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Autoimmunerkrankungen

IMMUN- THROMBOZYTOPENIE (ITP)

Es ist eine seltene Krankheit. Weil sich das Immunsystem gegen die Blutplättchen wendet und sie dezimiert, steigt das Risiko für Blutungen. Heute lässt sich die Erkrankung meist gut behandeln.

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Der Name beschreibt die Erkrankung sehr treffend: Aufgrund einer Autoimmunreaktion („Immun“) ist die Anzahl der Blutplättchen („thrombozyto“) verringert („penie“). Sowohl Kinder als auch Erwachsene können betroffen sein. Nur etwa zwei bis sieben Neuerkrankungen gibt es pro 100 000 Einwohnern und Jahr. Bei 80 Prozent der Patienten lassen sich keine auslösenden Faktoren finden – dann spricht man von einer primären ITP. Bei den übrigen 20 Prozent sind offenbar Infekte, andere Erkrankungen oder Medikamente der Auslöser – hier handelt es sich um eine sekundäre ITP. Ein älterer Name für die Erkrankung ist idiopathische thrombozytopenische Purpura. Laut Expertenkonsens sollte er nicht mehr verwendet werden, weil zum einen „idiopathisch“ nicht mehr korrekt ist, da man die Ursache – die Autoimmunreaktion – heute kennt. Zum anderen tritt eine Purpura (Kapillareinblutungen unter der Haut) nicht bei allen Patienten auf. Ein weiteres Synonym ist Morbus Werlhof, benannt nach dem Arzt, der im 18. Jahrhundert den ersten Fall einer ITP beschrieben hat.

Akuter oder chronischer Verlauf Die Mehrheit der Patienten weist bei Diagnose aufgrund der niedrigen Thrombozytenwerte Blutungssymptome auf. Typisch sind Petechien (stecknadelkopfgroße Blutungen aus den Kapillaren in die Haut; meist an den Beinen), Blutungen der Schleimhäute (Mund, Nase, auch urogenital), verstärkte Menstruationsblutungen und eine Neigung zu blauen Flecken. Innere Blutungen sind selten. Etwa zwei Drittel der Kinder und ein Drittel der Erwachsenen haben einen akuten Verlauf der ITP, das heißt bei ihnen normalisieren sich die Thrombozytenwerte nach einigen Wochen bis Monaten wieder. Bei den anderen geht die Erkrankung in eine dauerhafte Form über. Bei diesem chronischen Verlauf haben 30 bis 40 Prozent keinerlei Blutungssymptome. Nichtsdestotrotz bleibt die Gefahr bestehen, dass insbesondere bei einer Verletzung lebensgefährliche Blutungen auftreten können. Viele Patienten klagen zudem über Fatigue, also chronische Müdigkeit.

Autoimmunreaktion als Ursache Ursache der verringerten Thrombozytenzahl ist ein vermehrter Abbau der Thrombozyten aufgrund einer Autoimmunreaktion: Irrtümlich gebildete Autoantikörper binden an Antigene auf der Oberfläche von Thrombozyten. Dadurch werden sie von Makrophagen und dendritischen Zellen in Milz und Leber erkannt und phagozytiert. Zudem können die Antikörper die Thrombozyten auch direkt schädigen und/oder ihre Funktion stören. Darüberhinaus kommt es zu einem Ungleichgewicht von verschiedenen T-Zellen und damit zu einer Immundysregulation. T-Lymphozyten können die Thrombozyten und ihre Vorläufer, die Megakaryozyten, auch direkt angreifen. Doch es werden nicht nur Blutplättchen vermehrt abgebaut – noch dazu wird die Bildung von Thrombozyten durch die Autoimmunreaktion und ihre Folgen gehemmt: Hier hat man herausgefunden, dass ITP-Patienten meist geringe Thrombopoietin-Spiegel haben. Dieser Botenstoff stimuliert normalerweise die Bildung und Differenzierung der Megakaryozyten und ist somit für die Produktion von Blutplättchen essenziell.

