Das Sticker-Sarkom wurde am Anfang von Hunden übertragen, die mit Menschen auf große Seereise gegangen sind. © agnormark / iStock / Getty Images Plus

Hunde | Krebs

WENN KREBS ANSTECKEND IST

Krebserkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen. Zum Glück sind sie aber bei uns Menschen nicht ansteckend. Das können Hunde leider nicht sagen, denn das sogenannte Sticker-Sarkom wird wie ein Parasit übertragen. Forscher haben sich das Tumorgewebe mal genauer angesehen.

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Zunächst einmal gilt die Frage zu klären, inwieweit sich die menschlichen Krebszellen von dem Tumorgewebe des Sticker-Sarkoms unterscheiden. Krebszellen entstehen durch Mutationen in ihrer DNA, die zu großen Problemen führen. Sie sind bösartig, wuchern und das Immunsystem verliert die Kontrolle. Im schlimmsten Fall entstehen Metastasen im ganzen Körper, die letztlich zum Tod führen. Die ganzen Prozesse geschehen im körpereigenen Gewebe und greifen nicht auf Fremdgewebe über. Ganz anders sieht es a beim Sticker-Sarkom aus. Dieses Tumorgewebe breitet sich durch den Transfer lebender Krebszellen bei der Paarung aus. Als Folge entwickeln sich bei den Hunden Genitaltumoren, die aber in der Regel keine gesundheitlichen Folgen haben. Diese Art des Krebses ist nichts Ungewöhnliches und kommt heutzutage weltweit vor.

Besonders interessant und zugleich auch einzigartig ist die Tatsache, dass die Zellen nicht von dem jeweils betroffenen Hund stammen, sondern von demjenigen, bei dem der Krebs ursprünglich entstanden ist. Das Tumorgewebe bleibt über den Tod des Tieres hinweg bestehen, indem es sich auf andere Hunde ausbreitet. Einziger erkennbarer Unterschied zwischen den Krebszellen der heutigen Trägerhunde und der ursprünglichen Überträger ist eine veränderte DNA, die sich über die Jahre hinweg entwickelt hat.

Forscher fanden diese Krebsform nun so interessant, dass sie klären wollten, wie dieses Tumorgewebe überhaupt entstanden ist und wie es anschließend seinen Verbreitungsweg gefunden hat. Hierfür haben die Wissenschaftler die genetischen Merkmale von Sticker-Sarkomen von 546 Hunden weltweit verglichen. Es galt zu klären, wie das Tumorgewebe entstanden ist und welchen Verbreitungsweg es genommen hat. „Dieser Krebs hat sich auf fast allen Kontinenten ausgebreitet und sich währenddessen weiterentwickelt. In den Veränderungen der DNA spiegelt sich wider, wann das Gewebe bestimmte Regionen erreichte – fast wie in einem historischen Reisetagebuch“, so Co-Autor Adrian Baez-Ortega von der University of Cambridge.

Die Forscher erstellten auf Grundlage der genetischen Daten einen sogenannten phylogenetischen Baum, wo die verschiedenen Mutationen in den Tumoren genau nachvollzogen werden konnten. Aufgrund dieses Stammbaumes kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Krebs vor 4000 bis 8500 Jahren entstanden ist. Wahrscheinlich hat der erste Hund mit dieser Erkrankung in Asien oder Europa gelebt. Richtig Hochkonjunktur hat das Sarkom allerdings erst vor rund 500 Jahren erlebt. Das Tumorgewebe kam zunächst mit den europäischen Siedlern von Europa nach Amerika. Anschließend ging es nach Afrika und letztlich fasste es auf dem indischen Subkontinent Fuß. Es ist klar für die Forscher erkennbar, dass das infektiöse Tumorgewebe von Hunden übertragen wurde, die mit Menschen auf große Seereise gegangen sind.

Doch es ging den Forschern nicht nur um die Ausbreitungsgeschichte. Auch die besondere Genetik der Tumorzellen stand im Fokus des Interesses. Aufgrund der vorhandenen Datenlage konnten die Wissenschaftler die Erkenntnis ziehen, dass lediglich fünf mutierte Gene für die grundlegenden Merkmale des Sticker-Sarkoms verantwortlich sind. Diese sind in allen Proben vorhanden und können daher auf das ursprüngliche Krebsgewebe zurückverfolgt werden. Anhand der Daten ist zudem erkennbar, wie die Tumorzellen im Laufe der Zeit immer mehr Mutationen angesammelt haben. Die UV-Strahlung spielt hierbei eine enorme Rolle. Zudem ist erkennbar, dass Hunde, die näher am Äquator leben, besonders viele Mutationen an ihrem Sticker-Sarkom in sich tragen.

In ihren Untersuchungen sind die Forscher auf eine genetische Besonderheit gestoßen: „Es sieht so aus, als ob der Tumor vor Tausenden von Jahren etwas ausgesetzt war, das für einige Zeit Änderungen an seiner DNA verursachte und dann verschwand. Es ist ein Rätsel, was dieser Faktor gewesen sein könnte. Vielleicht war es etwas in der Umgebung, in der der Krebs entstanden ist“, erklärt Co-Autorin Elizabeth Murchison.

Die Forscher haben eine weitere ungewöhnliche Entdeckung gemacht. So gibt es wohl zwei Hauptarten bei der Entwicklung der Tumore, eine positive und eine negative. Es gibt Mutationen, die einem Organismus einen Vorteil verschaffen und dann über Generationen hinweg verstärkt weitergegeben werden. Hier spricht man von einer positiven Selektion. Bei der negativen Selektion ist es dann genau umgekehrt und Mutationen, die schädliche Auswirkungen haben, werden mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit weitergegeben. Allerdings fanden die Forscher im Erbgut des Tumorgewebes für keinen der beiden Mechanismen einen Hinweis.

Daraus lässt sich für die Forscher schlussfolgern, dass der Tumor im Laufe der Zeit immer mehr schädliche Mutationen ansammelt: „Dieses parasitäre Krebsgewebe hat sich über Tausende von Jahren als bemerkenswert erfolgreich erwiesen, sein Zustand scheint sich aber ganz langsam zu verschlechtern. Das lässt vermuten, dass das Sticker-Sarkom irgendwann einmal verschwindenden wird. Allerdings könnte das noch Zehntausende von Jahren dauern“, so Baez-Ortega abschließend.

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: www.wissenschaft.de



Originalpublikation
: University of Cambridge, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.aau9923

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