben Sie sich da in letzterem Fall, nachdem Sie sich eine besonders bewegende Tragödie angeschaut hatten, nicht auch schon einmal gefragt, warum man sich das eigentlich antut: Den Abend im Freundeskreis verbringen, nur um am Ende niedergeschlagen und traurig zu sein, weil einen der Film emotional so mitgenommen hat? Wenn die negativen Emotionen, die tragische Geschichten in uns auslösen, wirklich deren einzige Funktion wären, würden wir uns dem kaum regelmäßig aussetzen, und tatsächlich ist das Geschichtenerzählen wichtiger Bestandteil aller Kulturkreise.

Was also bringt es uns, so etwas anzuschauen? Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, haben britische Forscher unlängst Gruppen von Personen untersucht, nachdem sie diesen verschiedene Filme vorgeführt hatten. Verglichen wurden Reaktionen auf eine emotional neutrale Dokumentation mit denen einer emotional sehr negativ bewegenden Tragödie.

Wie sich zeigte hatte der traurige Film, neben der Tatsache, dass er die Zuschauer zu Tränen rührte, zwei interessante Wirkungen, die die Dokumentation nicht auszulösen vermochte: Zum einen zeigten die Testpersonen ein verstärktes Gefühl der Verbundenheit mit der Gruppe, zum anderen ließen sich erhöhte Schmerztoleranzen nachweisen, mit anderen Worten, sie wurden unempfindlicher gegenüber physischem Schmerz. Wie es scheint, fördern traurige Geschichten also die soziale Bindung innerhalb einer Gruppe und machen die einzelnen Gruppenmitglieder gleichzeitig widerstandsfähiger.

Eine wertvolle Funktion also, die einer Gruppe Vorteile in Konkurrenz gegenüber anderen Gruppen, die diesen Mechanismus nicht nutzen, bringen sollte, und die sich evolutiv betrachtet daher früh herausgebildet haben dürfte, als unsere Vorfahren noch in Sippen um die Lagerfeuer saßen. Allerdings tritt diese Wirkung auch nur bei Individuen ein, die tatsächlich emotional von der Geschichte bewegt werden.

Aus neurobiologischer Sicht wird vermutet, dass durch die starken Emotionen während des Betrachtens des Films Endorphine ausgeschüttet werden. Dabei handelt es sich um körpereigene Opiate, die in der Hypophyse und dem Hypothalamus produziert werden und an Opioidrezeptoren, zum Beispiel im Rückenmark, binden können, wo sie die Schmerzweiterleitung reduzieren. Gleichzeitig fördern sie auch die soziale Bindung unter Primaten.

Die beschriebenen Wirkungen trauriger Geschichten ließen sich also vollständig durch eine Aktivierung der Endorphinausschüttung im Gehirn erklären. Allerdings bewirken Komödien ebenfalls eine derartige Endorphinaktivierung, sodass wir den gleichen Effekt auch mit Filmen erzielen könnten, die uns zum Lachen bringen und gute Laune machen. Eine bessere Wahl, finden Sie nicht auch?

ZUR PERSON

Prof. Dr. Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches MItglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.

www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 ab Seite 12.

Prof. Dr. Holger Schulze

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