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Kino – Schon gesehen?

LORENZOS ÖL

In unserer neuen Serie greifen wir Filme auf, die Krankheiten thematisieren. Zunächst nehmen wir die Adrenoleukodystrophie ins Visier, eine Erbkrankheit, die mit einem raschen neurologischen Verfall einhergeht.

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Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Teilnahmslosigkeit, Stummheit, unbeständiger Gang, Sehverlust, Tetraparese, blind, taub, dekortizierte Haltung, Tod im neunten Monat: In der emotionalen Hollywoodverfilmung „Lorenzos Öl” wird die Geschichte von Lorenzo Odone behandelt, der an der seltenen Fettstoffwechselstörung Adrenoleukodystrophie leidet.

Der Junge kam 1978 als Sohn eines italienischen Ehepaares auf den Komoren zur Welt. Im Jahre 1983 zog die Familie aus beruflichen Gründen in die USA. Ein Jahr später begann Lorenzos Schicksal. Der Sohn von Michaela und Augusto Odone (im Film dargestellt von Susan Sarandon und Nick Nolte) veränderte sich plötzlich. Er wurde aggressiv, litt unter Wutausbrüchen, rannte gegen Möbel und konnte immer häufiger sein Gleichgewicht nicht halten. Schließlich erblindete er und verlor sein Gehör.

Als die Ärzte schließlich in der Kinderklinik die Diagnose ADL stellten, brach für Lorenzos Eltern eine Welt zusammen. Experten prognostizierten dem Kleinen eine Lebenserwartung von nur zwei weiteren Jahren. Sie versuchten unter anderem durch eine fettarme Diät die ADL zu bekämpfen – leider erfolglos, denn die Werte verschlimmerten sich dadurch noch.

Was geschah dann? Die Odones wollten die ungünstige Vorhersage nicht akzeptieren und kämpften. Obwohl er medizinischer Laie war, wälzte Augusto nun Nacht für Nacht Fachliteratur in Bibliotheken und Universitäten. Bei seinen Recherchen stieß er auf ein polnisches Rattenexperiment mit Rapsöl. Michaela hatte daraufhin die wesentliche Idee, warum ein Fettsäureentzug aus der Kost den Fettanteil im Gehirn nicht verminderte, sondern sogar steigerte: Blieb die Versorgung über die Nahrung aus, produzierte der Organismus selbst Fettsäuren, die sich im Gehirn anreicherten (Biosynthese).

Michaela und Augusto brachen die fettreduzierte Diät beim inzwischen gelähmten Lorenzo ab. Ihre Theorie war, dass eine Öltherapie ihrem Sohn eventuell helfen könnte. Trotz eines hohen Risikos verabreichten die Eltern Lorenzo das Öl – mit Erfolg. Immerhin reduzierte sich das Fettsäurevorkommen im Gehirn vier Monate später um die Hälfte. An diesem Punkt stagnierte der Rückgang jedoch.

Die bahnbrechende Idee Lorenzo ging es fortwährend schlechter, während auch der psychische Zustand seiner Eltern immer labiler wurde. Dennoch blieben sie hartnäckig und nahmen die Recherchen wieder auf. Eines Nachts hatte Augusto einen genialen Einfall. Aus der Tatsache, dass die Ölsäure nur zu 50 Prozent wirkte, zog er den Schluss, dass eine Kombination mit Erucasäure zum Ziel führen könnte.

Diese galt jedoch damals als zu giftig für eine Behandlung. Daher starteten die Odones vor der Gabe an Lorenzo einen Selbstversuch. Auch die aufwändige und kostspielige Herstellung der Substanz sprach gegen die Anwendung. Letztlich unterstützte ein Londoner Chemiker die Familie. Schließlich verhalf der Einsatz der Öl-/Erucasäuretherapie, bekannt unter dem Namen Lorenzos Öl, dem Jungen zu einer deutlichen Verbesserung seines Zustands.

