© Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE – TEIL 5

Seite 2/2 14 Minuten

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Em rauschte eine Stunde später herein. Sie hatte eine Brötchentüte im Gepäck, die Kamera hing ihr um den Hals und sie quasselte dabei auch noch ins Handy. Britta schaute belustigt zu, wie sich die junge Journalistin in den Besuchersessel fallen ließ und dabei etwas verlegen das Brötchen tiefer in die geräumige Handtasche stopfte. „Ich hab solchen Hunger“, sagte Em. „Ich habe geschlagene zwei Stunden bei der Industrie- und Handelskammer verbracht. Die haben einen neuen Präsidenten bekommen. Und gleichzeitig war nebenan auch noch eine Freisprechung. Hilfe! Ich hab so viele Fotos gemacht, dass ich die Namen hinterher garantiert wieder durcheinanderkriege.“ „Du Arme“, sagte Britta. „Kaffee?“ „Oh ja! Und dann erzähle ich dir, was ich heute Morgen herausbekommen habe.“

Es war gar nicht so einfach, die junge Frau zu verstehen, denn sie redete während sie große Happen abbiss und gleichzeitig mit Kaffee nachspülte. Doch Em steckte so voller Neuigkeiten, dass sie nicht warten konnte. „Also, der Kollege Hein, der Markus, der war gestern bei den Wennerholds. Ich hab ihn geschickt, weil er wahrscheinlich der einzige ist, der den Forschungsschwerpunkt von dem versteht. Er hat mit Wennerhold gesprochen und dabei auch seine Frau kennen gelernt. Er hat sie wiedererkannt.“ „Woher?“ „Als Markus` Frau im vergangenen Jahr im Krankenhaus lag, war Frau Wennerhold ihre Bettnachbarin.“ „Na sowas“, sagte Britta.

„Ihr war das ein bisschen unangenehm, dass Markus sie wiedererkannte, sie reagierte sehr verhalten. Wollte auch nicht mit aufs Foto. Auf jeden Fall hat Markus abends nochmal seine Frau gefragt. Sie erinnerte sich, weil das damals wirklich eine dolle Geschichte war. Miriam Wennerhold hat ihr alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut.“ „Das klingt ja spannend.“ Em schaute zur Tür. Sie war fest verschlossen. Sie senkte unwillkürlich die Stimme ein weg. „Ist es auch. Also, die Frau von unserem berühmten Doktor hatte sich selbst in die Klinik eingewiesen, weil sie unter Myomen litt und sich die entfernen ließ. Das hat sie zumindest ihrem Mann erzählt.“ Britta merkte plötzlich, wie es an ihrer Wirbelsäule entlang prickelte.

„Aber in Wirklichkeit hat sie sich einer Abtreibung unterzogen, in einem sehr frühen Stadium.“ „Bitte?“ Britta krächzte. „Wollte sie kein Kind von ihrem Mann?“ Em lehnte sich ein wenig zurück. „Der war doch gar nicht der Vater. Und da sich Tommy Wennerhold zum Zeitpunkt der Zeugung in den USA aufgehalten hat, wäre es ihm auch aufgefallen, der kann ja rechnen.“ „Du willst doch nicht sagen…“ „Doch. Miriam Wennerhold hat an derselben Klinik wie Ferdinand gearbeitet. Ihr Mann hat in Chicago an seinen Forschungen rumgedoktert. Und dann ist sie schwach geworden.“ „Woher willst du wissen, dass das Kind von Ferdinand war?“ „Weil sie es Markus` Frau gesagt hat. Übrigens war Miriam gar nicht gut auf den Ferdinand zu sprechen. Der hat sie wohl total im Regen stehen lassen, als sie ihm sagte, dass sie schwanger sei.“

