Kolumne | Holger Schulze

GEISTIGE FITNESS AUS DER STECKDOSE

Eine gezielte Elektrostimulation frontaler und temporaler Hirnareale kann möglicherweise dem Nachlassen des Arbeitsgedächtnisses im Alter entgegenwirken.

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Kennen Sie das auch? Das Nachlassen der geistigen Fitness im Alter? Wohl jeder hat die entsprechenden Symptome schon mal beobachtet, wenn noch nicht an sich selbst, dann sicherlich bei älteren Familienangehörigen oder Freunden: Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, man wird vergesslich, im schlimmsten Fall mündet das Ganze in eine echte Altersdemenz. Um dem Vorzubeugen gilt nach wie vor, sich dadurch geistig fit zu halten, dass man sein Gehirn entsprechend benutzt, für Gedächtnisübungen zum Beispiel.

Eine aktuelle Studie zeigt aber möglicherweise noch einen anderen Weg auf. Eine zentrale Rolle beim Nachlassen geistiger Fähigkeiten im Alter spielt das Arbeitsgedächtnis, also die Fähigkeit, sich eine geringe Informationsmenge für kurze Zeit merken zu können. Ein funktionierendes Arbeitsgedächtnis zeichnet sich im EEG dadurch aus, dass die elektrische Aktivität temporaler („seitlicher“) Kortex-Areale in bestimmten Frequenzbändern, dem Theta- und dem Gamma-Band, zeitlich gekoppelt ist.

Das Theta-Band steht dabei für langsame Hirnwellen im Bereich von 7 bis 9 Hz (= Schwingungen pro Sekunde), das Gamma-Band für schnelle Wellen um 30 Hz. Zusätzlich sind die Theta-Wellen des frontalen Kortex mit denen temporaler Bereiche synchronisiert. Im Alter nun lassen diese zeitlichen Kopplungen nach, und zwar umso mehr, je stärker die Leistung des Arbeitsgedächtnisses nachlässt. Wie eine Forschergruppe aus Boston nun zeigen konnte, lässt sich die Aktivität in den genannten Hirnregionen durch eine von außen angelegte elektrische Stimulation wieder normalisieren.

Bei der Methode, die sich hochauflösende transkranielle Wechselstromstimulation nennt (engl. high-definition transcranial alternating current stimulation, HD-tACS), werden frontale und temporale Hirnareale durch auf die Kopfhaut aufgelegte Elektroden im Theta-Rhythmus stimuliert und so wieder zeitlich synchronisiert. Mit dem Ergebnis, dass in dem Maße, in dem dies gelingt, auch die Leistung des Arbeitsgedächtnisses wiederhergestellt wird.

Elektrostimulation verbessert das Gedächtnis!

Interessanterweise funktioniert das Verfahren nicht nur bei Älteren, sondern auch bei jugendlichen Probanden mit Gedächtnisschwächen! Darüber hinaus kann man mit der gleichen Methode auch die Gedächtnisleistung gesunder Probanden kurzfristig schwächen, indem man die zeitliche Synchronisation der Nervenaktivität zwischen den Hirnarealen stört. Noch stehen diese Untersuchungen am Anfang, aber es besteht die Hoffnung, durch eine solche Wiederherstellung der Arbeitsgedächtnisleistung im Alter auch weitere kognitive Funktionen zu stärken und so einer Altersdemenz vorzubeugen.

Sollten Sie nun aber auf die Idee kommen, sich selbst mal ein Stromkabel an den Kopf zu halten, darf ich dringend davon abraten: Wichtig bei der Stimulation ist neben korrektem Ort und Stärke der Stimulation auch die Frequenz: Hier muss die eigene Theta-Frequenz erst bestimmt und dann verwendet werden, sonst schadet die Behandlung – aber vermutlich hatten Sie das ohnehin nicht ernsthaft vorgehabt …

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 auf Seite 12.

Zur Person

Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de 

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaft- liches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de 

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