Ängste und Depressionen verstehen und behandeln
21 Minuten
- 1Depression: Definition
- 2Depression: Ursachen
- 3Antidepressiva
- 4Angststörungen
- 5Angststörungen behandeln
- 6Lernerfolgskontrolle
01. Januar 2024
Angststörungen
Nicht selten fühlen sich Menschen mit einer Depression zusätzlich von Angst beherrscht. Eigentlich ist Angst eine natürliche Reaktion, die jeder gut kennt. Angst im gewissen Rahmen ist gesund und sinnvoll, denn sie ist lebensnotwendig. Sie warnt und schützt den Menschen vor bedrohlichen Situationen, auf die er entsprechend reagieren kann. Kurzfristig erhöht sie sogar die Leistungsfähigkeit.
Verliert die Angst aber ihre Schutzfunktion oder steht nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohung, schränkt sie die Lebensqualität des Menschen stark ein. Sein ganzes Denken dreht sich dann ständig um seine Ängste.
Er sucht nach Vermeidungsstrategien, zieht sich sozial zurück und/oder konsumiert exzessiv Genussgifte, um die Angst in den Griff zu bekommen. Die Angst wirkt sich damit also negativ auf die Gesundheit des Betroffenen aus, sie ist krankhaft geworden. In diesen Fällen spricht man von krankhafter Angst beziehungsweise einer Angststörung.
Angststörungen stellen bei uns die häufigste psychische Erkrankung dar. Etwa 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden an einer behandlungsbedürftigen Form, Frauen häufiger als Männer.
Komplexes Geschehen
Die Ursachen für Angststörungen sind vielschichtig. Neben einer genetischen Disposition tragen prägende Umwelteinflüsse wie Stress und belastende Lebensereignisse dazu bei, eine übertriebene, unbegründete Furcht hervorzurufen. Aber nicht jeder reagiert selbst nach traumatischen Ereignissen automatisch mit einer Angststörung.
Angst kommt selten allein. Häufig tritt sie gemeinsam mit einer Depression auf.
Ist die innere Widerstandsfähigkeit groß, lassen sich schwerwiegende seelische Verletzungen ohne dauerhafte Beeinträchtigungen überstehen. Bei sensiblen Menschen hingegen verschärft sich häufig eine Angststörung im Laufe der Zeit weiter. Es entwickelt sich eine Spirale der Angst, bei der sich die übersteigerte Furcht ins Unermessliche zu steigern beginnt.
Boten der Angst
Ähnlich wie bei den Depressionen ist auch bei den Angststörungen das Gleichgewicht von Botenstoffen wie Serotonin, Noradrenalin oder Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Gehirn gestört. Außerdem wurden bei Patienten Veränderungen in bestimmten Gehirnarealen festgestellt, die an einer Angstreaktion beteiligt sind. Vor allem spielen bei der Steuerung von Emotionen die Amygdala (Mandelkern), der präfrontale Kortex (Hirnrinde), Teile des Hirnstamms, der Hippocampus sowie Hypothalamus und Hypophyse eine Rolle.
Schwierige Diagnose
Viele Angststörungen werden gar nicht erkannt und somit nicht adäquat therapiert. Eine Ursache dafür ist, dass der Übergang von der gesunden Furcht in eine über das Maß hinausgehende Angst fließend ist. Zudem möchten viele der Betroffenen nicht über ihre Ängste sprechen, da sie befürchten stigmatisiert zu werden.
Ein weiterer Grund für die hohe Dunkelziffer und unzureichende Behandlung ist, dass Angststörungen mit einer Vielzahl an Symptomen einhergehen, die sich auch körperlich manifestieren und damit auch anderen Erkrankungen zugeordnet werden können. So denken viele Ärzte bei Beschwerden wie beispielsweise Schmerzen, Schlafstörungen oder Verspannungen nicht sofort an eine Angststörung.
Selbst Herzrasen, Schweißausbrüche oder Schwindel werden nicht immer mit ihnen in Verbindung gebracht. Doch vor allem bei langandauernden oder immer wiederkehrenden Symptomen sollte eine psychische Erkrankung in Betracht gezogen werden, ebenso bei bestimmten Krankheitsbildern. Angststörungen entwickeln sich beispielsweise häufig bei Patienten mit Diabetes, Kopf- und Rückenschmerzen, Tumoren oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Gesichter der Angst
Nicht zuletzt wird die Diagnose dadurch erschwert, dass sich die Krankheit in vielen Varianten zeigt. Fachleute unterscheiden prinzipiell
- Panikstörung/Agoraphobie,
- Generalisierte Angststörung,
- soziale Phobie und
- die spezifische Phobie.
Bei der Panikstörung treten heftige Angstanfälle völlig unerwartet auf. Betroffene reagieren mit den unterschiedlichsten Symptomen, beispielsweise mit Herzrasen, Atemnot, Engegefühl oder Übelkeit. Eine derartige Panikattacke kann sich in ihrer Heftigkeit steigern, bis sie meist nach fünf bis zehn Minuten ihren Höhepunkt erreicht hat und nach 30 Minuten wieder abflaut. In Ausnahmefällen kann ein derartiger Anfall auch mehrere Stunden dauern.
