Warentisch.© Kostikova / iStock / Getty Images

Selbsterkenntnis

DEN GEFÜHLEN NICHT BLIND VERTRAUEN

Treffen Sie Ihre Entscheidungen rational? Meist reagiert man nur auf Reize von außen. Wer die Reiz-Reaktionsmuster kennt, handelt zielbewusster und -orientierter und kann das Verhalten seiner Mitmenschen besser einschätzen – beruflich und privat.

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Kennen Sie folgende Situation? Sie sind in einem Kaufhaus. Eigentlich suchen Sie Geschenke für Ihre Liebsten. Doch ehe Sie sich versehen, stehen sie vorm Sockenregal und denken „Socken braucht man immer“. Und schon laufen Sie mit drei Paar zur Kasse. Zuhause ärgert Sie der Spontankauf. Denn eigentlich haben Sie genug Socken. Wir verhalten uns im Alltag oft weniger rational als gedacht.

Wir tun Dinge „einfach so“ – scheinbar ohne Grund. Faktisch reagieren wir aber auf Reize von außen, denn: Wenn wir Dinge wahrnehmen, also zum Beispiel etwas hören, sehen oder fühlen, löst dies in unserem Unterbewusstsein Emotionen aus. Und diese Emotionen setzen gewisse Effekte, also Reiz-Reaktionsmuster, bei uns in Gang – fast automatisch. Wenn wir diese Effekte kennen, können wir unser Verhalten steuern. Deshalb seien hier einige wichtige Effekte beschrieben.

Der Herden-Effekt Wann werden bei Ihnen die Mülltonnen geleert? Wissen Sie das stets? Oder stellen Sie Ihre Tonnen einfach vor die Tür, wenn dies auch Ihre Nachbarn tun? Das Verhalten anderer Menschen ist eine wichtige Orientierungshilfe für uns. Der Herden-Effekt hat aber zwei Gesichter: Mal rettet er Leben – etwa, wenn es darum geht, vor Gefahren zu flüchten; mal lässt er uns ins Verderben „laufen“. Zum Beispiel, wenn wir in faule Wertpapiere investieren, weil dies gerade „alle tun“. So vermeiden Sie ihn: Der Herdeneffekt gleicht einem Navigationssystem. Wer von ihm schon einmal in die Irre geführt wurde, prüft seine Aufforderungen – und negiert im Zweifelsfall den Handlungsimpuls.

Der Relativitäts-Effekt Sind 15 Euro zu viel Geld für eine Flasche Wein? Eigentlich schon, finden Sie, während Sie im Supermarkt eine Weinflasche im Regal anschauen. Doch dann sehen Sie daneben zwei weitere Flaschen aus demselben Anbaugebiet, die 12 und 18 Euro kosten. Plötzlich erscheint Ihnen das Preis-Leistungs-Verhältnis angemessen. Also legen Sie die Weinflasche doch in Ihren Einkaufskorb, denn: Wenn kein nennenswerter Qualitätsunterschied erkennbar ist, tendieren die meisten Menschen zur „goldenen Mitte“.

Der Relativitäts-Effekt lässt uns zuweilen das rechte Maß verlieren. So erscheint vielen Menschen eine Schuhcreme für 9,50 Euro günstig, wenn sie gerade ein Paar Schuhe für 220 oder 230 Euro gekauft haben. So vermeiden Sie ihn: Betrachten Sie jede (Kauf-)Entscheidung isoliert. Setzen Sie den Preis in Bezug zu anderen Dingen. Zum Beispiel: Wie lange muss ich dafür arbeiten? Was bekäme ich noch für das Geld?

