Eine angelegte Bakterienkultur kann bei der Auswahl des passenden Antibiotikums helfen. © jarun011 / iStock / Getty Images Plus

Antibiotikaresistenzen

WIE SICH BAKTERIEN GEGEN ANTIBIOTIKA WEHREN

Seit der Entdeckung des Penicillins galten Infektionen durch Bakterien nahezu als eine Bagatelle. Doch diese Entdeckung ist über 90 Jahre her, seitdem haben sich die Keime einiges einfallen lassen, um gegen die antibakteriellen Wirkstoffe zu bestehen.

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„Es besteht die Gefahr, dass die Mikroben lernen, resistent gegen Penicillin zu werden. Und wenn die Mikrobe einmal resistent ist, bleibt sie auch für lange Zeit resistent. Verlässt sie dann den Körper, könnte sie andere Menschen infizieren, ohne dass Penicillin helfen kann. Der erste Patient ist dann durch seinen gedankenlosen Umgang mit Penicillin möglicherweise verantwortlich für den Tod seines besten Freundes“, wusste bereits der Entdecker des Penicillins, Alexander Fleming. Der Ausschnitt stammt aus seiner Nobelpreisrede 1945, er warnte ausdrücklich vor dem inflationären Gebrauch des Wirkstoffes und dessen Gefahren. Die Masse muss damals schon weggehört haben. Denn je höher der Antibiotikaeinsatz ausfällt – und das gilt sowohl für die Anwendung am Menschen als auch am Tier – desto höher ist das Risiko, dass Bakterien eine Unempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff ausbilden. Resistente Keime können sich über Wasser, Böden oder den Verzehr von Fleisch ausbreiten, im Umkehrschluss beeinflussen mit Antibiotika behandelte Menschen selbiges Ökosystem. Das Ziel sollte es daher sein, den Einsatz der antimikrobiellen Wirkstoffe sowohl in der Veterinär- als auch der Humanmedizin zu reduzieren, so sehen es Kritiker, Umweltverbände und die WHO. Zusätzlich müsste man auch die Produktionsbedingungen vor Ort verbessern. Denn die Hauptproduktionsstätten liegen vor allem in Ländern, deren Umweltbestimmungen nicht mit westlichen Standards vergleichbar sind: Abfallprodukte aus der Industrie werden teils unkritisch in Gewässer abgeleitet, dadurch werden resistente Bodenerreger gefördert. Auch das Grundwasser kann betroffen sein. Andere, auch angrenzende Länder innerhalb der EU gehen zudem lockerer mit der Verschreibungspflicht antibakterieller Wirkstoffe um als es in Deutschland der Fall ist. Resistente Keime können so über die Grenzen verschleppt werden. Und obwohl Deutschland nicht zu den Hochverordnungsländern von Antibiotika zählt, werden immer noch zu häufig Breitbandantibiotika ohne Indikation verordnet. Valide Daten über Zusammenhänge existieren allerdings wenige, denn auch wenn zunehmende Resistenzen ein globales Risiko darstellen, steckt die epidemiologische Forschung dazu noch in den Kinderschuhen. Doch auch wenn es manchmal so klingt, Resistenzmechanismen von Bakterien sind älter als jedes Antibiotikum und nicht generell menschgemacht. Wie läuft das eigentlich vonstatten mit diesen Resistenzen?

Wie ein Bakterium resistent wird
Resistent zu sein bedeutet widerstandsfähig zu sein – ein Bakterium wird demnach durch ein oder mehrere Antibiotika nicht in seinem Wachstum gehemmt beziehungsweise abgetötet. Vergleichbares Verhalten kennt man auch von Viren oder Pilzen. Man unterscheidet dabei in verschiedene Resistenz-Arten:

Die primäre Resistenz ist eine Form der natürlichen Resistenz und damit eine grundlegende Eigenschaft einer bestimmten Bakterien-Spezies, die durch alle Stämme vertreten wird. Beispielsweise wirken Cephalosporine nicht bei Infektionen mit Enterokokken.

Das steht im direkten Gegensatz zu einer sekundären, also erworbenen Resistenz. Das Antibiotikum war dann einmal wirksam, ist es aber bei Bakterien mit dieser Resistenz nicht mehr. Das kann zum einen durch spontane, zufällige Mutationen geschehen. Ein wirksames Resistenzgen bildet sich dabei mit einer Chance von etwa 1:1 Milliarde aus. Wird das Bakterium mit einem Antibiotikum konfrontiert, gegen das es dadurch resistent wurde, führt dies zu einem Selektionsvorteil – es vermehrt sich vergleichsweise besser als solche, die diese Eigenschaft nicht aufweisen, wodurch die gesamte Population resistent werden kann.

