Oft lässt sich eine Epilepsie mit Medikamenten gut behandeln. © metamorworks / iStock / Getty Images Plus

Internationaler Epilepsietag | Migräne

DIE VIELEN GESICHTER DER EPILEPSIE

Halluzinationen, Muskelzuckungen, Ohnmacht: Epilepsie hat viele Gesichter. Oft, aber nicht immer, lässt sich die Erkrankung mit Medikamenten in den Griff bekommen. Trotzdem ist es gut, Rezepte für den Notfall zu kennen - für Betroffene ebenso wie für Unbeteiligte.

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Plötzlich ist Alexander Walter einfach weg. «Es ist wie ein Vorhang, der sich am Kopf entlang zuzieht und alles verdunkelt», beschreibt der 37-Jährige einen seiner epileptischen Anfälle. Drei bis fünf Minuten dauern diese. Und nach einer Viertelstunde ist wieder alles so, als sei nichts gewesen. Eine Lappalie ist ein epileptischer Anfall deswegen aber nicht: Im Job, im Straßenverkehr oder im Schwimmbad hat er womöglich fatale Folgen.

Walter gelingt es dank eines Vorgefühls meistens, sich gegen die Anfälle zu wappnen. Doch das Glück hat nicht jeder, der unter Epilepsie leidet. Treffen kann sie jeden, in jedem Alter - vom Kind bis zum Greis. Rund 500 000 Menschen sind nach Angaben der Deutschen Epilepsievereinigung betroffen. Dabei entfaltet das aus Milliarden von Nervenzellen bestehende Gehirn vorübergehend eine übermäßige Aktivität und sendet zu viele Signale. Es kommt zu einer Art Gewitter im Kopf.

Die Folge dieses Gewitters sind epileptische Anfälle. «Sie machen sich ganz unterschiedlich bemerkbar», sagt Stefan Conrad, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Epilepsievereinigung. Es gibt generalisierte und fokale Anfälle: Bei ersteren ist das gesamte Gehirn betroffen, bei letzteren nur ein Teil.

Alexander Walter hat fokale Anfälle - bei ihm äußern sie sich eher unauffällig. «Nach einem solchen Vorfall bin ich restlos erschöpft und möchte nur noch schlafen», erzählt er. Andere Betroffene erleben eine andere Art von Anfall: So können sich zum Beispiel Gliedmaßen verkrampfen, anderswo verlieren Teile des Körpers die Muskelspannung. Dabei werden Betroffene bewusstlos und stürzen. Es gibt Anfälle mit Halluzinationen oder Anfälle, bei denen einzelne Muskelgruppen in schneller Folge zucken. Und schließlich gibt es den «Grand mal»: Dabei krampft und zuckt der ganze Körper, der Betroffene sackt in sich zusammen und verliert das Bewusstsein.

Epilepsie hat ganz unterschiedliche Ursachen. «Das können etwa Schlaganfälle, Kopfverletzungen durch Unfälle oder Entzündungen der Hirnhaut sein», erklärt Conrad. Das Problem: Nicht immer wird eine Epilepsie auch gleich als Epilepsie erkannt. So war es auch bei Walter. Er war dreieinhalb Jahre alt, als er an Leukämie erkrankte. Die Ärzte verordneten damals zusätzlich eine Ganzhirn-Bestrahlung, um die Krebszellen zu zerstören. Das gelang auch. Doch Jahre später bekam Walter immer mal wieder Kopfschmerzen. «Eindeutig Migräne», so der damalige Befund.

Walter nahm gegen seine vermeintliche Migräne Tabletten. Doch sie halfen ihm nicht. Eines Morgens wurde er wach und war völlig orientierungslos. Wieder suchte er Ärzte auf, diesmal Neurologen. «Erst in meinem 24. Lebensjahr ist bei mir Epilepsie diagnostiziert worden», erzählt Walter.

Damals ging er für acht Tage stationär in ein Epilepsiezentrum. