Der Stoff, aus dem die Krimis sind

GIFTMORDE, TEIL 2

Leise, unauffällig, raffiniert: In 41 der über 70 Kriminalromane von Agatha Christie kommen die Mordopfer durch Gift ums Leben. Nicht ganz zufällig, denn schließlich arbeitete die Schriftstellerin in einer Apotheke.

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Giftmorde ziehen sich durch das gesamte literarische Werk der britischen Kriminalautorin Agatha Christie . Dabei kennen Kreativität und Skrupellosigkeit der fiktiven Täter keine Grenzen: Vergiftet werden die ahnungslosen Opfer mit allem, was hierfür irgendwie infrage kommt. Nikotin, Arsen, Thallium, Morphin, Strychnin und Digitalis gehören unter anderem zum Repertoire der Mörder in Christies fesselnden Romanen. Kein Wunder, dass die perfiden Giftmorde selbst meisterliche Spürnasen wie den belgischen Detektiv Hercule Poirot und die altjüngferliche Miss Marple immer wieder vor neue Herausforderungen stellen.

Warum Gift zu den bevorzugten Mordwaffen in Agatha Christies Werken gehört? Wahrscheinlich, weil sich die „Duchess oft Death“ nun einmal hervorragend mit giftigen Substanzen auskannte, war sie in jungen Jahren doch in einer Apotheke tätig. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie in ihrem Geburtsort Torquay erst als Krankenpflegerin in einem Feldlazarett und später als Assistentin in einer Krankenhausapotheke. Mit Akribie erfasste sie in Notizbüchern in alphabethischer Reihenfolge Aussehen und Eigenschaften von Substanzen, fertigte fein-säuberliche Tabellen über die Zubereitung von Belladonna, Digitalis & Co. an – ein „Hobby“, das sie sich später als Schriftstellerin zunutze machen konnte.

Dass Agatha Christies Darstellungen von Symptomen und Wirkungen von Giften beinahe Lehrbuchniveau haben, bestätigten ihr die Berliner Rechtsmediziner Volkmar Schneider und Benno Rießelmann vor einigen Jahren: In einer Studie beschäftigten sich die Experten mit Agatha Christies Beschreibungen der toxischen Wirkungen von Nikotin und Thallium und bescheinigten ihr meisterliche Leistungen.

Perfekter Mord?
Gift als perfekte Mordwaffe? Das war vielleicht einmal. Lesen Sie in der nächsten Ausgabe,
wie es Gerichtsmedizinern heute gelingt, Vergiftungen nachzuweisen.

Lebensrettende Lektüre Thallium diente in Christies Krimi „Das fahle Pferd“ aus dem Jahr 1961 als Mordinstrument. Als die Autorin das Werk verfasste, konnte sie nicht ahnen, dass ihr Krimi Jahre später einem Kind das Leben retten sollte. In England wurde 1977 ein neunzehn Monate altes Kleinkind mit schweren, aber unspezifischen Krankheitszeichen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte rätselten über die Ursachen, bis plötzlich eine Krankenpflegerin den entscheidenden Hinweis lieferte: Thallium! Die Symptome, die das Kind zeigte, ähnelten nämlich denen eines Mordopfers im Roman „Das fahle Pferd“, den die clevere Pflegerin gelesen hatte.

Mit ihrer „Diagnose“ traf sie ins Schwarze, sodass das Kind mit einem Antidot gerettet werden konnte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Eltern zu Hause ein thalliumhaltiges Rattengift ausgelegt hatten, dass ihr Kind wohl in den Mund gesteckt und versehentlich geschluckt haben musste. Antriebslosigkeit, Ohnmachtsanfälle, Taubheit in Händen und Füßen, allgemeine Schwäche und Haarausfall gehören zu den charakteristischen Symptomen einer Thalliumvergiftung.