Zum anderen kann eine Resistenz auch gezielt auf ein anderes Bakterium übertragen werden und zwar mittels horizontalen Gentransfers. Das bedeutet, ein Bakterium gibt Informationen über Resistenzen nicht an seine Nachkommen weiter (sogenannter vertikaler Gentransfer), sondern tauscht sich durch verschiedene Vorgänge mit anderen Bakterien aus. Und das sind:

  • Transduktion, also der Austausch über Bakteriophagen; das genetische Material wird dann in das andere bakterielle Genom integriert,
  • Transformation, hierbei wird freie DNA aus der Zellumgebung aufgenommen und in das Genom eingebaut und
  • Konjugation, wobei genetisches Material, häufig in Form von Plasmiden, über Fertilitäts-Pili (spezielle Proteinröhren) direkt zwischen zwei Bakterien ausgetauscht wird; eine hocheffektive Form der Weitergabe.

Ein Sonderfall stellen Kreuz- beziehungsweise Parallelresistenzen dar. Von einer Kreuz- oder synonym Parallelresistenz spricht man, wenn Bakterien gegen Antibiotika mit ähnlicher chemischer Struktur oder den gleichen Wirkmechanismus widerstandfähig reagieren. Kreuzreaktionen finden sich beispielsweise zwischen den beta-Laktam-Antibiotika, also Penicillinen und Cephalosporinen.

Die gefürchtete Multiresistenz (Polyresistenz) beschreibt die Unempfindlichkeit von Keimen gegenüber mehreren Antibiotika. Dabei handelt es sich immer um Problemkeime und potenzielle Auslöser sogenannter Hospitalinfektionen beziehungsweise nosokomialer Infektionen, also bakteriellen Infektionen, die man sich während eines Krankenhausaufenthalts zuzieht. Jede zehnte Hospitalinfektion wird durch multiresistente Erreger ausgelöst. Die häufigsten Erreger können durch das Akronym ESKAPE zusammengefasst werden:

  • Enterokokken, Vancomycin-resistent (VRE),
  • Staphylokokkus aureus, Methicillin-resistent (MRSA),
  • Klebsiella pneumoniae, Carbapenem-resistent,
  • Acinetobacter baumannii,
  • Pseudomonas aeruginosa,
  • Enterobacteriaceae.

Und wie funktioniert eine solche Resistenz?
Es sind verschiedene Mechanismen bekannt, mit denen eine Antibiotikaresistenz erreicht wird:

  • Reduziertes Eindringen in die Zelle: Für die meisten Wirkstoffe, ist es wichtig, zunächst in die Bakterienzelle einzudringen. Verändert ein Bakterium seine Membranpermeabilität, so kann das Antibiotikum nicht mehr oder nur noch schlecht eindringen. Ein Beispiel wäre die säurefeste Membran von Mycobakterien, was sie gegen zahlreiche Antibiotika widerstandfähig macht. 
  • Beschleunigtes Ausschleusen durch Effluxpumpen: Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die antimikrobiellen Wirkstoffe zwar in die Zelle zu lassen, sie dann über spezielle Pumpen, sogenannte Multidrug Resistance-Related Proteine, direkt wieder hinauszuschleusen. Dadurch kann die Wirkstoffkonzentration innerhalb der Zelle so niedrig gehalten werden, dass kein größerer Schaden für das Bakterium entsteht. Dieser Mechanismus ist derart beliebt, dass man bereits verschiedene dieser Transportsysteme identifiziert und sie in Klassen eingeteilt hat. Ein Beispiel ist der RND-Transporter (Resistance-Nodulation-Cell Division) – alleine E. coli besitzt hiervon sieben verschiedene.
  • Inaktivierung des Antibiotikums: Es werden bestimmte Proteine produziert, die das Antibiotikum angreifen und in ihrer Funktion behindern. Das prominenteste Beispiel ist das Enzym beta-Lactamase. E. coli besitzt beispielsweise eine Vielzahl solcher Lactamasen, die den beta-Lactam-Ring von Penicillinen und Cephalosporinen hydrolisieren, wodurch diese nicht mehr an ihr Zielprotein binden können.
  • Modifikation von Zielmolekülen des Antibiotikums: Dabei verändern Bakterien auf unterschiedliche Art und Weise die Zielproteine verschiedener Antibiotika. Zum Beispiel durch Mutation oder durch Modifikationen nach der Translation. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Überproduktion der Zielstruktur. So kann das Antibiotikum zwar wie geplant binden, doch führt ein großer Überschuss der Zielstruktur dazu, dass der Angriff ohne größere Folgen für den bakteriellen Organismus bleibt – das Bakterium riskiert sozusagen Kollateralschäden, sichert aber das Gesamtüberleben dadurch. Oder es verzichtet durch alternative Stoffwechselwege auf die Produktion des Zielproteins. Staphylococcus aureus bildet beispielsweise kein Trihydrofolat mehr, sondern umgeht diesen Stoffwechselschritt, wodurch es resistent gegenüber dem Antibiotikum Trimethoprim reagiert.
  • Verstecken: In der Masse ist man stark, das steckt hinter dem Prozess der Biofilm-Bildung. Viele Mikroorganismen siedeln sich an einer Stelle an, sezernieren verschiedene Substanzen nach außen und sorgen so für die Errichtung einer Schleim-Matrix. Zudem ist durch die Nähe zur Nachbarmikrobe die Übertragung von Resistenzgenen vereinfacht. Durch in-vitro-Modelle geht man davon aus, dass es aber auch Erreger gibt, die sich in Wirtszellen verstecken und dort in eine Art Ruhezustand verfallen, so ähnlich wie man das vonn Viren kennt. Ein derartiges Verhalten wird bei MRSA vermutet, dadurch ließen sich auch wiederkehrende Infektionen erklären.

