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Repetitorium

DIURETIKA – TEIL 1

Weltweit und auch in Deutschland zählen wassertreibende Medikamente zu den am meisten verordneten Arzneimitteln. Für die Beratung sollte deshalb das nötige Grundlagenwissen parat sein.

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Diuretika sind der Überbegriff für Substanzen, die eine vermehrte Harnausscheidung bewirken. Ist mit der gesteigerten Wasser- auch eine erhöhte Salzausscheidung verbunden, spricht man von Saluretika, manchmal auch Natriuretika. Aquaretika sind hingegen Wirkstoffe, die nur die Wasserausscheidung forcieren, nicht dagegen die Natriumchlorid- Exkretion erhöhen.

Angriffspunkt NiereIm Regelfall hat der Mensch zwei Nieren, bohnenförmige Organe von etwa zehn bis zwölf Zentimeter Länge und fünf bis sieben Zentimeter Breite, die links und rechts neben der Wirbelsäule oberhalb der Taille liegen. Die Nieren nehmen im Körper lebenswichtige Aufgaben wahr: In erster Linie werden Wasser, Mineralstoffe, Stoffwechsel- und Abbauprodukte unseres Körpers ausgeschieden. So sind sie am Abbau von Plasmaproteinen und Peptidhormonen beteiligt und kontrollieren den Elektrolyt- und Wasserhaushalt. Es wird für ein konstantes Flüssigkeitsvolumen im Organismus gesorgt.

Auch die osmotische Konzentration und das Ionengleichgewicht wird aufrechterhalten, der Säure-Base-Haushalt reguliert und ein körpergerechter pH-Wert eingestellt. Zudem produzieren die Nieren das Hormon Renin und sind so über das Renin- Angiotensin-System an der Blutdruckregulation des Körpers maßgeblich beteiligt. Zu guter Letzt werden in den Nieren zudem die Hormone Calcitriol (Vitamin D3) und Erythropoetin gebildet.

An der Oberfläche ist die Niere von einer festen, bindegewebigen Kapsel überzogen. Im Längsschnitt sind bereits makroskopisch die Nierenrinde, das Nierenmark sowie das Nierenbecken mit dem herausführenden Harnleiter zu sehen. In der Niere selbst existieren Millionen von winzig kleinen Nierenkörperchen (Nephronen), Nierenkanälchen und Sammelröhrchen.

»Beim Einsatz von Diuretika muss deshalb generell darauf geachtet werden, dass keine beziehungsweise wenige Elektrolytverschiebungen auftreten.«

Das Nephron (Durchmesser 100 bis 150 Mikrometer) ist dabei die kleinste Funktionseinheit der Niere. Es besteht aus dem Glomerulus (einem Knäuel an Kapillaren), umgeben von der Bowman-Kapsel, dem proximalen Tubulus, mit seinen in der Nähe gelegenen Harnkanälchen, dem distalen Tubulus, mit weiter entfernten Harnkanälchen, und Sammelrohren. Die geraden Teile des proximalen und distalen Tubulus werden auch „Henle-Schleife“ genannt. Die gewundenen tubulären Abschnitte befinden sich im Nierenrinden-Bereich, die schleifenförmigen Anteile primär im Nierenmark.

Jedes Sammelrohr, das etwa 2,2 Zentimeter lang ist, hat mehrere Zuflüsse aus benachbarten Nephronen. Die einzelnen Sammelrohre vereinigen sich spitzwinklig zu größeren Röhren, die in Nierenkelche münden. Diese schlauchförmigen Nierenkelche fangen den fertigen Harn (Endharn) auf und leiten ihn schließlich in den Sammelraum des Nierenbeckens. Umgeben ist das Tubulussystem noch von einem Kapillarnetz, das die Blutversorgung sicherstellt. Das Blut fließt in die Niere hinein und faktisch ist jedes einzelne Nierenkörperchen eine Mini-Filterstation, durch die das Blut hindurch gepresst wird.

Das den Nierenkörperchen Blut zuführende Gefäß wird „Vas afferens“ genannt, das Blut abführende „Vas efferens“. Die Filtrationsprozesse laufen im Glomerulus ab und halten wichtige Blutbestandteile bestimmter Größe zurück, während Wasser und kleinere Blutbestandteile durch den Filter gelangen. Der Primärharn, ein weitgehend eiweißfreies Ultrafiltrat, entsteht. In einem zweiten Schritt, genau genommen in den Tubuli und Sammelrohren, erfolgt dann die Rückresorption von für den Körper noch wertvollen Stoffen sowie von Wasser in der benötigten Menge, damit der Mensch nicht austrocknet.

