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Interview

JOD & SCHILDDRÜSE

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) veröffentlichte kürzlich ihren zwölften Ernährungsbericht, wonach in Deutschland die Jodunterversorgung wieder zunimmt. Der Nuklearmediziner Dr. med. Lutz-Hendrik Holle erklärt, was das bedeutet.

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Wofür benötigen wir überhaupt Jod und was kann ein Mangel gerade bei Heranwachsenden bewirken?

Jod ist zur Produktion von Schilddrüsenhormon erforderlich. Eine erhebliche Mangelversorgung kann deshalb zu einer Unterfunktion führen. Ein leichter Jodmangel führt bei entsprechender Disposition zu Schilddrüsenwachstum mit Kropfbildung und fördert das Entstehen von Schilddrüsenknoten. Ein lange bestehender Jodmangel kann ferner zur Entstehung einer Schilddrüsenautonomie beitragen, die dann bei verbesserter Jodversorgung zur Überfunktion der Schilddrüse führt.

Wie verändert sich die Schilddrüse bei Jodmangel, welche Untersuchungen führen Sie durch? Ist die Bestimmung von Jod im Urin oder gar im Blut üblich beziehungsweise hilfreich?

Neben einer einfachen Vergrößerung (Struma diffusa) aufgrund eines gleichmäßigen Wachstums der Schilddrüse können auch Knoten entstehen. Die meisten von ihnen sind gutartig, aber auch bösartige sind möglich. Bei den Untersuchungen der Schilddrüse unterscheiden wir jene zur Beurteilung der Morphologie, also dem „Aussehen” der Schilddrüse, und der Funktion des Organs. Die Morphologie wird mittels hochauflösendem Ultraschall ohne Strahlenbelastung erfasst und lässt Aussagen über die Größe und die Struktur beziehungsweise über eventuell vorhandene Knoten zu.

Empfohlene Zufuhr* Jod µg/Tag
Säuglinge
0 bis unter 4 Monate1 40
4 bis unter 12 Monate 80
Kinder
1 bis unter 4 Jahre 100
4 bis unter 7 Jahre 120
7 bis unter 10 Jahre 140
10 bis unter 13 Jahre 180
13 bis unter 15 Jahre 200
Jugendliche und Erwachsene
15 bis unter 19 Jahre 200
19 bis unter 25 Jahre 200
25 bis unter 51 Jahre 200
51 bis unter 65 Jahre 180
65 Jahre und älter 180
Schwangere 230
Stillende 260
1 Hierbei handelt es sich um einen Schätzwert
* Quelle: DGE

Die „Funktion” der Schilddrüse ist die Produktion von Schilddrüsenhormonen, die in das Blut abgegeben und daher dort mittels einer Blutuntersuchung im Speziallabor erfasst werden. Bei einer Überfunktion oder Knoten mit mehr als zehn Millimeter Durchmesser ist eine Szintigrafie der Schilddrüse mit radioaktiven Jod oder Technetium-Pertechnetat erforderlich. Wir können so „kalte” (nichthormonproduzierende) und „heisse” (hormonproduzierende) Knoten identifizieren. Die Kenntnis ist für die weitere Behandlung wichtig. Die Bestimmung von Jod im Urin ist in der Praxis eher unüblich und bei der Behandlungsentscheidung in der Regel ohne besonderen Wert.

Wie sieht eine Therapie aus, wenn die Schilddrüse sich bereits verändert hat – genügt eine vermehrte Jodaufnahme über die Nahrung?

Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, da die Therapie je nach den vorliegenden Befunden individuell gestaltet werden muss. In einigen Fällen kann eine verbesserte „alimentäre” Jodzufuhr ausreichen, um ein Fortschreiten von Veränderungen (Größe, Knoten) der Schilddrüse zu stoppen. Gute Jodquellen sind zum Beispiel Seefische (z. B. Seelachs, Scholle, Schellfisch, Kabeljau), Milch und Milchprodukte sowie jodiertes Speisesalz.

Wann wird von ärztlicher Seite aus empfohlen, Jod einzunehmen – und in welchen Dosierungen?

Nach der letzten Eiszeit in Europa existiert auch in Deutschland ein Jodmangel, der auf das Auswaschen des Jods aus dem Erdreich durch das Schmelzwasser der Gletscher zurückzuführen ist. Die jahrzehntelangen Bemühungen unter anderem der Ärzte, die Jodversorgung hier zu Lande zu verbessern, tragen mittlerweile Früchte, sodass eine allgemeine Prophylaxe mit 200 Mikrogramm pro Tag, wie sie noch vor wenigen Jahren propagiert wurde, nicht mehr einheitlich empfohlen wird.