Diagnose nach dem Ausschlussverfahren Bei einem Verdacht auf eine ITP wird der Arzt einen Blutausstrich machen, um die Anzahl und das Aussehen der einzelnen Zelltypen zu beurteilen. Definitionsgemäß muss bei einer ITP die Thrombozytenzahl unter 100 000 Blutplättchen pro Mikroliter Blut liegen (normal sind 150 000 bis 400 000). Zudem müssen andere mögliche Ursachen für eine Thrombozytopenie wie beispielsweise Infektionen, ein Lupus erythematodes oder bösartige hämatologische Erkrankungen ausgeschlossen werden. Bei einer persistierenden ITP wird eine umfangreichere Diagnostik erforderlich.

Individuelle Therapie Bei der Therapie der ITP hat es in den letzten Jahren einige Veränderungen und Fortschritte gegeben: Neben der Anzahl der Thrombozyten werden heute auch Faktoren wie die individuelle Blutungsneigung, das Stadium der Erkrankung, der bisherige Krankheitsverlauf und die individuelle Situation des Patienten (z. B. Alter, Begleiterkrankungen, Verletzungsrisiko) bei der Therapieindikation berücksichtigt. Klar ist die Sache bei Patienten mit schweren Blutungen: Sie benötigen auf jeden Fall eine Behandlung, und zwar gemäß der aktuellen Leitlinie mit Corticosteroiden und intravenösen Immunglobulinen. Erstere unterdrücken das Immunsystem und vermindern damit die Bildung der Autoantikörper. Letztere verhindern die Phagozytose der Thrombozyten, wenn sie bereits Autoantikörper gebunden haben. Beide Maßnahmen verringern also den Abbau von Thrombozyten und führen so zu einem Anstieg der Thrombozytenzahl.

Weist ein Patient mit neu diagnostizierter ITP keine oder maximal eine milde Blutungsneigung auf, kommt der Thrombozytenwert ins Spiel: Ist er sehr niedrig (unter 20 000 bis 30 000/Mikroliter), dann sollte der Patient in der Erstlinie eine zeitlich begrenzte Therapie mit Corticosteroiden erhalten. Bei manchen Patienten erholen sich die Thrombozytenwerte dadurch dauerhaft. Die- jenigen, die einen Rückfall erleiden, sollen abhängig von ihren Symptomen weiter behandelt werden: Symptomatische Patienten sollten in der Zweitlinie Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten erhalten; diese Substanzen regen die Produktion von Megakaryozyten und damit von Thrombozyten an. Für Patienten ohne oder mit nur minimalen Blutungen ist abhängig von der individuellen Situation entweder ebenfalls eine Therapie mit Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten oder auch eine Watch-and-Wait-Strategie möglich. Patienten schließlich, die initial mehr als 20 000 bis 30 000 Thrombozyten und keine oder nur eine milde Blutungsneigung aufweisen, können, aber müssen ebenfalls nicht behandelt werden.

Im Falle eines Notfalls sollten neben Corticosteroiden und intravenösen Immunglobulinen auch Thrombozytenkonzentrate genutzt werden, um die Anzahl der Blutplättchen kurzfristig zu erhöhen. Zudem können auch Thrombopoietin-Rezeptor-​Agonisten sowie Rituximab eingesetzt werden. Eine operative Entfernung der Milz (Splenektomie) führt bei einem Teil der Patienten zu einem dauerhaften Anstieg der Thrombozytenzahlen. Aufgrund der verbesserten medikamentösen Möglichkeiten wird sie jedoch seltener eingesetzt. Sie ist heute noch indiziert, wenn ein Patient trotz Medikamenten weiterhin schwere Blutungen erleidet. Bei leichten bis mittelschweren Blutungen trotz Medikamenten kann sie erwogen werden. Schließlich empfiehlt die Leitlinie in der Drittlinie eine Therapie mit Rituximab, welche sich gegen B-Zellen richtet. Damit lässt sich bei vielen Patienten ein kurzfristiger An- stieg der Thrombozyten erreichen, längerfristige Remissionen jedoch nur bei deutlich weniger als der Hälfte. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 114.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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