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Antibiotika

RESISTENZEN OHNE GRENZEN?

Antibiotika werden nach wie vor zu leichtfertig und zu häufig verschrieben. Eine sehr gefährliche Praxis, denn so werden immer mehr Bakterienstämme gegen die Wirkstoffe resistent.

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Pro Jahr werden in Deutschland etwa 600 Tonnen Antibiotika verordnet. Das beginnt schon im Kindesalter, vor allem bei Infektionen der Atemwege. Die werden jedoch meist durch Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika nichts ausrichten. Experten schätzen, dass jedes zweite Antibiotikum unnötigerweise geschluckt wird. Doch mit jeder Gabe steigt die Gefahr von Resistenzen, die sich bei Bakterien sehr schnell entwickeln können.

Begünstigt wird diese Resistenzbildung aber auch dadurch, dass viele Patienten die Behandlung zu früh beenden. Denn auch, wenn der Wirkstoff die Symptome rasch gelindert hat, heißt das noch lange nicht, dass alle Erreger abgetötet sind. Im Gegenteil: Gerade die besonders widerstandsfähigen Bakterien leben dann noch – und können sich nun rasant vermehren. Dabei sind sie unter günstigen Bedingungen in der Lage ihre Zahl alle 20 bis 30 Minuten zu verdoppeln und so den Organismus förmlich zu überschwemmen.

Doch Antibiotika werden nicht nur beim Menschen angewendet sondern auch in großen Mengen in der Tiermast eingesetzt und gelangen so in die Nahrungskette und ins Trinkwasser. So nehmen wir alle Antibiotika auf, ohne etwas dagegen tun zu können.

 Natürliche und erworbene Resistenzen Bakterien sind Überlebenskünstler. Die Mikroorganismen sind extrem anpassungsfähig. So sind einige Bakterienstämme bereits von Natur aus gegen bestimmte Antibiotika resistent, wie etwa Enterokokken, bei denen Cephalosporine keine Wirkung zeigen. Weitaus gefährlicher als diese primären Resistenzen sind die erworbenen oder sekundären, da man mit ihnen zunächst nicht rechnet.

Sie können einerseits rasch durch spontane Mutationen entstehen oder auch schrittweise, wenn man sich zunehmend resistente Bakterien durch zu häufige oder falsche Antibiotikaeinnahme „züchtet“. Bakterien speichern die für die jeweilige Resistenz verantwortlichen genetischen Veränderungen in ihrem Erbgut und geben diese Eigenschaft an kommende Generationen weiter. Durch spezielle ringförmige DNA-Moleküle, die man als Plasmide bezeichnet, können solche Erbinformationen aber auch an andere nicht verwandte Bakterienstämme weitergegeben werden. Die Folge ist eine fast unkontrollierbare Resistenzbildung.

Je nach Lage Resistente Bakterien sind in der Lage, den Wirkmechanismus eines Antibiotikums auszuschalten. Da es mehrere Antibiotikagruppen gibt, die unterschiedlich wirken, gibt es auch unterschiedliche Resistenzmechanismen. Einer besteht in der Produktion des Enzyms Beta-Laktamase, das den Beta-Laktam-Ring von Antibiotika wie etwa Penicillin spaltet und sie so wirkungslos macht.

Andere Bakterien wiederum schaffen eine Art Stoffwechselbypass an der Stelle, an der das Antibiotikum ihren Stoffwechsel blockiert. Wieder andere verändern die Strukturen, an denen das Antibiotikum angreift oder sind in der Lage, den Wirkstoff rasch aus ihrer Zelle herauszuschleusen.

Die wahre Bedrohung Besonders gefährlich sind Keime, wenn sie Multiresistenzen ausgebildet haben, also auf mehrere Antibiotikagruppen nicht mehr ansprechen. Sie sind auch als Krankenhauskeime bekannt, da sie gerade dort und in Pflegeeinrichtungen zum Problem werden – oft durch mangelnde Hygiene. Hierbei ist MRSA wohl der bekannteste Vertreter.

Um multiresistente Keime noch bekämpfen zu können, hält man Reserveantibiotika bereit, die normalerweise nicht verschrieben werden. Besonderes Augenmerk liegt zurzeit auf dem neuen Superkeim 4MRGN, einem Erreger, der gegen alle vier wirksamen Antibiotikagruppen resistent ist. Sollte sich dieser Keim ausbreiten, hätte man gegen ihn derzeit keine wirksame Handhabe.

Jeder kann etwas tun Die Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen ist real. Deshalb versucht man schon seit Jahren, den Verbrauch dieser Medikamente strenger zu kontrollieren. Sie dürfen zum Beispiel in der Europäischen Union seit 2006 nicht mehr zur Wachstumsförderung in der Tiermast eingesetzt werden. Seit Februar gibt es sogar eine Datenbank für den Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft.

Doch trotz solcher Maßnahmen steigt die Zahl der resistenten Bakterienstämme stetig weiter an. Damit steht heute jeder in der Verantwortung, wenn es gilt Resistenzen zu vermeiden. Das wichtigste Ziel ist dabei, Infektionen vorzubeugen, schätzt man doch, dass allein durch gute Hygiene etwa jede dritte Erkrankung vermieden werden kann!

HINTERGRUND
Die WHO spricht in einem Bericht vom April davon, dass Antibiotikaresistenzen „bereits heute eine der Hauptgefahren für die Gesundheit“ darstellen. Ständig tauchen neue Bakterienstämme auf, die gegen einen oder auch mehrere der Wirkstoffe resistent geworden sind. Mittlerweile existieren sogar Superkeime, die nicht einmal mehr auf die gängigen Reserveantibiotika ansprechen.

Sie sollten Ihren Kunden daher die grundlegenden Hygieneregeln nahelegen. Außerdem sollten Sie ihnen empfehlen, bei leichteren Infektionen kein Antibiotikum als vermeintlich alleinige Wunderwaffe einzufordern. Stattdessen ist es immens wichtig, dass Ihre Kunden beim Arzt auch bei harmloseren Erkrankungen – gerade bei Kindern – auf einen Erregernachweis bestehen, bevor ein Antibiotikum verschrieben wird. Eine Behandlung mit einem Antibiotikum muss immer bis zum Ende durchgeführt werden. Weisen Sie Ihre Kunden stets darauf hin, welche Konsequenzen ein frühzeitiger Abbruch haben kann.

Darüber hinaus dürfen diese niemals über die Toilette entsorgt werden, weil sie so ins Trinkwasser gelangen und darüber in die Nahrungskette – noch zusätzlich zu den Antibiotika, die aus der Tiermast stammen. Jeder kann und sollte dazu beitragen, Antibiotikaresistenzen vorzubeugen. Das geht nur, wenn der Einsatz dieser Wirkstoffe in allen Bereichen so gering wie möglich gehalten wird. Denn wenn der Einsatz nicht eingedämmt wird, könnte es im Gesundheitswesen bald wieder so zugehen wie vor der Zeit des Penicillins – eigentlich harmlose Infektionen könnten wieder tödlich enden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 ab Seite 98.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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