Mann im Supermarkt © shironosov / iStock / Getty Images
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Bücher, von denen man spricht

ECHTES ESSEN

Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast hielt sich immer für recht gesund. Bis ihn eines Tages beim Joggen Herzbeschwerden heimsuchten: Mit dem „Tag, an dem mein Herz streikte“ eröffnet sein Buch „Der Ernährungskompass“.

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Es war, „als würde eine stählerne Hand dein Herz fest anpacken und ruckartig zusammendrücken“ – der erst vierzigjährige Vater eines kleinen Sohnes ging nach dieser Attacke in sich. Schließlich wollte er noch nicht sterben. Er begann, wissenschaftliche Studien zu sammeln, mit journalistischer Akribie Bücher über Ernährung zu lesen und auszuwerten, nur um festzustellen, dass sie sich verwirrenderweise oftmals widersprachen. Mal war Milch gesund, dann machte sie krank, mal wurde jegliches Fett verpönt, dann wieder sollte Olivenöl der Heilsbringer sein, mal galt Low Fat als Non-Plus-Ultra und dann wieder Low Carb. Ja, was denn nun?

Insulinresistenz wird zur Regel Das Sympathische an diesem Buch ist, dass der Autor aufgrund seiner Erkenntnisse sein Leben geändert hat – und gesund wurde. Das alles, um es vorwegzunehmen, weil er aus der Vielzahl der Informationen eben nicht dogmatisch die eine heilsbringende Diät herausgefiltert hat. Sondern Bas Kast hat genau untersucht, wie sich welche Ernährung auf welche Stoffwechseltypen auswirkt. Er berücksichtigte dabei die großen Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Arteriosklerose und Typ-​2-Diabetes und stellt fest: „Insulinresistenz ist die Stoffwechselstörung der wohlernährten Welt schlechthin. Insulinresistenz ist somit keine exotische Ausnahmeerscheinung mehr, sondern wird zur Regel.“

Gerade in Bezug auf diese Entgleisung des Körpers bietet das Buch wertvolle Hinweise. Der Autor erklärt in auch für Laien verständlicher Sprache, warum sich die Körperzellen dem Überangebot der Glukose verschließen und warum eine bestimmte Art der Ernährung Abhilfe schaffen kann (in diesem Fall geht das eher in Richtung Low Carb). Für den einen oder anderen Leser überraschend empfiehlt er aber auch bestimmte Kohlenhydrate – und Fett. Denn „auch die Proteine, die wir essen, führen bis zu einem gewissen Grad zu einem Insulinanstieg. Der einzige Hauptnährstoff, der metabolisch weniger vom Insulin abhängig ist, ist Fett.“

Wenn man also bei Insulinresistenz auf Kohlenhydrate verzichtet und seine Ernährung auf Fett als primären Brennstoff umstellt, ändert man seinen gesamten Stoffwechsel auf günstige Weise: Das chronisch verrücktspielende Insulin kommt zur Ruhe, der Spiegel sinkt, die Insulin-Fettspeicherung wird aufgehoben: Das Fett kann endlich aus dem Fettgewebe entweichen und dem restlichen Körper zur Verfügung gestellt werden: „Es ist, als käme man wieder an sein Festgeld ran.“

Schokolade im Kaffee Durch diese griffigen Vergleiche lebt das Buch und auch ein Laie versteht, worum es geht. Lust auf Süßes? Kast gibt den Tipp, einen Brocken sehr dunkle Bitterschokolade morgens in den Kaffee zu tun, das ist gesund. Vollfetter Joghurt mit Blaubeeren, täglich zwei Hände voll Nüsse, Olivenöl und Vollkornbrot – ein Rezept für Hummus und Sauerteigbrot gibt’s außerdem obendrauf. Jedenfalls, die Herzbeschwerden kamen nach der Recherche für dieses Buch nie wieder. Bas Kast möchte, dass seine Leser verstehen, wie ihr Körper funktioniert. Er erklärt, dass die Leber Glukose sozusagen weiterreicht, Fruktose aber wie ein Schwamm aufsaugt und erläutert, dass diese Vorratsspeicherung von Zucker für den Steinzeitmenschen wohl gut war, da er eben nur einmal im Jahr – zur Erntezeit der Früchte – in den Fruktoserausch verfiel.

