Optimal wäre es, wenn man es immer schaffen würde, die Gedanken wie Wolken auf-, aber genauso wieder weiterziehen zu lassen. © francescoch / iStock / Getty Images Plus

Ängstliche Unruhe

WENN DER KOPF KEINE RUHE GIBT

Grübeln, Gedanken wälzen, nicht abschalten können – viele Menschen plagt das Gedankenkarussell. Wer nachts deshalb nicht mehr schlafen kann, ist am nächsten Tag meist erst Recht unkonzentriert, abgelenkt und fühlt sich abgeschlagen. Auf Dauer kann dies der Lebensqualität erheblich zusetzen.

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Natürlich ist man mal angespannt, nervös, gestresst, unruhig oder ängstlich. In den meisten Fällen gibt es hierfür auch Gründe: eine anstehende Prüfungsphase, ein Trauerfall, Beziehungsprobleme oder eine stressige Phase auf der Arbeit. Dies sind alles Beispiele für abgrenzbare Ereignisse, sie finden ein Ende, bedeuten einen Neuanfang oder bringen neue, unter Umständen sogar positive Seiten an einem Menschen hervor. Anders sieht es aus, wenn es keinen nennbaren Grund für die Unruhezustände, sogar Angstzustände gibt. Wenn man dauerhaft unter Strom steht, auch nach der Arbeit, zu Hause nicht mehr richtig zur Ruhe kommt. Halten diese Zustände an, kann die Lebensqualität beeinflusst und der Alltag eingeschränkt werden. Auf anhaltende psychische Belastungen und gegebenenfalls Schlafmangel reagieren viele mit Gereiztheit und einer gesteigerten Empfindlichkeit, schon die kleinsten Geräusche können sie auf die Palme bringen. Die nervöse Unruhe und diffusen Ängste nehmen daraufhin noch weiter zu, Betroffene fühlen sich oft getrieben und unter Druck – eine Herausforderung auch für das soziale Umfeld. Im schlimmsten Fall isolieren sich Betroffene, ziehen sich weiter zurück, Depressionen können sich einstellen.

Leistungsgesellschaft
Der erste und wahrscheinlich schwerste Schritt besteht zunächst darin, sich die anhaltende innere Unruhe und die Stresssymptomatik einzugestehen. Denn es handelt sich um Tabuthemen in unserer Gesellschaft: Nur wer etwas leistet, genießt auch Ansehen, Respekt und eine gute soziale Stellung – soweit die Vorstellung. Für viele bedeutet dass, der Erste und Letzte im Büro zu sein, auch am Wochenende zu arbeiten und Schlafdefizite in Kauf zu nehmen. Der Stress kann aber auch im Privatleben entstehen: Das ständige Streben Familie, Freunde, Hobbies, den Verein neben der Arbeit unter einen Hut zu bekommen, nichts verpassen zu wollen. Nicht selten wird die zunehmende Anspannung verharmlost, verdrängt oder mit Alkohol oder sogar Medikamenten und Drogen betäubt. Auch lenken sich viele anfangs ab, meiden bewusst Situationen, in denen sie mit Stress oder Ängsten konfrontiert werden. Nach einiger Zeit funktioniert das System meistens nicht mehr oder die Lage verschärft sich sogar noch.

Neben der spürbaren Unruhe und Angespanntheit kommen dann oftmals noch weitere Symptome hinzu:

  • kreisende Gedanken, Grübeln, Sorgen,
  • Schwächegefühl, Müdigkeit, Benommenheit,
  • Ein- und Durchschlafstörungen,
  • Kopfschmerzen,
  • Gereiztheit, Unausgeglichenheit,
  • Verdauungsprobleme, Übelkeit, Erbrechen,
  • Tremor, Schwindel, Kälteschauer, - Schweißausbrüche, Beklemmungsgefühl,
  • Spürbares Herzrasen, „den Puls in den Ohren spüren“, Tinnitus. 

Für viele stehen auch diffuse Ängste im Vordergrund, die den Kopf nicht zur Ruhe kommen lassen. Dabei ist Angst per se nichts Schlechtes, sie hilft uns in der Regel Gefahren zu erkennen, diese zu meiden und uns dadurch zu schützen. Tritt sie allerdings in stark ausgeprägter Form oder ohne gegebenen Anlass auf, kann eine Angststörung dahinterstecken. Im Fall der nervösen Unruhe handelt es sich meist um generalisierte Ängste, also ständige Sorge um alltägliche Dinge. Zum Beispiel als Zeichen der eigenen Überforderung in der aktuellen Lebenssituation. Der amerikanische Neurologe George Miller Beard erkannte das Phänomen der reizbaren Schwäche und Erregbarkeit mit Angst und Erschöpfung in Folge des Lebensstils innerhalb der Gesellschaft mit seinen sozialen und kulturellen Faktoren bereits 1869 und nannte es Neurasthenie. Sozusagen der Vorläufer des heutigen Burn-outs oder der Depression.