Der „Wie du mir, so ich dir“-Effekt Wie reagieren Sie in einem Restaurant auf den „Gruß aus der Küche“ oder ein kostenloses Gläschen Schnaps als Digestif? In der Regel revanchieren wir uns hierfür mit einem höheren Trinkgeld. Denn wenn uns eine Person etwas Gutes tut, haben wir oft das Gefühl: Ich stehe in ihrer Schuld. Manchmal nutzen Menschen den „Wie Du mir, so ich Dir“-Effekt aus. Zuweilen fordern sie die „Schuld“ sogar unverblümt ein. „Ich habe Dir auch geholfen, deshalb ...“ So vermeiden Sie ihn: Betrachten Sie Aufmerksamkeiten als das, was sie sind – freiwillige „Geschenke“. Revanchieren Sie sich ruhig dafür – aber freiwillig, nicht aus Verpflichtung.

Der Autoritäts-Effekt Wir ändern unsere Fahrweise meist, wenn wir im Rückspiegel unseres Fahrzeugs ein Polizeiauto erspähen. Ähnlich „unterwürfig“ reagieren wir, wenn eine (Amts-)Person in Uniform uns Anweisungen gibt. Auch akademische Titel, ein selbstbewusstes Auftreten und Statussymbole verleiten uns oft dazu, in anderen Menschen Autoritätspersonen zu sehen. Entsprechend leicht können sie uns (ver-)führen. So vermeiden Sie ihn: Fragen Sie sich, ob die Person wirklich eine Autorität ist – zum Beispiel, weil sie Fachwissen hat? Vertrauen Sie Ihrem Verstand und fragen Sie auch andere Menschen um Rat.

Der Commitment-Effekt Fast alle Menschen wollen konsequent sein und auch so wirken. Deshalb halten wir oft lange an Entscheidungen fest, selbst wenn diese fehlerhaft sind. Der Commitment-Effekt gibt unserem Leben eine Richtung. Er macht uns aber auch anfällig für Täuschungen und (Selbst-)Betrug. So vermeiden Sie ihn: Prüfen Sie regelmäßig, ob Ihre Entscheidungen noch richtig sind. Scheuen Sie sich nicht Ihren Kurs zu korrigieren, sofern nötig.

Der Knappheits-Effekt Warum sind Diamanten so wertvoll? Worin liegt der Mehrwert limitierter Produktserien und -auflagen? Je rarer eine Sache ist (oder erscheint), desto teurer wird sie gehandelt. Auch Hinweise wie „Nur für kurze Zeit“ oder „Nur noch fünf Plätze frei“ bewirken oft, dass uns ein Angebot wertvoller erscheint. Und die Angst, eine Chance zu verpassen, lässt uns dann häufig vorschnell zugreifen, ohne zu prüfen: Brauche oder will ich das wirklich beziehungsweise ist der Preis angemessen? So vermeiden Sie ihn: Fragen Sie sich, ob das Angebot wirklich attraktiv ist. Oder wurde es vielleicht nur künstlich verknappt?

Der Halo-Effekt Warum erachten wir Brillenträger als klug? Und warum trauen wir, Studien zufolge, attraktiven Menschen mehr zu als anderen? Die Ursache ist der Halo- oder Heiligenschein-Effekt. Er lässt uns von bekannten Eigenschaften auf unbekannte schließen. Oft denken wir, wenn wir mit einem Produkt eines Unternehmens zufrieden sind: Auch dessen andere Produkte sind gut. Also kaufen wir sie weitgehend ungeprüft. So vermeiden Sie ihn: Verlassen Sie sich nicht auf den Erst- oder Gesamteindruck. Prüfen Sie alle für Sie relevanten Punkte – einzeln.

Der Sympathie-Effekt Wir verzeihen Menschen schneller, die uns sympathisch sind. Wir vertrauen ihnen auch eher. Deshalb versuchen Spitzen-Verkäufer mit Sympathie zu punkten. Denn sie wissen: Dann kann ich leichter verkaufen. So vermeiden Sie ihn: Prüfen Sie die Vorzüge eines Angebots, Vorschlags oder Produkts gründlich. Bestehen Sie auf eine gewisse Bedenkzeit.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 130.

Joachim Simon, freier Autor

Zum Autor
Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert (www.joachimsimon.info). Er ist Autor des im Haufe-Verlag erschienen Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen“ und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).

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