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Krankheiten im Kindesalter

WIE DER WIND

Windpocken heißen so, weil sie hoch ansteckend sind und sich rasch – wie der Wind – ausbreiten. Schutz vor einer Ansteckung und damit vor Komplikationen und schweren Verläufen bietet eine Impfung.

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Vor der Einführung der Windpocken-Impfung im Jahr 2004 infizierten sich hierzulande jährlich rund 750 000 Kinder mit dem Varizella-zoster-Virus. Seitdem ist die Zahl auf rund 20 000 Erkrankungen pro Jahr zurückgegangen. Im ersten Coronajahr 2020 wurden gut 11 000 Fälle registriert, für 2021 zeichnet sich ein weiterer Rückgang ab. Während Kinder an Windpocken nur sehr selten schwer erkranken oder Komplikationen entwickeln, kommt dies bei Erwachsenen häufiger vor.

Der Erreger Der Erreger der Windpocken ist das Varizella-zoster-Virus, das zu den Herpesviren gehört. Es wird zum einen durch Tröpfcheninfektion, also beim Sprechen, Niesen oder Husten, übertragen. Zum anderen ist auch das Sekret in den Bläschen infektiös, wenn sie aufgekratzt werden. Die Inkubationszeit beträgt typischerweise rund zwei Wochen, kann aber zwischen einer und vier Wochen variieren. Infizierte sind bereits in den Tagen vor Ausbruch des Ausschlags ansteckend und bleiben es, bis er vollständig wieder abgeheilt ist (etwa fünf bis sieben Tage).

Der Verlauf Kinder, die sich mit Windpocken infizieren, sind zu Beginn der Erkrankung meist müde und schlapp und fühlen sich etwas krank. Fieber bis 39 °C kann auftreten. Typisch für Windpocken ist der Ausschlag, der sich vom Rumpf und Kopf über den gesamten Körper ausbreitet und auch die Schleimhäute und die behaarte Kopfhaut befallen kann. Dabei entwickeln sich zunächst rötliche Knötchen, die sich innerhalb kurzer Zeit mit Sekret füllen und stark jucken. Schaffen Betroffene es, sie nicht aufzukratzen, bildet sich innerhalb von einigen Tagen eine Kruste und sie heilen vollständig und ohne Narben wieder ab.

Charakteristisch für Windpocken ist, dass alle Stadien der Hautläsionen gleichzeitig nebeneinander existieren. Vor Einführung der Impfung haben fast alle Kinder die Windpocken im Kindergarten- oder Grundschulalter durchgemacht. Bei 95 Prozent der erwachsenen Bevölkerung konnten Antikörper nachgewiesen werden. Die überstandene Erkrankung hinterlässt eine lebenslange Immunität. Komplikationen oder schwere Verläufe sind bei Kindern selten – sie treten überwiegend bei immungeschwächten Personen und im Erwachsenenalter auf.

Dazu gehört vor allem die Varizellenpneumonie in bis zu 20 Prozent aller Erkrankungen. Selten können auch das Herz, die Nieren, die Leber, die Gelenke oder die Augen betroffen sein. Manifestationen des zentralen Nervensystems kommen bei etwa einer von 1000 Erkrankungen vor und können schwerwiegend sein. Wenn die Bläschen aufgekratzt werden, besteht zudem in jedem Alter das Risiko einer bakteriellen Superinfektion. Dann können auch Narben zurückbleiben.

Risiko in der Schwangerschaft Problematisch ist eine Varizellen-Infektion der Mutter während der Schwangerschaft und um die Geburt herum: Bei einer Ansteckung während des ersten oder zweiten Trimenons kann es zu einem fetalen Varizellensyndrom mit schweren Fehlbildungen des Fötus kommen. Bei einer Ansteckung im Zeitraum von fünf Tagen vor bis zwei Tagen nach der Geburt drohen schwere neonatale Windpocken beim Neugeborenen, die bei bis zu einem Drittel der Fälle tödlich enden können.

