Denkerpose © bowie15 / iStock / Thinkstock

Andere nehmen uns anders wahr!

DAS UNGEWOHNTE SELBST

Wir nehmen die Welt durch unsere Sinne wahr. Dabei hat jeder Mensch eine sehr genaue Vorstellung von sich selbst als Teil dieser Welt. Diese Wahrnehmung unterscheidet sich aber deutlich von dem, wie uns andere Menschen sehen.

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Kennen Sie das auch? Beim Betrachten der Urlaubsfotos sind Sie mal wieder ausgesprochen unzufrieden damit, wie Sie selbst auf den Fotos aussehen. Überhaupt gibt es selten Bilder, auf denen Sie sich gefallen, weshalb Sie zum Schluss gekommen sind, völlig unfotogen zu sein. Komischerweise gefallen die Aufnahmen von Ihnen Freunden und Verwandten aber sehr gut!

In ähnlicher Weise gibt es oft auch Uneinigkeit über die Bewertung der eigenen Stimme: Diese klingt von Band oder vielleicht sogar in Radio oder Fernsehen „ganz schrecklich und gar nicht nach mir selbst“, während andere Ihnen versichern, dass Sie dort genauso klingen wie sonst auch. Woran liegt das, dass sich die Eigenwahrnehmung so sehr davon unterscheidet, wie andere uns wahrnehmen?

Für das Problem mit der Stimme ist diese Frage schnell beantwortet: Der Schall, der unsere Innenohren erreicht, wird ganz vorwiegend über die Luft übertragen, ein kleinerer Teil erreicht sie allerdings auch über sogenannte Knochenleitung. Dabei wird der Schädelknochen selbst in Schwingungen versetzt und überträgt so die Schallwellen. Im Normalfall ist der Anteil an Knochenleitung aber so gering, dass er praktisch zu vernachlässigen ist.

Ausnahme ist die Wahrnehmung der eigenen Stimme: Diese wird zwar auch außen über die Luft, zu einem gewissen Anteil aber auch über Knochenleitung, gewissermaßen also innen durch den Kopf hindurch an das Ohr geleitet, was im Ergebnis anders klingt. Wir hören uns also anders als andere uns hören. Wenn wir dann eine Aufzeichnung unserer eigenen Stimme hören, spielt die Knochenleitung wieder keine Rolle: Dann hören wir uns so wie andere.

Etwas komplizierter ist die Situation bei der Bewertung des eigenen Gesichts. Um hier die oben beschriebene Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu verstehen, muß man wissen, dass für die Gesichtererkennung die rechte Hirnhälfte dominant ist. Diese sieht aber nur das linke Gesichtsfeld. Wir bewerten fremde Gesichter also vornehmlich nach deren rechten Gesichtshälfte, die wir, wenn uns die Person zugewandt ist, im linken Gesichtsfeld sehen.

Nun kennen wir unser eigenes Gesicht aber vornehmlich aus dem Spiegel, bewerten uns selbst also nach der linken Gesichtshälfte . Auf einem Foto sehen wir unser Bild aber „normal“, so wie andere es sehen. Je asymmetrischer also Ihre beiden Gesichtshälften sind, desto unterschiedlicher werden die Eindrücke sein, die Ihr Spiegelbild bzw. ein Foto Ihres Gesichts vermitteln. Sie selbst werden daher eine Montage, die aus zwei linken Gesichtshälften besteht, Ihrem echten Gesicht als ähnlicher empfinden als Ihre Freunde, die die Montage aus zwei rechten Hälften bevorzugen würden. Fotos und Stimmaufzeichnungen von uns selbst gefallen uns also deshalb nicht, weil sie schlicht ungewohnt sind. Für andere sind sie aber ganz normal, da sie uns immer so wahrnehmen. Und darum wird Ihr Freund das furchtbare Foto auch nicht löschen, weil es ihm einfach gefällt – aber so kennen Sie das sicher auch…

ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/11 auf Seite 12.

Prof. Holger Schulze

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