Er war der erste, der auf die Idee kam, dass eine Desinfektion der Hände die Sterblichkeitsrate in Krankenhäusern senkt: Ignaz Semmelweis. © monkeybusinessimages / iStock / Getty Images Plus

Ignaz Semmelweis

„MIT AN DER HAND KLEBENDEN CADAVERTHEILEN“

Armer Ignaz Semmelweis. Der vor 200 Jahren in Ungarn geborene Arzt rettete mit seiner Händedesinfektion unzähligen Müttern das Leben – und wurde dafür von seinen Kollegen gehasst, verachtet und behindert.

Seite 1/1 2 Minuten

Seite 1/1 2 Minuten

Es war eine umständliche Prozedur: Semmelweis wies seine Ärzte an, ihre Hände fünf Minuten lang in Chlorkalk-Lösung zu baden, bevor sie die geburtshilfliche Station im Allgemeinen Krankenhaus von Wien betraten. „Es war ein sehr gutes Mittel, aber sehr schlecht für die Hände“, urteilt Didier Pittet von der Uniklinik Genf und Leiter des Hygieneprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO. Überhaupt fanden Ärzte und Pflegepersonal, diese neumodische Hygiene-Sache sei bloß Zeitverschwendung. Man glaubte damals noch, dass wabernde Dämpfe, Myasmen genannt, oder schlechte Stadtluft die Krankheiten verursachte. Von Bakterien wusste man noch nichts, die entdeckte und systematisierte Robert Koch erst später.

Semmelweis aber beobachtete, dass die Sterblichkeitsrate in der angrenzenden Abteilung, in der die Hebammen ausgebildet wurden, viel niedriger lag. Er schlussfolgerte daraus, dass die Schwestern eben nicht vorher mit Leichen in Berührung gekommen waren wie es die Ärzte taten. Nach dem Sezieren eilten die Doktores „mit an der Hand klebenden Cadavertheilen“ zu den Gebärenden, notierte sich Semmelweis. In „seiner“ Klinik betrug die Sterblichkeitsrate bei den Müttern, die an Kindbettfieber erkrankten, rund zwölf Prozent – wohingegen in der Hebammenabteilung nur ein Prozent der Frauen starben. Dem ungarischen Arzt gelang durch seine Maßnahme der gleiche Wert, aber Anerkennung fand er dafür nicht. Im Gegenteil. „Je stärker seine Beweise waren, desto energischer ist der Widerstand gegen ihn geworden“, sagt der Gründer des Semmelweis-Vereins, Bernhard Küenburg. Dass Ärzte selbst die Infektion mit Kindbettfieber begünstigten, wollte ihnen nicht in den Kopf und wurde von den meisten strikt abgelehnt. Ein paar wenige Kollegen unterstützten ihn, doch es waren nicht genug: Semmelweis verlor 1849 seine Assistenzarztstelle und schied aus dem Dienst. In zwei weiteren Kliniken, wo er kurz angestellt war, erreichte er ebenfalls einen drastischen Rückgang der Sterblichkeit unter den Wöchnerinnen.

In der Folge wurde erbittert gestritten; Semmelweis war nicht der diplomatischste. „Für mich gibt es kein anderes Mittel, dem Morden Einhalt zu tun, als die schonungslose Entlarvung meiner Gegner“, schrieb er an einen Professor der Geburtshilfe. Die Zeiten (und die Kollegen) waren gegen ihn: 1865 wurde der geifernde Ex-Doktor ohne Diagnose in eine Wiener Irrenanstalt gesperrt, wo er schließlich mit 47 Jahren unter ungeklärten Umständen starb. Mancher Biograf vermutet, dass er nach einem Ausbruch von den Wärtern bis zum Tode misshandelt wurde.

Ignaz Semmelweis ist ein Beispiel für einen, der zu früh kam. „Heute“, sagt Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, „würde Semmelweis mit Sicherheit zu den Favoriten für den Nobelpreis zählen.“

Alexandra Regner,
PTA 

Quelle: Spiegel online
   Rhein Neckar Zeitung

×