Herpes zoster oder Gürtelrose Auch wenn die Windpocken komplikationslos verlaufen, nistet sich das Virus in den Spinal- oder Hirnnervenganglien ein und kann später wieder aktiv werden. Die Erkrankung wird dann Herpes zoster oder Gürtelrose genannt und betrifft typischerweise Menschen im höheren Lebensalter oder wenn das Immunsystem aus anderen Gründen nachlässt. Aber auch bereits Kinder können, wenn auch selten, an Herpes zoster erkranken. Es bilden sich auf einer Körperhälfte Bläschen, die meist gürtelförmig am Rumpf, seltener am Hals oder am Kopf, lokalisiert sind. Gekennzeichnet ist die Gürtelrose besonders bei Erwachsenen durch starke Schmerzen, die bei einem Teil der Betroffenen über lange Zeit nach Abheilen der Bläschen und zum Teil sogar lebenslang bestehen bleiben können. Anders als bei den Windpocken ist eine Ansteckung bei der Gürtelrose nur über das Sekret in den Bläschen, aber nicht über die Luft möglich.

Eingedampft
+ Windpocken gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten im Kindesalter.
+ Komplikationen und schwerere Verläufe treten mit zunehmendem Erkrankungsalter häufiger auf.
+ Wird das Virus nach einer überstandenen Infektion nochmal aktiv, zeigt sich die Erkrankung als Gürtelrose.
+ Die Impfung gegen Windpocken bietet einen hohen Schutz. Sie ist trotz der seltenen Komplikationen wegen der ansonsten hohen Zahl an Erkrankungen sinnvoll.
+ Bei einer Infektion in der Schwangerschaft kann es zu Fehlbildungen beim Fetus oder zur Fehlgeburt kommen.
+ Zurzeit sind über 80 Prozent der Kinder in Deutschland geimpft, sodass die Herdenimmunität Personen, die nicht geimpft werden können, schützt.

Therapie Eine spezielle Therapie ist bei Windpocken bei ansonsten gesunden Kindern und unkompliziertem Verlauf nicht nötig. Wichtig ist eine gute Hautpflege, etwa mit juckreizstillendem Puder oder Lotionen mit Inhaltsstoffen wie Gerbstoffen, Menthol oder Polidocanol. Mitunter werden auch Antihistaminika oder Dimetinden gegen den Juckreiz eingesetzt. Sinnvoll ist es auch, die Fingernägel kurz zu schneiden und auf eine gute Händehygiene zu achten. Kommt es doch zu einer Superinfektion aufgekratzter Bläschen, kann eine antibiotische Behandlung erforderlich sein. Bei immungeschwächten Patienten und bei Vorliegen von Risikofaktoren ist eine antivirale Therapie mit Aciclovir angezeigt.

Schutzimpfung Seit 2004 wird die Varizellen-Impfung für alle Kinder in Deutschland empfohlen, da Komplikationen zwar selten sind, bei der hohen Anzahl der Erkrankungen aber dennoch ins Gewicht fallen. Nachdem es unter der zunächst nur einmaligen Impfung zu Impfdurchbrüchen gekommen war, wird seit 2009 eine zweimalige Impfung empfohlen. Damit werden 95 Prozent aller Erkrankungen verhindert. Gemäß STIKO sollte die erste Dosis im Alter von elf und die zweite Dosis im Alter von 15 Monaten gegeben werden.

Ist die Impfung nicht zum empfohlenen Zeitpunkt erfolgt, sollte sie bis zum 18. Geburtstag (zwei Impfungen im Abstand von vier Wochen) nachgeholt werden. Wichtig ist die Impfung besonders auch für Personen mit gesundheitlichen Risiken. Dazu gehören seronegative Patienten vor einer immunsuppressiven Therapie oder Organtransplantation oder Personen mit schwerer Neurodermitis – sowie alle Personen, die Kontakt mit ihnen haben. Empfohlen wird sie darüber hinaus für alle Frauen mit Kinderwunsch, sofern sie nicht bereits erkrankt waren oder als Kinder geimpft wurden. Schließlich sollte auch seronegatives Personal im Gesundheitsdienst gegen Varizellen geimpft werden.

Aktuell liegen die Impfquoten bei Kindern bei über 80 Prozent, wodurch aufgrund der Herdenimmunität auch Personen geschützt werden, die selbst nicht geimpft werden können, darunter Säuglinge, Schwangere oder Patienten mit Leukämie. Bei den verfügbaren Varizellen-Impfstoffen handelt es sich um abgeschwächte Lebendimpfstoffe. Bisherige Nachverfolgungen haben ergeben, dass auch die darin verwendeten abgeschwächten Viren eine Gürtelrose auslösen können. Allerdings erkranken geimpfte Kinder seltener und weniger schwer als solche, die sich auf natürlichem Wege mit Windpocken infiziert haben.

Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 122.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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