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Krankheiten im Kindesalter

HÄUFIG UND OFT AUCH HEFTIG

Immer mehr Kinder leiden unter Kopfschmerzen. Wenn möglich sollten nichtmedikamentöse Therapien wie Entspannungsverfahren ausgeschöpft werden, bevor Arzneimittel zur Anwendung kommen.

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Kopfschmerzen, besonders Spannungskopfschmerzen, sind weit verbreitet. Viele Erwachsene sind es gewohnt, dann schnell ein Analgetikum einzunehmen. Doch dieses Verhalten sollte nicht un- kritisch auf Kinder und Jugendliche übertragen werden. Im Gegenteil: Experten sind sich einig, dass in dieser Altersgruppe nicht-medikamentöse Therapien eindeutig im Vordergrund stehen. Nur wenn diese ausgeschöpft sind, sollten auch Medikamente zum Einsatz kommen – und auch dann nur nach Verordnung durch einen Arzt.

Immer mehr Betroffene Kopfschmerzen sind die häufigsten Schmerzen bei Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren – noch vor Bauch- und Rückenschmerzen, so das Ergebnis der letzten KIGGS-Studie des Robert Koch-Instituts. In der Erhebung, die in den Jahren 2014 bis 2017 stattgefunden hat, gab fast jedes zweite Mädchen und jeder dritte Junge in dieser Altersgruppe an, im vergangenen Vierteljahr wiederholt Kopfweh gehabt zu haben. Bei den 3- bis 10-jährigen Kindern war jedes fünfte Mädchen und jeder sechste Junge betroffen (hier waren nur Bauchschmerzen häufiger). Gegenüber der vorherigen KIGGS-Erhebung aus den Jahren 2003 bis 2006 stellen die aktuellen Zahlen einen Anstieg der Kopfschmerzhäufigkeit dar. Das deckt sich mit Studien aus Skandinavien, in denen ebenfalls eine Zunahme von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen beobachtet wurde.

Spannungskopfschmerzen oder Migräne Dabei leidet die überwiegende Mehrheit der Betroffenen an Spannungskopfschmerzen oder Migräne, wobei die Unterscheidung insbesondere bei jüngeren Kindern bei weitem nicht so eindeutig ist wie bei Erwachsenen. Denn während sich Spannungskopfschmerzen bei Kindern und Erwachsenen ähneln, können Migräne-Attacken bei Kindern unterschiedlich ausfallen: Sie sind häufig nicht nur auf eine Seite des Kopfes beschränkt und dauern nur kurz (oft nur wenige Stunden). Vielfach sind Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen stark ausgeprägt, aber auch Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit und Schwindel können vorkommen; mitunter können die Kopfschmerzen sogar völlig fehlen. Auch Kinder können kurz vor der Attacke eine Aura bekommen.

Risikofaktoren identifiziert Die Faktoren, die zu einem erhöhten Risiko für Kopfschmerzen führen, sind vielfältig: Dazu gehören Lebensstilfaktoren wie Koffein-, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie körperliche Inaktivität und ein unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei Migräne gelten darüber hinaus bestimmte Nahrungsmittel als mögliche Auslöser. Auch Stress, etwa durch Leistungsdruck in der Schule oder hohe Erwartungshaltung der Eltern und wenig Freizeit erhöhen das Kopfschmerzrisiko. Gleiches gilt für psychische Belastungen etwa durch Konflikte in der Familie, ungerechte Behandlung durch Lehrer oder Mobbing durch Mitschüler.

Auch Kinder, die physisch, emotional oder sexuell misshandelt werden, haben häufiger Kopfschmerzen. Es hat sich zudem gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit Kopfschmerzen weitere körperliche und psychische Beschwerden haben können, darunter weitere Schmerzdiagnosen wie Bauch- oder Rückenschmerzen, affektive Störungen und Aufmerksamkeitsstörungen/Hyperaktivität (besonders Jugendliche mit Migräne) sowie möglicherweise Depressionen und Angsterkrankungen.

Frühzeitige Behandlung Um eine Chronifizierung der Kopfschmerzen zu vermeiden, ist eine frühzeitige Behandlung sinnvoll. Ein Kopfschmerztagebuch kann helfen, die individuell relevanten Auslöser zu identifizieren. Es liegt nahe, dass man hier ansetzen und versuchen sollte, sie zu reduzieren. Damit Kopfschmerzen gar nicht erst oder zumindest seltener auftreten, haben sich Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und Phantasiereisen als Maßnahmen zur Prophylaxe bewährt. Sie haben den Vorteil, dass der/die Betroffene sie jederzeit und überall selbst anwenden kann. Vergleichbar wirksam sind Biofeedbackverfahren, wofür allerdings ein Gerät benötigt wird.

An einigen spezialisierten Zentren können Kinder mit starken Schmerzen im Rahmen von Multikomponentenprogrammen darüber hinaus besondere psychologisch-verhaltensmedizinische Strategien zur Bewältigung von Stress und Schmerz und zur Verarbeitung von Reizen erlernen. In Einzelfällen kann zur Migräneprophylaxe auch bei Kindern eine medikamentöse Vorbeugung sinnvoll sein. Hierfür können die Betablocker Metoprolol oder Propanolol eingesetzt werden. Treten trotzdem Kopfschmerzen auf, stehen bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich zunächst nicht-medikamentöse Behandlungen im Vordergrund, wobei sich in der KIGGS-Studie allerdings gezeigt hat, dass Jugendliche bereits deutlich häufiger Schmerzmittel einnehmen als jüngere Kinder.

Spannungskopfschmerzen behandeln Zur Linderung von Spannungskopfschmerzen können mitunter bereits Bewegung an der frischen Luft, Zuwendung und die Beschäftigung mit etwas Positivem ausreichend sein; und schließlich hat sich die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) als wirksam erwiesen. Bringt all dies keine Linderung, können Ibuprofen, Paracetamol und auch Flupirtin als medikamentöse Therapie zum Einsatz kommen. Aber: Genau wie Erwachsene können auch Kinder und Jugendliche einen Schmerzmittel-induzierten Kopfschmerz entwickeln.

Therapie bei Migräneattacken Bei leichteren Migräneattacken kann es ausreichen, wenn das Kind sich hinlegt und schläft. Viele empfinden ein kaltes Tuch auf der Stirn und/oder eine leichte Massage der Schläfen, des Scheitels und des Nackens mit Pfefferminzöl als angenehm. Reicht dies nicht aus, haben sich Ibuprofen, Acetylsalicylsäure und Paracetamol als wirksam erwiesen, wobei Acetylsalicylsäure nur für Kinder ab 12 Jahre empfohlen wird. Falls nötig, kann Domperidon als Antimimetikum verordnet werden. Für Jugendliche ab 12 Jahren ist zudem das Triptan Sumatriptan als Nasenspray in Deutschland zugelassen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 09/2020 ab Seite 54.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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