Darüber hinaus können im Tubulussystem aber auch weitere Substanzen ausgeschieden werden. Aus den Sammelrohren fließt der konzentrierte Endharn schließlich ins Nierenbecken und von dort aus über den Urether (Harnleiter) in die Blase. Pro Tag filtern die Nephronen dabei etwa 180 Liter Primärharn aus dem Blut, wovon letztlich aber nur ein bis zwei Liter den Körper tatsächlich als Endharn (Urin) verlassen. Bei Wassermangel wird der Urin stärker konzentriert. Ist hingegen genug Wasser vorhanden, wird er verdünnt. Der Rest wird rückresorbiert. So bleiben Wasser- und Elektrolytgehalt im Körper weitgehend konstant. Die Niere ist somit – vereinfacht ausgedrückt – das lebenswichtige Klärwerk des Körpers.

Keine „Nierenpharmaka“ Trotz ihres Angriffs an der Niere sind Diuretika allerdings keine „Nierenpharmaka“. Sie können keine Nierenerkrankungen heilen oder bessern. Auch können sie bei Niereninsuffizienten nicht den Beginn einer Dialyse hinauszögern. Im Gegenteil: Zahlreiche Diuretika (Thiazide, kaliumsparende Diuretika, nicht hingegen Schleifendiuretika) führen zumindest kurzfristig und bei höherer Dosierung durch eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate zu einer verringerten Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen.

Die Folge: Eine Niereninsuffizienz kann sogar vorübergehend verschlechtert werden! Was tun Diuretika also? Sie erhöhen die Flüssigkeitsausscheidung und senken so den Wassergehalt des Körpers. Immer wenn überdurchschnittliche Wassermengen den Organismus beeinträchtigen, kommen sie zum Einsatz. Herangezogen werden sie also bei allen Erkrankungen, die hierdurch eine Besserung erzielen können: Ödeme ausschwemmen, Bluthochdruck senken, Erleichterung der Herzarbeit und damit Milderung einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) sind die typischen Indikationsgebiete.

Daneben können auch weitere Erkrankungen mit Wassereinlagerungen, etwa eine Leberzirrhose, eine Niereninsuffizienz (insbesondere mittels Schleifendiuretika) abgemildert werden, Giftstoffe verstärkt aus dem Körper geschwemmt werden. Eine Anwendung zur Gewichtsreduktion oder zum Doping, etwa beim Bodybuilding, ist hingegen abseits der regulären Anwendungsgebiete und gefährlich.

Hauptanwendungsgebiete im Einzelnen Der Einsatz bei Ödemen ist einleuchtend, da ein Wirkstoff ja gerade dann als Diuretikum oder exakter Saluretikum bezeichnet wird, wenn er die für eine Ödemausschwemmung erforderliche Mehrausscheidung von Natriumchlorid und Wasser hervorruft. Allerdings wirken sie nur gegen das Symptom, können also bei der Ödembehandlung eine spezifisch gegen die Grundkrankheit gerichtete Therapie nicht ersetzen.

Auch eine womöglich notwendige und sinnvolle Kompressionsbehandlung ersetzen Diuretika nicht; sie können bestenfalls anfänglich unterstützen. Außerdem darf und sollte nicht jedes Ödem mit Saluretika behandelt werden. So sind Ödeme bei Schwangeren keine Indikation für Saluretika, da die Gefahr einer Verdickung des Blutes, also einer Erhöhung der Blutviskosität besteht und die Sauerstoffversorgung des heranwachsenden Kindes leiden könnte.

Bei einem beginnenden oder leicht erhöhten Blutdruck werden bei älteren Menschen häufig zunächst als Monotherapie niedrig dosierte Diuretika eingesetzt. Und etwa 80 Prozent aller Blutdruckpatienten mit leichter Symptomatik sprechen auf diese Behandlung gut an, sodass laut klinischen Studien tatsächlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Todesfälle vermieden werden können – jedenfalls solange keine Hypokaliämien oder andere stärkere Elektrolytverschiebungen bei den Betroffenen auftreten.

Ein weiteres großes Einsatzgebiet der „Wassertabletten“ ist die Herzinsuffizienz, also Herzschwäche, die häufig als Folge einer Arteriosklerose oder eines Herzinfarkts auftritt. Insbesondere Aldosteron-Antagonisten (kaliumsparende Diuretika) zeigen hierbei nicht nur den symptomatischen diuretischen Effekt, sie verhindern vielmehr auch pathologische, also krankhafte Veränderungen des Herzens bei Insuffizienz. Natürlich existieren leider auch missbräuchliche Anwendungen.

So schätzen Bodybuilder die „Wassertabletten“ vor Wettkämpfen, um ihre Muskeln stärker hervortreten zu lassen. Und als „Diäthilfe“ führen Diuretika zu einer Gewichtsabnahme – allerdings nur durch Wasserverlust, nicht durch Fettabbau. Bei Sportarten, bei denen es auf das Gewicht stark ankommt, haben Leistungssportler diese Funktion zu kurzfristigen Gewichtsreduktion gerne einmal genutzt. Längst stehen Diuretika allerdings auf der Dopingliste.