Panikattacken werden von den Betroffenen als unkontrollierbar und überwältigend erlebt. Viele berichten, sie hätten das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und wahnsinnig oder ohnmächtig zu werden. Auch wenn derartige Attacken für den Betroffenen wie aus heiterem Himmel erscheinen, werden sie dennoch häufig durch bestimmte Situationen ausgelöst.
Bei zwei Drittel der Fälle ist eine Panikstörung mit Platzangst (Agoraphobie) vergesellschaftet. Dabei haben Betroffene Angst vor Orten oder Situationen wie etwa öffentlichen Verkehrsmitteln oder Menschenmengen. Da der Betroffene dort für sich keine Rückzugsmöglichkeit sieht, erlebt er sie als bedrohlich und quälend. Als Gegenstrategie meidet er solche Situationen.
Platzangst?
Das „Agora“ in Agoraphobie kommt vom griechischen Wort für Marktplatz. Mit dem „Platz“ in Platzangst sind also öffentliche Räume voller Menschen gemeint. Nicht zu verwechseln mit der Angst vor engen, geschlossenen Räumen – das ist die Klaustrophobie, vom lateinischen Wort für Verschluss oder Riegel. Sie gehört zu den spezifischen Phobien. Genau wie die Ligyrophobie, die Angst vor plötzlichen Knallgeräuschen wie Böllern – oder platzenden Luftballons.
Die generalisierte Angststörung ist durch dauerhafte Ängste charakterisiert. Keine anfallsartigen Panikattacken, sondern eine allgegenwärtige, scheinbar grundlose Angst beherrscht die Betroffenen. Sie machen sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen, beispielsweise grübeln sie ständig über Gesundheit, Geld, Familie oder Beruf nach, wobei die Furcht stark übertrieben und unrealistisch ist. Mitunter kreisen ihre Gedanken die Hälfte des Tages um eventuell eintretende Unglücke (z. B. Unfälle, Krankheiten).
Die Betroffenen sind typischerweise motorisch angespannt und klagen häufig über Schlafprobleme. Ziehen sich die Betroffenen wegen ihrer Ängste sozial zurück, ist der Übergang zur Depression fließend. Menschen mit einer sozialen Phobie haben in Situationen Angst, in denen sie befürchten, dass andere Leute negativ über sie urteilen, ihr Aussehen kritisieren oder ihr Verhalten als dumm, peinlich oder ungeschickt ansehen könnten. Vor Zuhörern reden scheint eine unlösbare Aufgabe.
Und bereits eine Unterhaltung kann körperliche Symptome wie Zittern, Übelkeit oder starken Harndrang auslösen. Bei den spezifischen Phobien bestehen Ängste vor bestimmten Dingen oder Situationen, wie beispielsweise Spinnen, Hunden, Naturgewalten (z. B. Gewitter, tiefes Wasser), Höhen oder Spritzen.
Da die jeweiligen Auslöser im Alltag häufig leicht gemieden werden können, sind Betroffene kaum in ihren Alltagsaktivitäten eingeschränkt. Allerdings erleben sie ihre Symptome besonders häufig noch intensiver, wenn Mitmenschen ihre Furcht vor den eher harmlosen Auslösern bemerken.
Erkennen von Angststörungen
Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Angststörung können folgende Fragen aus der S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“ richtungsweisend sein und auf eine bestimmte Form hinweisen:
Panikstörung / Angststörung
Haben Sie plötzliche Zustände, bei denen Sie in Angst und Schrecken versetzt werden, und bei denen Sie unter Symptomen wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot, Todesangst und anderem leiden? Haben Sie in den folgenden Situationen Angst oder Beklemmungsgefühle: Menschenmengen, enge Räume, öffentliche Verkehrsmittel? Vermeiden Sie solche Situationen aus Angst?
Generalisierte Angststörung
Fühlen Sie sich nervös oder angespannt? Machen Sie sich häufig über Dinge mehr Sorgen als andere Menschen? Haben Sie das Gefühl, ständig besorgt zu sein und dies nicht unter Kontrolle zu haben? Befürchten Sie oft, dass ein Unglück passieren könnte?
Soziale Phobie
Haben Sie Angst in Situationen, in denen Sie befürchten, dass andere Leute negativ über Sie urteilen könnten, Ihr Aussehen kritisieren könnten oder Ihr Verhalten als dumm, peinlich oder ungeschickt ansehen könnten?
Spezifische Phobie
Haben Sie starke Angst vor bestimmten Dingen oder Situationen, wie Insekten, Spinnen, Hunden, Katzen, Naturgewalten (Gewitter, tiefes Wasser), Blut, Verletzungen, Spritzen oder Höhen?