Auf einem dunklen Holzschreibtisch liegt ein aufgeschlagenes, dickes Buch. Darum herum stehen ein Kupferkessel, einige Glasphiolen, ein Totenschädel und historische Instrumente.
Früher war vieles anders als heute – auch in Medizin und Pharmazie. © Studio-Annika / iStock / Getty Images Plus

Medizingeschichten

4. JANUAR: LOUIS BRAILLE WIRD 212

Auf jeder Medikamentenpackung finden Sie sie: hervorstehende Pünktchen, die in Blindenschrift den Namen des Arzneimittels darstellen. Doch wer kam eigentlich auf die Idee, eine solche Schrift zu entwickeln?

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Louis Braille, geboren am 4. Januar 1809, verletzte sich in der Sattlerwerkstatt seines Vaters mit einer Ahle am Auge. Eine Ahle ist ein spitz zulaufender Metallstift, den Schuster immer noch zum Stanzen von Löchern in Leder verwenden – geradezu mörderisch, wenn man abrutscht. Der dreijährige Junge verlor im Verlauf der Behandlung beide Augen und war fortan blind. Doch das wissbegierige Kerlchen wollte sich nicht damit abfinden, immer nur vorgelesen zu bekommen. Ab 1819 besuchte er eine Blindenschule, lernte hier das System einer Musikpädagogin kennen, das auf beweglichen Lettern und Noten in einem Setzkasten basierte.

Der Teenager bastelte mit Lederstückchen in der Werkstatt des Vaters herum, stellte geometrische Figuren her und lernte dabei auch noch die militärische „Nachtschrift“ des Artilleriehauptmanns Charles Barbier kennen, ein kompliziertes System aus Punkten und Silben. Braille vereinfachte nun diese Schrift. Er ersetzte Silben durch Buchstaben und reduzierte die Anzahl der Punkte von zwölf auf sechs pro Zeichen, konnte dadurch 64 verschiedene Zeichen eindeutig darstellen. 16 Jahre war er damals alt und hatte bereits seine revolutionäre Lesehilfe für blinde Menschen fix und fertig erfunden!

Erlaubt ist, was funktioniert
Doch die geniale Idee, einen Text mithilfe der Fingerspitzen zu lesen, zündete nicht. Mit 27 Jahren übertrug Braille Werke eines englischen Dichters und versuchte, in einem öffentlichen Vortrag zu beweisen, dass er schnell schreiben und lesen konnte. Doch die Zuschauer glaubten ihm nicht; sie meinten, er habe alles nur auswendig gelernt. Erschwerend kam hinzu, dass der neue Direktor von Brailles Blindenschule die Punktschrift verbot.

Aber die Punktschrift hatte ihre Fans und wurde weiterhin heimlich praktiziert. 1828 erfand der junge Louis auch noch eine auf den sechs Punkten basierende Notenschrift. Sie ist die bis heute perfektionierte und international standardisierte Blinden-Musikschrift. Braille absolvierte daraufhin eine Ausbildung zum Organisten.

Leider starb der geniale Franzose 1852 an Tuberkulose. So erlebte er nicht mehr mit, dass sich seine Blindenschrift international durchsetzte und auch in Deutschland 1879 offiziell eingeführt wurde. Hundert Jahre nach seinem Tod wurde Brailles Körper exhumiert und in das Panthéon nach Paris überführt, in dem alle bedeutenden französischen Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe finden. Seine Hände, die eine so zentrale Bedeutung für seine Erfindung hatten, blieben jedoch in Brailles Heimatort in Coupvray.

Der vierte Januar, sein Geburtstag, steht seit 2001 ganz im Zeichen seiner Schrift und wird als Welt-Braille-Tag begangen.

Die Medizingeschichte von letzter Woche finden Sie hier.

Alexandra Regner,
PTA und Medizinjournalistin

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