Thallium (chemisches Symbol Tl) zählt zu den Schwermetallen und wurde im letzten Jahrhundert als Rattengift gehandelt. Für Giftmörder bot es sich aufgrund seiner Geruchlosigkeit und Geschmacksneutralität als Mordwaffe in nahezu idealer Weise an. Nicht nur im Krimi, sondern auch in der Realität ereigneten sich zahlreiche Thalliumvergiftungen. Heute sind sie jedoch glücklicherweise eine Rarität und Thallium wird häufiger zum Heilen als zum Morden eingesetzt. In der Homöopathie sind Thallium aceticum und Thallium sulfuricum nämlich bewährte Mittel gegen Haarausfall.

Die Dosis macht das Gift Auch mit Arsen (Elementsymbol As), dem „Gift der Gifte“, beförderte Agatha Christie fiktive Opfer ins Jenseits. So beispielsweise den bedauernswerten Albert Ackenthrope im Miss-Marple-Klassiker „16 Uhr 50 ab Paddington“. Auch die Fantasie zahlreicher anderer Autoren regte das hochgiftige Halbmetall immer wieder an. So beschreibt die englische Schriftstellerin Dorothy L. Sayers in ihrem Roman „Starkes Gift“ den Mord mit einem mit Arsen vergifteten Omelett. Und in der unvergessenen Filmkomödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ sorgen zwei „reizende“ alte Damen dafür, dass ältere, einsame Männer reihenweise „zu Gott finden“.

Eine akute Arsenvergiftung verursacht Krämpfe, Übelkeit, innere Blutungen, Koliken und führt schließlich zu Nieren- und Kreislaufversagen. Die Einnahme von 60 bis 170 Milligramm Arsen(III)-oxid (Arsenik) gilt für Menschen als tödliche Dosis – meist tritt der Tod innerhalb von einigen Stunden oder wenigen Tagen ein. Obwohl einerseits hochtoxisch, wurde Arsen auch lange Zeit in Arzneimitteln eingesetzt. Arsenhaltige Mineralien wurden schon in der Antike als Heilmittel verwendet, wie Aufzeichnungen von Hippokrates und Plinius belegen.

Im 18. Jahrhundert wurde eine Mischung aus Kaliumarsenit und Lavendelwasser als „Fowlersche Lösung“ bekannt. Sie galt als medizinisches „Wundermittel“ und wurde unter anderem zur Fiebersenkung eingesetzt. Von medizinischer Bedeutung war lange Zeit auch das von Paul Ehrlich entwickelte arsenhaltige Arsphenamin, das Anfang des letzten Jahrhunderts zur Behandlung von Syphilis auf den Markt kam. Auch in der modernen Medizin spielt das chemische Element Arsen wieder eine Rolle und zwar sowohl in der Homöopathie in Form von Arsenicum album als auch in der Krebstherapie. Arsenikhaltige Präparate werden heute gegen eine bestimmte Form der Leukämie, die so genannte akute Promyelozyten-Leukämie (APL), eingesetzt.

Tödliche Alkaloide
Als Apothekenmitarbeiterin kannte sich Agatha Christie auch hervorragend mit Alkaloiden aus. Kein Wunder also, dass einige ihrer Krimiopfer an Strychnin-, Morphin- oder auch Nikotin-Vergiftungen starben. „Das fehlende Glied in der Kette“ (1920) heißt der erste Kriminalroman der Autorin, in dem Meisterdetektiv Hercule Poirot in einem Strychninmord ermittelt. Hinter Strychnin verbirgt sich ein außerordentlich toxisches Alkaloid, das in den Samen der Brechnuss (Strychnos nux vomica) zu finden ist. Schon vergleichsweise gering dosiert kann Strychnin Grausames bewirken: Muskelzuckungen, schwere Krämpfe und schließlich Tod durch Atemlähmung. Als hochgiftige Mordwaffe war Strychnin jedoch nur bedingt geeignet, weil es zu den bittersten Substanzen überhaupt gehört.