Wir empfehlen eine Jodprophylaxe von täglich 100 bis 150 Mikrogramm all jenen Menschen, die bei unauffälliger Schilddrüsenuntersuchung in der Familienanamnese Schilddrüsenvergrößerungen oder/und Knoten bei nahen Verwandten vorzuweisen haben. In therapeutischer Absicht erhalten Patienten täglich 150 bis 200 Mikrogramm Jodid, wenn bei ihnen eine Vergrößerung der Schilddrüse oder Knoten vorliegen (Knotenstruma). Zuvor sollte jedoch eine Überfunktion der gesamten Schilddrüse oder einzelner Knoten und eine Autoimmunerkrankung (Thyreoiditis Hashimoto oder Morbus Basedow) ausgeschlossen sein.

Gibt es eine Jodallergie?

Nicht in den in der Schilddrüsentherapie eingesetzten Dosierungen. Diese entsprechen der normalen Jodaufnahme in Regionen der Erde, die nicht zu den Jodmangelgebieten gehören.

Sollten Personen mit bekannten Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse auf jodierte beziehungsweise, stark jodhaltige Nahrungsmittel verzichten?

Bei den Autoimmunerkrankungen unterscheiden wir die Thyreoiditits vom Typ Hashimoto (oft mit Unterfunktion assoziiert) und den Morbus Basedow, der mit einer Überfunktion einhergeht. Bei Letzterem sollten höhergradige oder zusätzliche Jodmengen vermieden werden, weil diese die Überfunktion verstärken und die medikamentöse Therapie erschweren.

»Schilddrüsenhormone sind für die Steuerung und Aufrechterhaltung vieler Körperfunktionen erforderlich.«

Bei der Hashimoto-Thyreoiditis sollten keine Jodpräparate eingenommen werden. Eine Einschränkung hinsichtlich der Nahrungsaufnahme ist nicht erforderlich. Warnungen in einigen Medien sind überzogen, da dann konsequenterweise dort auch Reiseverbote in Länder mit besserer Jodversorgung ausgesprochen werden müssten.

Was ist mit betroffenen Schwangeren? Sollten diese zum Beispiel lieber Folsäurepräparate ohne zusätzliches Jod einnehmen oder erleidet das Ungeborene dann bereits einen Mangel?

Eine gute Jodversorgung in der Schwangerschaft ist für die Entwicklung des Kindes sehr wichtig. Deshalb raten wir auch Patientinnen mit Autoimmunthyreoiditis zur Einnahme von Jodid, übrigens auch für die Dauer der Stillzeit. Nur jene mit einer Überfunktion sollten auf eine Jodeinnahme verzichten.

Stichwort Wellness – sind Algenanwendungen, zum Beispiel als Körperwickel, ein Problem für Hashimoto- oder Basedow-Patienten?

Hier gilt das schon gesagte, nämlich kein Problem für Hashimoto-Patienten, aber eventuell problematisch für Basedow-Patienten, wenn entsprechende Jodmengen über die Haut resorbiert werden.

Auch immer wieder in der Diskussion – Urlaub am Meer, zum Beispiel an der Nordsee. Wirkt sich die jodreiche Luft negativ auf die Autoimmunerkrankungen aus?

Die Jodaufnahme über die Luft wird hier überbewertet. Bedeutsamer ist das am Meer oft vermehrte Verspeisen von Seefisch. Aber auch hier sehen wir keine Einschränkungen für Hashimoto-Patienten.

Vor zwei Jahren war der Reaktorunfall von Fukushima auch hier zu Lande ein großes Thema. Haben Sie das auch in Ihrer Praxis bemerkt oder gab es „keine Panik” unter Ihren Patienten?

Panik war keine zu verspüren und ja auch nicht angezeigt. Es gab vereinzelt eine gewisse Beunruhigung über die Möglichkeit, dass die Radioaktivität zu uns kommen könnte, die wir aber entkräften konnten – wie sich herausstellte zu recht.

VITA

Dr. med. Lutz-Hendrik Holle studierte bis 1990 Humanmedizin in Frankfurt am Main, parallel vier Semester Physik. Im selben Jahr schloss er zudem seine Promotion ab. Es folgte die internistische Weiterbildung in Hanau, 1992 dann die Approbation zum Arzt.

Als Assistenzarzt war er in der Klinik für Nuklearmedizin in den Unikliniken des Saarlandes tätig, die Facharztprüfung legte er 1996 ab. Seitdem ist der Mitglied der Praxis für Nuklearmedizin am Klinikum Hanau, seit 2007 auch am Goetheplatz in Frankfurt/Main. Seit 2005 ist er Mitglied der Kommission Nuklearmedizin der KV Hessen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/13 ab Seite 106.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

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