Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
DAPs-Punkte

Lebensmittel-Intoleranzen: verstehen, beachten, beraten

Lactose, Fructose, Gluten und Histamin aus Nahrungsmitteln machen immer mehr Menschen zu schaffen. Hier lernen Sie, warum das so ist, worauf Betroffene achten sollten und wie Sie ihnen helfen. 

17 Minuten 100 Punkte

Zöliakie – Gefürchtetes Gluten

Treten Bauchschmerzen nach dem Verzehr von Getreide auf, kann eine Zöliakie zugrunde liegen. Früher wurde sie auch Sprue genannt. Heute werden zunehmend die Begriffe Glutenenteropathie oder glutensensitive Enteropathie verwendet. Etwa 0,7 bis 1,0 Prozent der Bevölkerung sind von dieser chronisch-entzündlichen Darmerkrankung betroffen.

Häufig macht sich die Krankheit bereits im Kindesalter nach Einführung der Beikost durch Gewichtsverlust sowie Gedeih- und Wachstumsstörungen bemerkbar. Sie kann ebenso erst im mittleren Alter ausbrechen und muss sich nicht nur mit gastrointestinalen Problemen bemerkbar machen.

Die Erkrankung kann sich auch außerhalb des Magen-Darm-Traktes manifestieren. Grundsätzlich kann jedes Organ betroffen sein, wobei man über den genauen Pathomechanismus noch diskutiert. Gemeinsam ist allen Formen, dass die Unverträglichkeit ein Leben lang bestehen bleibt. Der Krankheitsentstehung liegt eine genetische Komponente zugrunde. 

Darüber hinaus müssen noch weitere Faktoren hinzukommen, damit eine Zöliakie ausbricht (z. B. Umweltfaktoren, Stillzeit unter vier Monaten, infektiöse Darmerkrankungen). Es handelt sich um eine angeborene Autoimmunerkrankung und damit um eine immunologisch verursachte, jedoch nicht allergische Reaktion gegenüber dem Getreideeiweiß Gluten.

Gluten ist ein Sammelbegriff für die Prolamin- und Glutelin-Eiweißfraktionen verschiedener Getreidearten. 

Es besitzt wichtige backtechnologische Eigenschaften, die für das Aufgehen des Teigs beim Backen verantwortlich sind, weshalb Gluten auch Klebereiweiß genannt wird. Es ist in verschiedenen Getreidesorten zu finden.

Nicht nur der Klassiker

  • Weizen,

sondern auch

  • Dinkel,
  • Gerste,
  • Hafer,
  • Roggen,
  • Grünkern,
  • Triticale

sowie alte Weizensorten wie

  • Einkorn,
  • Emmer und
  • Kamut® (Khorasan-Weizen)

sind glutenhaltig.

Immunologisch vermittelte Entzündungen

Bei Betroffenen setzen bereits kleinste Mengen an Gluten eine Immunreaktion in Gang. Es bilden sich IgA-Antikörper, die sich fälschlicherweise gegen eigenes Mukosagewebe im Darm richten. Folge sind Entzündungen, wodurch die Schleimhaut zurückgeht. Es verkleinern sich sowohl Mikrovilli als auch Zotten, teilweise fast bis zum totalen Verlust (Zottenatrophie). Der Dünndarm kann dadurch seine Aufgaben nicht mehr zufriedenstellend ausführen. 

Folge sind voluminöse Fettstühle und Durchfälle, wobei das Ausmaß unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Langfristiges Problem ist ein Nährstoffmangel mit assoziierten Mangelzuständen (Malabsorptionssyndrom), der sich im Laufe der Zeit durch die verminderte Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen entwickeln kann.

Daneben existiert auch eine atypische Form der Zöliakie, der sich vor allem durch einen Eisenmangel, Müdigkeit sowie depressive Verstimmungen bis hin zu Depressionen auszeichnet.

Davon zu unterschieden ist eine asymptomatische Form, bei der die Betroffenen völlig beschwerdefrei sind (stille Zöliakie).

Die Diagnose wird durch den Nachweis von Zöliakie-spezifischen IgA-Antikörpern gestellt und durch eine endoskopische Biopsie gesichert.

Strikte glutenfreie Diät

Wer glutenintolerant ist, muss glutenhaltige Lebensmittel ein Leben lang meiden, denn Zöliakie ist nicht heilbar. Bei einer glutenfreien Ernährung bessern sich die Symptome bereits wenige Tage nach der Ernährungsumstellung. Bei den meisten Betroffenen bildet sich nach einiger Zeit auch die Atrophie der Dünndarmzotten zurück. Diätfehler zeigen sich hingegen schnell durch erneute gastrointestinale Beschwerden. 