Wir brauchen neue Antibiotika!
Wie man sieht, gehören Resistenzen zur Geschichte der Mikroben einfach dazu. Ein restriktiver und rationaler Gebrauch von Antibiotika kann einiges dazu beitragen, dass sich die Situation nicht weiter verschlimmert. Doch ist man bereits an einem Punkt angekommen, an dem Reserveantibiotika nicht mehr nur in Einzelfällen zum Einsatz kommen. Die Zahl der intensivmedizinischen Fälle steigt. Das genaue Ausmaß ist schwer abzuschätzen, denn gerade multiresistente Erreger kommen immer häufiger auf der Haut oder den Schleimhäuten symptomfreier Träger vor. Bei schwachem Immunsystem wittern sie ihre Chance und brechen aus – zuvor können sie allerdings schon andere Organismen unbemerkt infiziert haben. Wissenschaftliche Modelle gehen gar von einer Resistenzübertragung in das Genom unseres Darmmikrobioms aus – damit wäre dann nicht das Bakterium, das die Infektion auslöst, sondern der Mensch resistent gegen einen antibakteriellen Wirkstoff. Resistenzen machen den Klinikalltag immer häufiger zur Herausforderung. Daher ist es zwingend notwendig, neue Antibiotika zu entwickeln, an bakteriellen Infektionen zu forschen und Resistenzmechanismen noch besser zu verstehen. Einzelne Publikationen geben diesbezüglich Hoffnung. So haben Wissenschaftler der Uniklinik Köln beispielsweise ein Antioxidans in grünem Tee entdeckt, das multiresistente Pseudomonas aeruginosa wieder angreifbar für das Antibiotikum Aztreonam macht.

Oder die Forschungsgruppe um Studienleiter Brice Felden von der Universität Rennes: Sie fanden im Bakterium Staphylococcus aureus ein Molekül mit antibiotischer Wirkung, woraus sie verschiedene Peptide entwickelten, die im Tiermodell bereits erfolgreich gegen mehrere resistente Keime eingesetzt werden konnten. Auch die Bundesregierung hat den dringenden Handlungsbedarf erkannt und beispielsweise im Mai 2016 gemeinsam mit anderen Staaten die gemeinnützige Forschungs- und Entwicklungsinitiative GARDP (Global Antibiotic Research and Development Partnership) ins Leben gerufen – 2,6 Millionen Euro stellte der Bundeshaushalt hierfür zur Verfügung. Weitere Maßnahmen stellen die DART (Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie) oder die Antibiotic Stewardship Initiative, die auf die Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und auf die Projekte der Abteilung Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg in Kooperation mit dem Verband Deutscher Krankenhausapotheker zurückgeht, dar.

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quellen:
file:///C:/Users/T440s/Downloads/02-slevogt.pdf https://flexikon.doccheck.com/de/Antibiotikaresistenzhttps://www.lgl.bayern.de/rubrikenuebergreifende_themen/bakt/resistenzmechanismen.htmhttps://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/medikamente/antibiotika-resistenz-neue-medikamente-wecken-hoffnung_id_10915065.html https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2017/september/gardp.html
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/antibiotika-resistenzen.html https://www.antibiotic-stewardship.de

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