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Kolumne | Holger Schulze

ALLES NUR GETRÄUMT?

Unter Schlaflosigkeit leidende Menschen haben ein erhöhtes Risiko für körperliche oder geistige Folgeerkrankungen. Dabei könnten sie oft nur träumen, wach zu sein!

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Kennen Sie das auch? Das quälende Gefühl, nachts im Bett wach zu liegen und einfach nicht einschlafen zu können? Man wälzt sich herum, kommt ins Grübeln, ärgert sich vielleicht sogar darüber, dass man wieder einmal keinen Schlaf finden kann, und verringert dadurch freilich die Chancen noch weiter, doch noch einzuschlafen. Etwa ein Drittel der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland leidet unter einer solchen Ein- oder Durchschlafstörung (Insomnie), und mehr als die Hälfte der Betroffenen klagt zusätzlich über schlechte Schlafqualität, wobei Frauen insgesamt doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Die Folgen für den Einzelnen sind neben dem naheliegenden Leistungsabfall eine erhöhte Niedergeschlagenheit bis hin zu Depressionen und Angstzuständen. Die Folgen für die Gesellschaft, gemessen in durch Insomnie verursachte Kosten für unser Gesundheitssystem, liegen bei geschätztem einen Prozent des Bruttosozialprodukts.

Man kann träumen, wach zu sein!

Was aber wäre, wenn sich manch Betroffener die Schlaflosigkeit nur einbildete? Dieser Verdacht beruht auf Beobachtung, dass schlafgestörte Patienten in Befragungen eine selbsteingeschätzte Schlafdauer angaben, die pro Nacht etwa zwei Stunden kürzer war als bei Testpersonen, die angaben, über einen ungestörten Schlaf zu verfügen. Verglich man diese Angaben aber mit objektiven Messungen physiologischer Schlafparameter (Polysomnographie, bestehend u.a. aus Elektroenzephalogramm, Elektrokardiogramm, sowie Messung von Atmung, Blutsauerstoff und Augenbewegungen), so stellte sich heraus, dass dieser Unterschied tatsächlich nur bei rund 30 Minuten pro Nacht lag, weswegen das Phänomen auch als paradoxe Insomnie bezeichnet wird.

Eine mögliche Lösung des Rätsels lieferten unlängst Experimente, in denen gesunde und schlafgestörte Testpersonen unter den kontrollierten Bedingungen eines Schlaflabors zu bestimmten Schlafphasen geweckt wurden. Während sich die Weckschwellen zwischen beiden Gruppen nicht voneinander unterschieden, berichteten Insomniepatienten, die während des REM-Schlafs (REM = rapid eye movement, ein Schlafstadium, dessen Hirnaktivität dem im Wachzustand ähnelt und das häufig mit Träumen assoziiert ist) geweckt wurden besonders häufig, gerade wach gewesen zu sein, obwohl sie das laut Hirnaktivität und weiterer Polysomnographiedaten tatsächlich nicht waren. Wie es scheint, träumten die Patienten nur, wach zu sein!

Zusätzlich waren die Trauminhalte öfters als bei gesunden Schläfern negativ. Wenngleich diese Erkenntnis allein für Betroffene noch keine subjektive Verbesserung ihrer Schlafdauer ergibt, könnte sie mittelfristig doch helfen, die Schlafprobleme zu lindern: Die Angst beim Zubettgehen, wieder schlecht zu schlafen, kann womöglich dazu führen, diese negative Einstellung mit in den Traum zu nehmen und dadurch das Träumen, wach zu sein, erst auslösen. Vielleicht kann das Wissen um diesen paradoxen Effekt aber die Angst lindern und am Ende auch das subjektive Schlafempfinden wieder verbessern – probieren Sie es doch mal aus!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/18 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

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