Der Rote Fingerhut war 2007 „Giftpflanze des Jahres”. Diese wird jährlich in öffentlicher Abstimmung vom Botanischen Sondergarten in Hamburg-Wandsbek gewählt. Foto: © miket/www.fotolia.com

Dem Morphium widmete Agatha Christie einen ganzen Roman. Im gleichnamigen Werk aus den 1940er-Jahren sterben zwei Frauen an Morphinvergiftungen. Morphin, das Hauptalkaloid des Opiums, ist aus der modernen Medizin nicht wegzudenken: Als besonders stark wirksames Analgetikum kann es selbst bei schwerstkranken Patienten das Leiden lindern. Erstmals 1804 gelang es dem deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Adam Sertürner, Morphin aus Opium, also aus dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns, zu isolieren – ein Meilenstein in der Pharmaziegeschichte. Doch wie Morphin Leiden lindern kann, wirkt es in der Überdosis tödlich. Der Tod tritt durch Atemstillstand ein.

Im Agatha-Christie-Kriminalroman „Nikotin“ aus dem Jahr 1934 schließlich ermittelt Spürnase Hercule Poirot im Fall zweier Giftmorde durch das Nervengift Nikotin. In den Wurzeln der Tabakpflanze wird das Alkaloid gebildet und wandert mit zunehmender Reife in ihre Blätter. Dort dient es der Abwehr von Fraßinsekten. Was den Insekten zum Verhängnis wird, kann auch den Menschen umbringen: Bei einer schweren Nikotinvergiftung kommt es zum Kreislaufkollaps und schließlich zum Tod durch Atemlähmung. Die tödliche Dosis für den Menschen beträgt 50 Milligramm. Nikotin als Mordwaffe inspirierte nicht nur Agatha Christie, sondern beflügelt auch die Fantasie moderner Drehbuchautoren. Im ARD-Tatort „Schleichendes Gift“ aus dem Jahr 2007 musste ein Ministeriumsbeamter sein Leben lassen. Tückische Todesursache: destilliertes und damit flüssiges Nikotin im grünen Tee!

AUGEN AUF UND FINGER WEG!
Zu den gefährlichsten Giftpflanzen gehören …

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der Blaue Eisenhut (Aconitum napellus): Sein Hauptgift, das Aconitin, ist in allen Pflanzenteilen zu finden, vor allem jedoch in der Wurzel und in den Samen. Zwei Gramm der Wurzel sind absolut tödlich. Vergiftungserscheinungen sind Herzrhythmusstörungen und Krämpfe, in schweren Fällen Kreislauflähmungen bis hin zum Tod. In der Homöopathie wird Aconitum in verdünnter Zubereitung therapeutisch eingesetzt, unter anderem bei akuten entzündlichen Erkrankungen.

+ die Schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna): Alle Pflanzenteile, vor allem jedoch die hochtoxischen schwarzen Beeren, enthalten das Gift Atropin. Bei Kindern kann bereits der Verzehr von drei bis fünf, bei Erwachsenen von etwa zehn Beeren innerhalb von Stunden zum Tod durch Atemlähmung führen. In homöopathischer Aufbereitung wird die Tollkirsche (Belladonna) heute gegen zahlreiche Beschwerden eingesetzt, typischerweise bei schmerzhaften Erkrankungen mit hohem Fieber.

+ die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale): Das Alkaloid Colchicin steckt in allen Pflanzenteilen, vor allem jedoch in den Samen. Übelkeit und Tod durch zentrale Atemlähmung sind die Folgen einer Intoxikation. Die Herbstzeitlose wurde 2010 zur „Giftpflanze des Jahres“ gewählt.

+ der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea): Seine Pflanzenteile sind allesamt hochgiftig. Bereits der Verzehr von zwei bis drei Fingerhutblättern kann tödlich enden. Symptome einer Vergiftung sind Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen und Haluzinationen. In der Medizin werden Digitalispräparate bis heute zur Behandlung von Herzmuskelschwäche und bestimmten Formen von Herzrhythmusstörungen eingesetzt.

+ der Gefleckte Schierling (Conium maculatum): Alle Pflanzenteile, vor allem jedoch die Samen, sind hochgiftig. Das Alkaloid Coniin kann sogar über die unversehrte Haut eindringen. In der Antike war das Trinken des Schierlingsbechers eine verbreitete Todesstrafe, unter anderem für den griechischen Philosophen Sokrates. Heute kommt Conium maculatum als Homöopathikum zum Einsatz, beispielsweise gegen Schwindel und Muskelschwäche.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/11 ab Seite 54.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

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