Ein Mann geht mit seinem Kind an der Hand und einem Hund in einem Park spazieren.
Ob allein oder in Gesellschaft: Gehen ist gesund - und es müssen keine 10 000 Schritte sein. © jacoblund / iStock / Getty Images Plus

Schrittzahl

ÜBER SIEBEN SCHRITTE SOLLST DU GEH’N

Schon Hippokrates sagte: „Gehen ist die beste Medizin.“ Aber halt: Meinte er walken oder joggen? Und überhaupt: Wie viele Schritte soll man eigentlich am Tag gehen?

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Im Jahr 1964 hatte die japanische Firma Yamasa eine geniale Idee: Sie brachte den ersten Schrittzähler der Welt auf den Markt. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn es fanden gerade die Olympischen Spiele statt und das spornte die Leute erfahrungsgemäß zu etwas mehr Bewegung an. Yamasa nannte das kleine Gerät „Manpo-kei“, was so viel heißt wie „Der 10 000-Schritte-Zähler“.

Fortan glaubte die Welt, man solle tatsächlich 10 000 Schritte pro Tag gehen, weil es gesund ist. Dass diese Zahl durch keinerlei wissenschaftliche Studie untermauert war, fiel gar nicht auf. Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fiel auf den Schwindel herein und nahm die Zahl in ihre Empfehlungen mit auf, sodass sich bis heute der normale Büroangestellte wundert, dass er meist weit davon entfernt ist, sie zu erreichen.

Überhaupt, ist Gehen wirklich so gesund? Muss man dazu nicht mindestens Nordic-Walking-Stöcke in der Hand haben oder sich Laufschuhe mit High-Tech-Sohle kaufen? Einfaches Spazierengehen, das erinnert an Pflichtveranstaltungen auf Familientagen oder an Einmal-mit-dem-Hund-um-den-Block… So einfach kann es doch wohl nicht sein. Oder?

Das Glück des Gehens
Der stets gut gelaunte Professor für Neurowissenschaften an der Universität Dublin, Shane O’Mara, hat dazu ein Buch geschrieben: „The Praise of Walking“, zu Deutsch „Das Glück des Gehens“. Er sagt klipp und klar: „Viele regelmäßige Spaziergänge und Wanderungen sind gut – sogar hervorragend – für Körper und Gehirn. […] Angesichts der vorhandenen Erkenntnisse ist es sehr wahrscheinlich, dass eine einfache Verhaltensveränderung – häufiges und ausgiebiges Spazierengehen – durchaus dazu führen könnte, negative Persönlichkeitsveränderungen, die aus einer sitzenden Lebensweise resultieren, rückgängig zu machen.“ O’Mara selbst ist dem Spazierengehen regelrecht verfallen, er fühlt sich niedergeschlagen, träge und energielos, wenn er einmal keine Gelegenheit dazu hat, bekannte er vor kurzem im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Selbst wenn er ein Telefoninterview wie dieses führt, läuft er dabei in seinem Garten herum, um auf seine persönliche Marke von 13 000 Schritten am Tag zu kommen.

Die 10 000 Schritte seien zwar eine gute Zahl, sagt er dem Reporter, doch sie seien auch nicht in Stein gemeißelt. „Wer weniger als 5000 Schritte geht, tendiert demnach zu einem sitzenden Lebensstil, und der geht einher etwa mit einem höheren Risiko für Herzkrankheiten oder das metabolische Syndrom. Den Studien zufolge wären mindestens 7500 Schritte am Tag sinnvoll.“

Und so ist es nämlich: Diese neue, amerikanische Studienauswertung von Forschern unterschiedlicher Fachinstitute und Universitäten beschäftigte sich erneut mit den gesundheitlichen Auswirkungen, die das tägliche Laufen auf den menschlichen Körper hat. 5000 Probanden nahmen teil. Sie füllten Fragebogen aus, in denen sie zu verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel Ernährungsweise, Gesundheit und Bildung befragt wurden – und bekamen dann einen Fitnesstracker verpasst, den sie lange Zeit mit sich herumtrugen.

Es kam also gar nicht so sehr darauf an, wieviel man absolut lief, sondern es im Verhältnis zu seiner persönlichen Leistung zu steigern.