Britta lehnte sich nachdenklich in ihrem Bürostuhl zurück. Sie musste jetzt mal die Fäden ordnen, das wurde ja alles immer verworrener. „Also“, sagte sie: „Als der Mord passierte, saßen drei Paare am Tisch: Robert und ich, Albert Zurmuehl-Wiedenhausen mit seiner Gertrud, Dr. Wennerhold mit der schönen Miriam. Außerdem noch Jeanette Scholz, die Klinikapothekerin. Und du. Der Präsident hielt die Ansprache. Wenn es stimmt, was die Scholz sagt, muss irgendjemand das Döschen mit dem Lactase-Pulver in ihrer Tasche ausgetauscht haben, in eines von den genormten weiß-roten Apothekenkruken, das genauso aussah wie das Original. Albert Zurmuehl-Wiedenhausen ist ein versponnener Wissenschaftler, der nicht mal merken würde, wenn vor ihm jemand eine Handgranate zünden würde. Die gute Gertrud gibt die perfekte Ehefrau, die ihm den Rücken freihält, wurde aber von Elisabeth von der Leyden als berechnend beschrieben. Thomas Wennerhold war zu oft von zuhause weg – vielleicht hat er aber doch mitgekriegt, dass seine Gattin von Hans Ferdinand geschwängert wurde. Wer weiß das?“

„Die einzige, die wir noch nicht direkt gesprochen haben“, konterte Em, „ist Jeanette Scholz.“ Und fügte hinzu: „Sie sitzt ja in Untersuchungshaft.“ „Liebe Em“, sagte Britta gemütlich, „hast du schon mal jemanden im Gefängnis besucht?“ „Jawoll“, antwortete Em mit blitzenden Augen. „Ich hab mal eine Reportage gemacht über Frauen, die sich mit Strafgefangenen anfreunden und denen immer Briefe schreiben. Dazu hab ich sogar mit einem Knasti gesprochen.“ „Super. Wie läuft das?“ „Du musst eine Besuchserlaubnis beantragen, dazu musst du das Aktenzeichen kennen, das ist aber kein Problem, ich hab da jemanden, der das rauskriegt. Die dürfen nur drei Besuche von Außenstehenden bekommen, der Anwalt ist davon aufgenommen. Wollen wir mal hoffen, dass die drei Besuche noch nicht vergeben sind. Wenn du drin bist, darfst du mit dem… äh… Insassen nicht über die Tat selbst sprechen. Es steht immer ein Justizbeamter dabei und der kriegt alles mit.“

„Aber du könntest mit ihr, zum Beispiel, über ihre Beziehung zu Hans Ferdinand sprechen? So ein bisschen stöbern?“ „Ja, ich krieg das schon hin.“ Britta sah sie freundlich an. „Du liebst deinen Beruf, nicht wahr?“ Ems strahlende Augen hefteten sich auf die Apothekerin wie zwei Laserstrahlen. „Es gibt keinen Schöneren. Wirklich, man fühlt sich so lebendig.“ Und dann setzte sie hinzu: „Wann sonst kannst du so ungehemmt neugierig sein und bekommst auch noch Geld dafür?“ Die beiden Frauen lachten los. „Das ist eine interessante Sicht auf deinen Beruf“, gluckste Britta. „Aber, sag mal, ist das nicht so ein bisschen wie… Landarzt? Immer im Einsatz, rund um die Uhr?“ Em wurde wieder ernst. „Ja“, sagte sie.

„Ein Journalist hat immer die Ohren und Augen offen zu halten. Und Familie kannst du vergessen in unserem Beruf. Halbtags arbeiten geht nicht. Da beneide ich euch wirklich. Wenn deine Annette ihr Kind bekommen hat, ist das doch kein Problem mit Teilzeit, oder?“ „Nein, eigentlich nicht. Ich muss mich allerdings um eine zweite PTA bemühen, aber das sollte zu schaffen sein.“ Em nickte versonnen. Dann sammelte sie ihre Brötchentüte ein und wischte die Krümel vom Sessel. „Sorry für die Unordnung.“ Sie hielt kurz inne: „Ach, mir ist noch was eingefallen, das hab ich dir noch gar nicht erzählt. Bei einem meiner letzten Besuche bei Hans kam Gertrud aus seinem Büro gerauscht.