 

Manchmal steckt mehr dahinter
Ist der erste Schritt getan und man hat sich die vermeintlich stressbedingte nervöse Unruhe zugestanden, stellt sich für viele bereits ein Gefühl der Entspannung ein. Bei starken körperlichen Beschwerden sollte allerdings ein Arztbesuch empfohlen werden. Nicht selten findet allerdings der erste Gang in die Apotheke statt. Neben einem offenen Ohr und Verständnis für die Situation, sollten Sie auch auf die geschilderte Symptomatik achten und nachhaken. In manchen Fällen steckt vielleicht eine andere Grunderkrankung hinter den Symptomen, die abgeklärt werden sollte. Dazu zählen zum Beispiel:

  • ADHS: Während die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Kindern und Jugendlichen vor allem mit körperlicher Unruhe auffällt, zeigen sich bei Erwachsenen meist innere Unruhe und Nervosität.
  • Wechseljahre: Die Hormonumstellung führt neben den bekannten Hitzewallungen nicht selten auch zu Unruhe oder Schlaflosigkeit.
  • Schilddrüsenerkrankungen: Bei erhöhtem Puls, Blutdruck und Körpertemperatur, Herzklopfen und Schwitzen sollte auch an die Schilddrüse gedacht werden, es könnte eine Überfunktion vorliegen.
  • Psychische Erkrankungen: Angststörungen und Depressionen werden immer häufiger diagnostiziert. Besonders bei generalisierten Ängsten sollte ein Arztbesuch stattfinden. Auch Entzugssymptomatiken treten mit innerer Unruhe, Herzklopfen oder Angstgefühlen auf und sollten ärztlich betreut werden
  • Vaskuläre Demenz: Machen sich zusätzlich Verwirrtheit, Aggressivität, Orientierungsschwäche oder nervöses beziehungsweise unsicheres Verhalten bemerkbar, kann eine Durchblutungsstörung im Gehirn vorliegend. Diese vaskulären Demenzen beginnen meist schleichend.
  • Hypertonie: Vor allem wenn starkes Herzklopfen vorliegt, sollten Herzkreislauf-Erkrankungen im Vorfeld ausgeschlossen werden. Innere Unruhe kann zudem auch ein erstes Anzeichen für einen krankhaft erhöhten Blutdruck sein.

Der erste Ansprechpartner stellt in diesen Fällen der Hausarzt dar, er kann gegebenenfalls an einen Facharzt überweisen. Werden die Grenzen der Selbstmedikation eingehalten und sehen Sie zurzeit keine Anzeichen für die Empfehlung eines Arztbesuches, stehen bei nervöser Unruhe verschiedene Präparate aus dem OTC-Bereich zur Verfügung.

Gegen die Unruhe Abgesehen von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten gegen Ein- und Durchschlafstörungen, werden auch Präparate speziell bei nervöser Unruhe, Stress oder Gedankenkreisen angeboten. Dabei können verschiedene Phytopharmaka als Mono- oder Kombinationspräparate zum Einsatz kommen.

  • Baldrian: Auszüge aus der Wurzel des Valeriana officinalis L. zeigen eine beruhigende und schlaffördernde Wirkung und können bei Unruhe- und Spannungszuständen, Nervosität, Reizbarkeit sowie Schlafstörungen zum Einsatz kommen. Bei der Abgabe sollte daraufhin hingewiesen werden, dass sich die Wirkung erst nach einigen Wochen aufbaut. Das Präparat sollte daher regelmäßig und über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.
  • Passionsblumenkraut: Dem Kraut von Passiflora incarnata werden traditionell beruhigende und angstlösende Eigenschaften zugeschrieben. Es kann als Monotherapie oder in Kombination mit Baldrian oder Hopfen eingenommen werden.
  • Hopfenzapfen: Die aromatischen Blütenstände von Humulus lupulus werden selten alleine, eher in Kombinationspräparaten bei Unruhe, Nervosität und Schlafstörungen eingenommen. 
  • Johanniskraut: Aufgrund der nachweislich antidepressiven Wirkung, werden standardisierte Extrakte aus Hypericum perforatum sowohl im Rx- als auch im OTC-Bereich eingesetzt. Auszüge finden sich auch in Kombination mit anderen pflanzlichen Extrakten bei ängstlichen Unruhezuständen oder nervösen Beschwerden. Bei der Abgabe sollte unbedingt auf das Wechselwirkungspotenzial und die gesteigerte Lichtempfindlichkeit aufmerksam gemacht werden. Am besten erfragen Sie vorab die Medikation Ihres Kunden und empfehlen, gerade jetzt im Sommer, einen geeigneten Lichtschutzfaktor.
  • Melissenblätter: Die Arzneidroge ist ein wahres Multitalent und zeigt neben beruhigenden auch krampflösende, antivirale und verdauungsfördernde Eigenschaften. In Phytopharmaka zur Beruhigung findet man die Blätter von Melissa officinalis vor allem in Kombination mit Baldrian und Passionsblume.
  • Lavendelöl: Auch das Öl des Arzneilavendels (Lavandula angustifolia) verfügt über vielfältige Eigenschaften. Neben einer angstlösenden Komponente kann es dazu beitragen, unruhige, kreisende Gedanken wieder ins Gleichgewicht zu bekommen, indem es wie eine Art Reizfilter für unsere Neuronen wirkt.