ÜBERBLICK
In unserer neuen Serie „Kino – Schon gesehen?“ stellen wir Ihnen in den nächsten Monaten folgende verfilmte Krankheitsthemen vor:

+ Outbreak (Ebola)
+ Zeit des Erwachens (Schlafkrankheit)
+ Philadelphia (HIV/Aids)
+ Rain Man (Autismus)
+ Schmetterling und Taucherglocke (Locked-in Syndrom)
+ Ob ihr wollt oder nicht (Krebs)
+ Das Meer in mir (Tetraplegie)
+ Wie ein einziger Tag (Alzheimer)
+ Die Kameliendame (Lungen-TB)
+ Helen (Depression)
+ A Beautiful Mind (Schizophrenie)

In den folgenden Jahren gab es widersprüchliche Berichte zu der Verabreichung der Ölmischung. 2008 entschied das Bundessozialgericht, dass Lorenzos Öl nicht von den Krankenkassen erstattet werden muss. 1992 wurde schließlich das wahre Drama verfilmt. Die seltene Erkrankung ADL erlangte dadurch weltweites Aufsehen. Mehr als 20 Jahre überlebte Lorenzo die Prognose seiner Ärzte. Er erlag einen Tag nach seinem 30. Geburtstag den Folgen einer Lungenentzündung.

Steckbrief Adrenoleukodystrophie Die Erbkrankheit wird auch als Addison-Schilder-Syndrom bezeichnet und ist eine Störung des Fettstoffwechsels. Die schwere Form bricht im Kindesalter aus und kennzeichnet sich durch einen schnellen, neurologischen Verfall. Ursache dafür ist ein gestörter Transport von langkettigen, gesättigten, nicht verzweigten Fettsäuren. Diese können nur in den Peroxisomen (Vesikel im Zytoplasma der Zelle mit der Funktion eines Entgiftungsapparats) abgebaut werden.

Betroffenen fehlt ein Protein, das die Fettsäuremoleküle üblicherweise in dieses Zellorganell einschleust. Insbesondere die Moleküle mit 26 Kohlenstoffatomen reichern sich in bestimmten Zellen an. Zusätzlich zu den peripheren Nerven, dem Rückenmark, den Hoden und den Nebennierenrinden sind Gehirn, Hör- und Sehnerven befallen. Die Beteiligung der Nebennierenrinde hat zur Folge, dass zu wenig körpereigenes Kortisol hergestellt wird. Man behandelt diese so genannte Addison- Krise mit kortisonhaltigen Medikamenten.

»Die schwere Form bricht im Kindesalter aus und kennzeichnet sich durch einen schnellen, neurologischen Verfall.«

Die neurologischen Schäden entstehen durch die Zerstörung der Myelinscheide, welche die Axone der Nervenzellen normalerweise umgibt. Ist nicht mehr genug Myelin vorhanden, treten Symptome wie Spastiken, Bewegungseinschränkungen und Funktionsstörungen der Sinneswahrnehmungen auf. Eine weniger schwere Form der ADL ist die Adrenomyeloneuropathie (AMN). Sie macht sich in der Regel erst im dritten Lebensjahrzehnt bemerkbar. Zu den Symptomen zählen unter anderem emotionale und kognitive Störungen, Inkontinenz, progressive Paraparese, Depressionen und Impotenz.

X-chromosomal-rezessive Vererbung Die genetische Anomalie befindet sich auf dem X-Chromosom. Frauen besitzen davon zwei, Männer nur eines. Beim weiblichen Geschlecht gleicht das weitere X-Chromosom den Defekt aus. ADL bricht daher nur bei Männern aus, wird jedoch von Frauen übertragen. Die Töchter eines erkrankten Mannes würden Trägerinnen sein, während seine Söhne nicht betroffen wären. Ist eine Frau Konduktor des Gens, treten bei einer Schwangerschaft folgende Fälle mit einer Wahrscheinlichkeit von je 25 Prozent auf:

  • gesunde Töchter
  • gesunde Söhne
  • nicht erkrankte Töchter (Trägerinnen)
  • kranke Söhne.

Wie im Kinofilm kann das Wissen, dass ihr Kind die Krankheit von ihnen geerbt hat, Mütter stark belasten. Diese Tatsache führte bei Lorenzos Mutter zu starken Schuldgefühlen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/13 ab Seite 66.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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