Eine Frau hält eine Konstruktion des Darms aus Papier vor ihren Bauch.
Um die Immunreaktion auf das Coronavirus zu untersuchen, haben Forscher Organoide des menschlichen Dickdarms kultiviert. © LightFieldStudios / iStock / Getty Images Plus

Immunantwort | Organoide

STARKES IMMUNSYSTEM, SCHWERER VERLAUF?

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann mild verlaufen, aber auch lebensbedrohlich sein. Einen Anteil an solchen schweren Verläufen könnte einer Studie zufolge ausgerechnet ein antiviraler Botenstoff des Immunsystems haben: Interferon-Gamma.

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Um sich im Körper zu vermehren, dringt das Coronavirus in die Zellen ein. Dazu bindet es mit den Spike-Proteinen auf seiner Oberfläche an ACE2-Rezeptoren auf den Zellen. Diese befinden sich zum Beispiel in Lunge, Herz, Gehirn und Magen-Darm-Trakt. Auch COVID-19 kann jedes dieser Organsysteme betreffen. Je mehr ACE2-Rezeptoren eine Zelle hat, desto leichter kann das Virus eindringen und sich somit im Inneren der Zelle vermehren.

Forscher der Charité Universitätsmedizin Berlin, darunter Julian Heuberger, konnten nachweisen, dass ein Botenstoff des Immunsystems, Interferon-Gamma, dem Virus das Eindringen in die Zellen erleichtern könnte. Dabei sollte es eigentlich Viren, Bakterien und andere Keime abwehren.

Interferon-Gamma wird von T-Zellen des Immunsystems ausgeschüttet. Es bindet sich an die Krankheitserreger und zerstört sie. Andererseits alarmiert es weitere Zellen des Immunsystems und verstärkt so die Abwehr- und Entzündungsreaktion. Doch auch Schleimhautzellen reagieren auf Interferon-Gamma. Das könnte erklären, warum Patienten mit besonders starker Immunreaktion besonders oft unter schweren COVID-19-Verläufen leiden.

Um die Immunreaktionen auf SARS-CoV-2 zu untersuchen, kultivierten die Forscher sogenannte Organoide des menschlichen Dickdarms. Diese kleinen Zellstrukturen haben ähnliche Eigenschaften wie das Organ, aus deren Zellen man sie erzeugt. Einige der Darm-Organoide wurden zunächst mit Interferon-Gamma behandelt. So simulierten die Forscher eine starke Immunreaktion des Körpers. Daraufhin infizierten sie die Organoide mit dem Coronavirus.

Das Ergebnis: Die Schleimhautzellen bildeten nach der Interferon-Gamma-Behandlung vermehrt ACE2-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche. Diese Zellen waren anfälliger für eine Infektion mit SARS-CoV-2 und nach 24 sowie 48 Stunden war ihre Viruslast deutlich höher als bei unbehandelten Organoiden. Durch mehr ACE2-Rezeptoren fällt es den Viren leichter in die Zellen einzudringen.

Die Forscher folgern: 

Diese Daten deuten darauf hin, dass eine infektionsbedingte Entzündung einen verwundbaren Zustand schaffen kann, der wiederum eine massive Virusreplikation und - freisetzung ermöglicht. Das kann Konsequenzen für den klinischen Verlauf der Krankheit sowie für die Virusübertragung haben.

Somit hat sich entgegen der Vermutung, dass schwere Verläufe von SARS-CoV-2 vor allem Patienten mit geschwächtem Immunsystem betreffen, herausgestellt: Schwere Verläufe gehen oft mit besonders starken Immunantworten einher. „Wir nehmen an, dass eine starke Immunantwort die Anfälligkeit von Schleimhautzellen für SARS-CoV-2 erhöhen kann“, sagt Heubergers Kollege Michael Sigal und führt weiter aus: 

Wenn die Interferon-Gamma-Konzentration von vornherein höher ist oder die Infektion eine sehr überschießende Produktion von Interferon-Gamma triggert, haben es die Viren vermutlich leichter, in die Zellen einzudringen.

Klinische Studien und eine genaue Analyse der Wirkung von Interferon-Gamma auf das Coronavirus sollen folgen. Dies könnte sogar zu neuen Behandlungsansätzen führen.

Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/wie-das-immunsystem-sars-cov-2-nuetzt/
Julian Heuberger (Charité – Universitätsmedizin Berlin) et al., EMBO Molecular Medicine

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