Eine Ernährungsberatung hilft, Zöliakiepatienten nicht nur für glutenhaltige Getreidesorte zu sensibilisieren, sondern auch für die daraus hergestellten Lebensmittel. Denn weil Gluten ein guter Emulgator und Aromaträger ist, findet es sich in vielen verarbeiteten Artikeln, was nicht immer gleich offensichtlich ist. 

Vorsicht ist auch bei Arzneimitteln und Körperpflegeprodukten geboten. Vor allem werden Tabletten und Dragees häufig mithilfe von Weizenstärke hergestellt, aber auch Augen- oder Nasentropfen oder Cremes können Gluten enthalten.

Symbol „glutenfrei“: Durchgestrichene Ähre

Die durchgestrichene Ähre ist das internationale Symbol für „glutenfrei“. Sie wird auf Lebensmitteln abgebildet, die nach EG-Verordnung maximal 20 Milligramm Gluten pro Kilogramm enthalten.

Sonderstellung Hafer
Das glutenfrei-Symbol findet sich auch auf einigen Haferprodukten. Zwar ist Hafer durch seine Prolamin-Fraktion potenziell Zöliakie-auslösend. Allerdings ist die Eiweißfraktion im Hafer deutlich niedriger konzentriert und anders zusammengesetzt als in klassischen glutenhaltigen Getreidesorten.
 Herkömmlich produzierter Hafer ist dennoch stark mit Weizen und/oder Gerste kontaminiert. Nur speziell kontaminationsfrei verarbeiteter Hafer darf sich glutenfrei nennen und für sich das Symbol der durchgestrichenen Ähre beanspruchen.

Abzugrenzen von der Zöliakie sind die Weizenallergie und die Weizensensitivität. Hier spielt Weizen, aber nicht unbedingt Gluten eine Rolle. 

Weizenallergie

Die Weizenallergie ist eine klassische IgE-vermittelte Lebensmittelallergie, bei der sich die Reaktion gegen verschiedene Weizenproteine (z. B. Albumin, Globulin, Gluten) richtet. Die Diagnose wird durch einen Pricktest und den Nachweis von IgE-Antikörpern gestellt. Die Weizenallergie weist ein großes Symptomspektrum auf: von klassischen allergischen Anzeichen wie juckenden Quaddeln und Schwellungen der Schleimhäute über Magen-Darm-Beschwerden bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. 

Circa eine von tausend Personen in Deutschland leidet unter einer Weizenallergie. Betroffene müssen ebenso wie Zöliakiepatienten Produkte aus Weizen meiden. Ebenso ist ein Verzicht auf weizenähnliche Getreidesorten erforderlich, da auch diese unverträglich sein können. Glutenfreie Lebensmittel sind nicht automatisch unbedenklich, da sie theoretisch andere allergene Weizenproteine oder Weizenstärke enthalten können.

Weizensensitivität

Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) spricht von einer Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität. Dabei handelt es sich um eine weder autoimmun noch allergisch vermittelte Unverträglichkeit gegen Weizen. Auch bei dieser Unverträglichkeit reagieren die Betroffenen auf Weizen(-ähnliche) Getreideprodukte:

  • mit Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Verstopfung,
  • aber potenziell auch mit Kopfschmerzen, Benommenheit, Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Hautveränderungen, depressiver Stimmung oder einer Anämie. 

Neben Gluten werden inzwischen werden noch andere Eiweißstoffe aus Weizen und anderen Getreidesorten als Ursache diskutiert:

  • Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATIs: natürliche Eiweiße im Getreide, die als Insektenabwehrstoffe fungieren und gezielt in Getreide hineingezüchtet werden. Sie aktivieren aber auch das angeborene Immunsystems und initiieren damit Entzündungen und verstärken Entzündung- und Autoimmunreaktionen.
  • fermentierte Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole, kurz FODMAPs: Sie gehören zu den Kohlenhydraten. Sie finden sich in glutenhaltigem Getreide sowie in Gemüse, Obst, Süßstoffen und Milchprodukten und können abführend und blähungstreibend wirken.

Die Diagnose ist nicht einfach, da die Unverträglichkeitsreaktionen in ihrer Stärke sowie bei den verschiedenen Getreidesorten und je nach aufgenommener Menge variieren. Spezifische Biomarker, die eine Diagnose sichern, sind bislang nicht bekannt. Weizensensitivität ist daher immer eine Ausschlussdiagnose. Wer an einer Weizensensitivität leidet, profitiert wie ein Zöliakiepatient von einer glutenfreien Diät, wobei ein geringer Verzehr an glutenhaltigem Getreide meist toleriert wird. Es gilt, die individuelle Toleranzgrenze zu ermitteln. 

×