Nachdenklicher Mann © bowie15 / iStock / Thinkstock

Kolumne | Holger Schulze

NÄCHTLICHE STERNSTUNDEN

Wieso ist Schlaf erholsam und wieso müssen wir überhaupt schlafen? Scheinbar hat es etwas damit zu tun, dass das Gehirn schlafen muss, um neurologischen Abfall loszuwerden.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Kennen Sie das auch? Sie werden mit ihrer Arbeit einfach nicht fertig, sind aber einfach zu erschöpft, um noch ein paar Überstunden einlegen zu können. Haben Sie sich dann auch schon einmal gewünscht, nicht müde zu werden und sich gefragt, wieso wir überhaupt Schlaf brauchen?

Tatsächlich ist regelmäßiger Schlaf unabdingbar für unsere Gesundheit, insbesondere die unseres Gehirns. Schlafentzug beeinträchtigt das Lernvermögen, verlängert Reaktionszeiten, vermindert die kognitive Leistungsfähigkeit und führt im Extremfall schon nach wenigen Tagen unweigerlich zum Tod.

Warum das so ist, war lange Zeit ein Rätsel. Eine überraschende Lösung des Problems fand sich unlängst in Untersuchungen zu einem vordergründig ganz anderen Themenkomplex, der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer. Hier ist bekannt, dass derartige Erkrankungen mit Ablagerungen zellulärer, neurotoxischer Abfallprodukte außerhalb der Zellen einhergehen.

Gängige Hypothese war, dass diese Ablagerungen im gesunden Gehirn von den Zellen aufgenommen und abgebaut werden und dass eine Störung dieses Mechanismus für die Entstehung von zum Beispiel Alzheimer verantwortlich ist. Wie sich nun zeigte, scheint ein (Glia-) Zelltyp im Gehirn, die Astrozyten oder Sternzellen, neben ihren zahlreichen anderen Funktionen für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Nervenzellen auch eine wichtige Rolle bei der Entgiftung des Gehirns zu spielen:

Sie steuern einen Flüssigkeitsstrom, der von der die Arterien umgebenden Hirnflüssigkeit (Zerebrospinalflüssigkeit) durch die Zellzwischenräume (interstitielle Flüssigkeit) hin zu den Venen fließt. Dieser Flüssigkeitsstrom scheint die schädlichen Ablagerungen abzutransportieren und so das im Gehirn weitgehend fehlende Lymphsystem zu ersetzen, weswegen dieser von den Gliazellen gesteuerte Mechanismus auch als „glymphatisches System“ bezeichnet wird.

Im Schlaf nun scheinen die Zellen zu schrumpfen, wodurch das Volumen des Zellzwischenraums nahezu verdoppelt und entsprechend der Flüssigkeitsstrom erleichtert werden kann. Dieser Mechanismus wird offenbar direkt durch Noradrenalin gesteuert, welches auch für den Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich ist. Rund zwei Drittel des schädlichen beta-Amyloids kann so abtransportiert und dem normalen Lymphsystem zugeführt werden, wodurch die giftigen Ablagerungen letztlich die Leber erreichen und dort abgebaut werden können.

Diese „Säuberungsrate“ ist damit im Schlaf rund zweimal so hoch wie im Wachzustand. Im Alter scheint das Volumen des Zellzwischenraums übrigens auch abzunehmen – zumindest bei Mäusen wurde das mittlerweile gezeigt – was das mit der Zeit steigende Alzheimerrisiko erklären könnte. Für einen gesunden und erholsamen Schlaf scheinen also weniger die funkelnden Sterne am Himmel verantwortlich zu sein, sondern vielmehr die ebenso zahllosen Sternzellen in Ihrem Kopf – meinen Sie nicht auch?

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/15 auf Seite 12.


Die beliebten Kolumnen von Prof. Dr. Schulze finden Sie
inzwischen auch gesammelt in einem Buch:

Streifzüge durch unser Gehirn
34 Alltagssituationen und ihre neurobiologischen Grundlagen.

Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit...  

Prof. Dr. Holger Schulze

×