Heute fungiert die Zuckerart als Fettmacher – denn wir bereiten uns immer noch auf einen Winter vor, der nie kommt. Unser Körper giert ganzjährig danach, und die Industrie befriedigt diese Lust, indem sie den billigen Rohstoff Zucker in so ziemlich alle Fertigprodukte mischt, die es im Supermarkt zu kaufen gibt. Er mahnt: „Das ist ein wichtiger Grund, so viel wie möglich selbst zu kochen, mit frischen Zutaten unmittelbar aus der Natur statt aus der Industrie.“ Die Tatsache, dass Fett nicht unbedingt fett macht, zu viel Zucker aber unbedingt krank, dass Kartoffeln mit Vorsicht zu genießen sind, bestimmte Linsensorten aber durchaus eine Alternative sein können, mag zunächst überraschen. Doch Kasts Sprache, die mit Verve vorgetragenen Zusammenhänge und die wissenschaftlichen Untermauerungen sind ein Grund dafür, dass dieses Buch in der Fülle der Ernährungs- und Diätratgeber ein wichtiges, ja ein notwendiges Buch ist.

Denn allzu oft verlieren sich solche Ratgeber in dogmatischen Zuweisungen. Der Autor rät dazu, seinen Körper zu testen, ihn „auszuprobieren“, am eigenen Leibe zu erfahren, dass der Appetit erst nachlässt, wenn er sein Proteinsoll aufgenommen hat (das geht mit Junkfood sehr schlecht). Kritisch beleuchtet er auch die käuflichen Nahrungsergänzungsmittel: Allenfalls Vitamin D spricht er die Supplementierungsnotwendigkeit zu. Wenn man die zwei- bis drei Male „fettigen Fisch“ pro Woche nicht erträgt, kann man auch einmal zu Omega-3-Kapseln greifen; überhaupt habe er in seinen Studienberichten Hinweise darauf gefunden, dass diese Fettsäuren als Stimmungsaufheller fungieren, was vor allem in Bezug auf Depressionen ein interessanter Ansatz sei.

Grünes Gold Ach ja, und dann ist da noch das Olivenöl. Kast hat herausgefunden, dass es seinen guten Ruf zu Recht verdient, nicht umsonst sei die „Mittelmeerdiät“ eine wissenschaftlich anerkannte, der Gesundheit zuträgliche Ernährungsweise. Sie ist sogar so gut, dass bei der entsprechenden Langzeitstudie die Kontrollgruppe umgeswitcht wurde: Die Wissenschaftler konnten es aufgrund der sich abzeichnenden Befunde nicht weiter vertreten, ihr noch länger die heilsame fettreiche Kost vorzuenthalten.

Für die PTA interessant ist auch die Tatsache, dass das Öl aus der Olive und das Schmerzmittel Ibuprofen Gemeinsamkeiten haben: Ein Forscher entdeckte nämlich, dass flüssiges Ibuprofen in ähnlicher Weise im Hals kratzt wie gutes Olivenöl, das ja ebenfalls entzündungshemmende Eigenschaften besitzt. Und tatsächlich stellten anschließende Untersuchungen heraus: Das im Öl enthaltene Polyphenol Oleocanthal mit seinem pfeffrig-stechenden Geschmack hemmt die gleichen Entzündungssignalwege wie das Schmerzmittel, wenn auch in weitaus geringerem Umfang. Die verdünnte Wirkung ist dabei aber nicht von Nachteil: Oleocanthal dämpft nach den Ergebnissen einer Studie das im Alter oft chronisch leicht hochgefahrene Immunsystem auf sanfte Weise.

Zwölf Tipps Wer nun wegen der vielen Studien den Überblick verloren hat, wird am Ende des Buches auf den neusten Stand gebracht. In den „12 wichtigsten Ernährungstipps“ stellt der Autor noch einmal seine Erkenntnisse zusammen. Er empfiehlt, möglichst unverarbeitete Nahrungsmittel zu essen: „In erster Linie ist es das, worauf Sie im Supermarkt gleich beim Eingang treffen.“ Pflanzen als Hauptspeise, lieber Fisch als Fleisch, Joghurt hui und Zucker pfui und keine Angst vor (dem richtigen) Fett. Sein wichtigster Rat aber steht ganz am Ende: „Genießen Sie!“ sagt Bas Kast. Jeder muss seinen eigenen Weg finden zwischen Genuss und Gesundheit – und dieses Buch ist ein guter Wegweiser dazu. Vielleicht heißt es auch deswegen „Ernährungskompass“.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/18 ab Seite 130.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Bas Kast: Der Ernährungskompass.
Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung.
C. Bertelsmann Verlag, 320 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3570103197

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