Sie hatte die Haare damals anders, deswegen musste ich erstmal nachdenken, woher ich sie kannte.“ „Und?“ fragte Britta elektrisiert. „Nix und. Die rannte an mir vorbei, verkniffen und faltig wie immer, und würdigte mich keines Blickes.“ „Was hat Gertrud Zurmuehl-Wiedenhausen in Hans Ferdinands Büro gemacht?“ Die beiden Frauen sahen sich ratlos an. „Pass auf“, sagte Em. „Ich kümmere mich um die Scholz. Und die gute Gertrud – wir können da unmöglich nochmal auftauchen. Wie wär`s, wenn du die alte Freifrau ein zweites Mal besuchst? Vielleicht erzählt sie dir noch ein paar Döntjes aus der gemeinsamen Vergangenheit.“

Britta nickte langsam. „Und vergiss nicht – auf dem Sommerfest der Frankfurter Zeitung hast du sie alle beisammen und dann wirst du Gertrud in aller Unschuld noch ein paar Fragen stellen können.“ „Okay“, sagte Britta. „Fragt sich nur welche. Wenn Ferdinand mit der auch was am Laufen hatte, fall ich um.“ „Glaub ich nicht“, sagte Em. „Er hatte durchaus einen Sinn für Ästhetik.“ Britta lächelte immer noch vor sich hin, als Emmeline die Apotheke längst verlassen hatte.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Wie geht es weiter? Lesen Sie die nächste Folge unseres Apothekenkrimis „Die Spanische Fliege“ in unserer Juli-Ausgabe!

Süße Pillen
Zu Gast bei einem visionären Krebsforscher von Dr. Markus Hein 

Thomas Wennerhold, einer von Deutschlands berühmtesten Wissenschaftlern, sitzt entspannt in seinem Wohnzimmer und streichelt die Katze, die auf seinem Schoß sitzt. Sein Forschungsgebiet hat viel mit dieser Katze zu tun. Der Mann irritiert, denn er sieht einem ehemaligen Tagesthemen-Moderator dermaßen ähnlich, dass man ihn glatt verwechseln könnte. Er winkt lächelnd ab: „Ich bin weder verwandt noch verschwägert mit Thomas Roth. Reiner Zufall.“

Wennerhold ist für seine Forschungen auf dem Gebiet der Onkogene erst vor kurzem ausgezeichnet worden. Und was hat das jetzt mit der Katze zu tun? Alles begann damit, dass Wennerholds Katze ein Stückchen Schokolade verschmähte. Da fiel dem studierten Onkologen zum ersten Mal auf, dass Katzen Süßigkeiten deswegen ignorieren, weil sie sie nicht schmecken können – im Gegensatz zum Hund und anderen Säugetieren, Mäusen zum Beispiel – und dem Menschen. „Zucker“, sagt der Wissenschaftler, „bindet an den so genannten T1-Rezeptor, der aktiviert ein bestimmtes Protein, das wiederum einen Transmitter – also eine chemische Überträgersubstanz -losschickt. Diese überträgt dann die Geschmacksinformation „süß“.

Ein Zucker ist auch Bestandteil des Nukleotids Adenosintriphosphat, das wiederum in unserer DNA enthalten ist. Und als Onkologe denke ich daran, dass in Krebszellen eine wichtige Information ausgeschaltet ist: Die der Begrenzung. Sie vermehren sich ungebremst weiter, wir sterben irgendwann an den Metastasen. Wie wäre es, habe ich mich gefragt, wenn man in Krebszellen die Information einschleusen könnte: Hör auf, dich zu teilen.“ Der in Adenosintriphosphat enthaltenen Zuckerart Ribose wurde nun künstlich ein Genschnipsel zugeordnet, der die Vermehrung der Zelle begrenzte. Wennerhold wies nach, dass dies bei Mäusen funktioniert, bei Katzen aber nicht – was wiederum die Beteiligung der T1-Rezeptoren beweist.

Dies ist der eigentlich revolutionäre Forschungsansatz. „Ist für Nicht-Wissenschaftler schwer zu verstehen“, sagt Wennerhold. „Aber vielleicht gibt es eines Tages süß schmeckende Pillen, die das Wachstum der Krebszellen ausschalten. Das ist meine Vision.“ Miriam Wennerhold, Kardiologin und des Forschers Ehefrau, lächelt dazu. Sie hält sich zurück, und doch ist sie eine der führenden Wissenschaftlerinnen, die an der Weiterentwicklung von Stents beteiligt ist. Aber davon möchte sie heute nicht reden: „Mein Mann hat den Preis bekommen, für etwas wirklich Neues, Umwälzendes und ich wünsche mir, dass seine Vision real wird.“ Das wünschen wir uns auch.


Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 ab Seite 100.

„Die Spanische Fliege – Teil 5”

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