Neben pflanzlichen können ebenfalls homöopathische Präparate eingesetzt werden. Diese enthalten meist Kombinationen verschiedener Substanzen in homöopathischer Potenz. Häufig finden sich darunter:
Avena sativa,
Coffea cruda,
Ignatia amara,
Nux vomica,
Phosphoricum acidum,
Phosphorus,
Valeriana officinalis,
Zincum metallicum oder Zincum valerianicum.

Medikamente eher als Begleiter
Auch wenn sie kurzfristig helfen und die meisten Phytopharmaka und Homöopathika auch für den dauerhaften Gebrauch zugelassen sind, können sie letztlich nur unterstützen. Verschiedene nichtmedikamentöse Maßnahmen können zusätzlich helfen, anfallenden Stress abzubauen, innere Unruhe zu minimieren und Gedankenkreisen zu verhindern. Mittlerweile haben auch die gesetzlichen Krankenkassen die zunehmende Bedeutung stressbedingter psychischer und psychosomatischer Beschwerden erkannt und unterstützen verschiedene Entspannungskurse. Aber schon regelmäßige Bewegung wie ein Waldspaziergang, Joggen, Radfahren oder Schwimmen können dabei helfen, den Kopf freizubekommen. Sport in der Gruppe schützt zusätzlich vor Ausgrenzung oder In-sich-zurückziehen und lenkt ab. Viele sammeln auch gute Erfahrungen mit Yoga – die Kombination aus Atemübungen, Achtsamkeit und Bewegung kann zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts beitragen.

Die Meditation gehört wohl zu den Klassikern der Übungen für innere Ruhe und Entspannung. Das Ziel dabei: Durch bestimmte Techniken soll es gelingen, den Ist-Zustand wahrzunehmen ohne selbst daran teilzunehmen. Als stiller Beobachter sieht man Gedanken aufkommen und wieder weiterziehen – wenn man die Technik beherrscht. Ebenfalls ein Klassiker ist die Progressive Muskelentspannung. Durch gezieltes Anspannen und Lockerlassen einzelner Körperpartien soll sich sowohl Ruhe im Körper als auch im Geist einstellen. Durch die suggestiv beruhigende Wirkung verschiedener Sätze soll beim autogenen Training der Kopf ruhig gestellt werden. Und Atemübungen können sogar im Alltag zu einer Stress-Pause beitragen. Dabei genügt es zunächst schon nur dreimal tief und bewusst durchzuatmen – dem Körper wird dadurch eine ruhige Situation vermittelt, der Parasympathikus aktiviert und man beruhigt sich. All diese Techniken können helfen, aus dem Gedankenkarussell wieder auszusteigen und langfristig zu innerer Ausgeglichenheit zu führen. Helfen alle Maßnahmen jedoch nichts, ist wiederum ein Arztbesuch anzuraten. Es kann mitunter eine Verhaltenstherapie in Erwägung zu gezogen werden. Durch eine psychiatrische Betreuung können alte Gedankenmuster aufgebrochen werden und zum besseren Umgang mit bestehenden Lebensumständen oder Situationen beitragen.

Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin

Quelle: https://www.angst-verstehen.de/innere-unruhe-bekaempfen/ https://www.onmeda.de/Anwendungsgebiet/Nervosit%C3%A4t/anw_nicht_rezeptpflichtig_wi-medikament-all.html
https://www.apotheken-umschau.de/nervositaet https://de.honatur.com/homoeopathie-beruhigungsmittel/ https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=baldrian https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Passionsblume https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Hopfenhttps://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=johanniskraut https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=melisse

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