Verschiedene Ziele Diuretika greifen an mehreren Stellen der Harnkanälchen an: am Zufluss, dem distalen Tubulus, am Abfluss, dem proximalen Tubulus oder an dem Überleitungsstück dazwischen, der Henle-Schleife. Je nach Angriffsort am Nephron und Wirkmechanismus werden die Diuretika in unterschiedliche Gruppen eingeteilt:

  • Benzothiadiazine (Thiazide) und Analoge: Angriff primär am frühdistalen Tubulus.
  • Schleifendiuretika: Angriff primär am dicken Teil der Henle-Schleife.
  • kaliumsparende, gerne auch mal kaliumretenierende Diuretika oder Antikaliuretika genannt: Angriff primär am spätdistalen Tubulus sowie am Sammelrohr.
  • Aquaretika: Angriff primär am distalen Tubulus und am Sammelrohr.

Die Entwicklung dieser gut wirksamen und auch weitgehend gut verträglichen Pharmaka hat dazu geführt, dass viele ältere Produkte quasi obsolet wurden. Dies gilt etwa für

  • Xanthin-Derivate;
  • Carboanhydratasehemmer: Angriff vorwiegend am proximalen Tubulus;
  • Osmodiuretika: ohne speziellen Angriffspunkt

Die beiden Letzteren haben sich allerdings noch eine gewisse Daseinsberechtigung bei ganz speziellen Indikationen bewahrt. Zudem existieren Pflanzen mit diuretisch wirksamen Inhaltsstoffen. Allerdings haben diese neben den chemischsynthethisch hergestellten Wirkstoffen bei ärztlicher Behandlung nur eine sehr untergeordnete therapeutische Bedeutung. In der Selbstmedikation werden sie ab und an hingegen durchaus nachgefragt und geschätzt.

Nebenwirkungen/Kombinationspräparate Diuretika als Wirkstoffgruppe spielen aufgrund ihres weiten Einsatzgebietes somit im Alltag vieler Menschen tagtäglich eine große Rolle, obwohl sie nicht nur generell, sondern gerade bei betagten Menschen durchaus zu schwerwiegenden Nebenwirkungen, Komplikationen bis hin zur notwendigen Krankenhauseinweisung führen können. Hauptgründe: Elektrolytstörungen, Hypovolämie und andere Effekte auf den Stoffwechsel. Denn alle Saluretika können – das liegt in ihrer Funktion begründet – zu Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts führen (Näheres hierzu im Repetitoriumsteil 2).

Beim Einsatz von Diuretika muss deshalb generell darauf geachtet werden, dass keine beziehungsweise möglichst wenige Elektrolytverschiebungen auftreten. Dies sollte mittels Laborkontrolle regelmäßig überprüft werden. Optimal wäre es natürlich, einen Wirkstoff als Diuretikum zu haben, der dem Organismus die Elektrolyte genau in dem Konzentrationsverhältnis entziehen könnte, wie diese in der Interzellularflüssigkeit (Flüssigkeit im Zellzwischenraum, dem Interzellularraum) vorliegt. Leider existiert ein solches Diuretikum als Monosubstanz bis dato noch nicht.

Thiazide und Schleifendiuretika führen zwar zur gewünschten gesteigerten Natriumchlorid-Ausscheidung. Gleichzeitig kommt es aber zu einem Verlust an Kalium- und Magnesiumionen. Kaliumsparende Diuretika wiederum führen zu einer gesteigerten Retention, also Rückführung von Kalium- und häufig auch von Magnesiumionen. Indem entsprechende Wirkstoffgruppen zu fixen Kombinationspräparaten zusammengestellt wurden, konnten die einzelnen Nachteile zumindest teilweise ausgeglichen werden.

Durch die gleichzeitige Gabe eines Schleifendiuretikums oder eines Thiazids mit einem kaliumsparenden Wirkstoff, kann trotz zunächst verstärkter Kochsalzausscheidung eine neutrale Kalium- und Magnesiumbilanz annähernd erreicht werden. Dennoch bleibt eine sorgfältige Überwachung der Blutelektrolytwerte, insbesondere des Kaliumspiegels, bei Anwendung solcher Kombinationsprodukte erforderlich. Vor Therapiebeginn und mindestens einmal jährlich sollte eine Bestimmung des Kaliumspiegels erfolgen. Bei gestörter Nierenfunktion der Betroffenen hat die Analyse sogar engmaschiger zu erfolgen.

Im zweiten Repetitoriumsteil werden unter anderem die einzelnen Diuretika-Gruppen einer genaueren Betrachtung unterzogen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/15 ab Seite 64.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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