Nach zehn Jahren wurden die Probanden erneut befragt und ihre Aktivitäten analysiert. Nur sehr wenige schafften es, die Marke von täglich 9000 Schritten zu knacken; die meisten legten höchstens 4000 bis 5000 zurück. Eine höhere Schrittzahl stand zwar für ein deutlich geringeres Sterberisiko, doch am meisten profitierten diejenigen Teilnehmer, die es geschafft hatten, ihr persönliches Schrittekonto im Laufe der Zeit zu verdoppeln. Es kam also gar nicht so sehr darauf an, wieviel man absolut lief, sondern es im Verhältnis zu seiner persönlichen Leistung zu steigern. Konkret: Die Studienteilnehmer, die es schafften, ihre ursprüngliche Anzahl von 4000 Schritten zu verdoppeln, hatten ein 50 Prozent geringeres Sterberisiko. Dagegen gab es keinen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit und der Schrittintensität: Gemütliche Läufer profitierten ebenso wie die zügigen.

Und noch eine kürzlich beendete Studie stellt die Absolutheit der 10 000-Schritte-Regel in Frage: 16 000 ältere Frauen (Durchschnittsalter 72) nahmen an einer Untersuchung der Harvard Medical School teil. Mit dem Ergebnis: Die Frauen, die pro Tag mindestens 4400 Schritte gemacht hatten, hatten nach vier Jahren ein geringeres Risiko zu sterben als wenige aktive Studienteilnehmerinnen, die nur 2700 Schritte zurückgelegt hatten. Der statistische Vorteil steigerte sich bis zu einer Grenze von 7500 Schritten pro Tag. Alles darüber machte keinen Unterschied bei der Lebenserwartung.

Auch andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass zwischen 6000 und 8000 Schritte pro Tag reichen könnten, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich zu senken. Eine andere Studie aus dem Jahr 2011 bestätigt ebenfalls die Zahl von 7500 Schritten moderater Bewegung.

Und wie viel bewegen wir uns wirklich?
Es gibt eine Zählung aus dem Jahr 2018, die die aktive Weltbevölkerung auflistet – also diejenigen, die ein Pedometer mit sich führen. Danach kommen alle zusammen auf durchschnittlich 4900 Schritte am Tag. Hongkong ist mit 6900 Schritten Spitzenreiter, Schweden hat 5900 Schritte zu bieten und Deutschland liegt mit 5200 Schritten etwas darunter. Andere Untersuchungen sind da moderater: Ein durchschnittlicher Büroangestellter kommt auf 2000 bis 3000 Schritte am Tag. Und die WHO? Empfiehlt einfach 30 Minuten Bewegung täglich. Wer dabei 10 000 Schritte schafft, bringt es in dieser Zeit sechs bis neun Kilometer weit. Deshalb: Weil der eine Mensch klein, der andere groß ist, ist weniger die Schrittmenge als vielmehr das Tempo entscheidend.

Allerdings: Man sollte sich auch keine utopischen Ziele stecken. Anfängern reichen auch 4000 Schritte insgesamt oder 1000 Schritte mehr als normal. Übergewichtige und unsportliche Menschen sollten sich ebenfalls nur langsam steigern. Und überhaupt, das Ganze soll ja auch noch Spaß machen: Shane O’Mara empfiehlt, sich eine Schrittzähler-App aufs Handy zu laden und einfach loszulaufen. Selbst die Autorin ist diesem ansteckenden Rat gefolgt und wandert nun jeden Tag ein wenig durch Gottes schöne Natur, verfolgt von einer sie beständig anfeuernden Walking-App. Und wundert sich, warum sie nicht schon längst darauf gekommen ist.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quellen:
Shane O’Mara: Das Glück des Gehens (The Praise of Walking), Rowohlt Verlag, März 2020
Der Spiegel: Die wahre Geschichte der 10 000-Schritte-Regel, 29.7.2019
„Gehen ist einer der besten Wege, um uns in Topform zu bringen“, Interview mit Shane O‘Mara, 28.6.2020
Die Welt: Warum auch weniger als 10 000 Schritte pro Tag genug sein können, 9.4.2020
Fit for Fun: Wie viele Schritte sollte man täglich gehen?, 26.1.2018

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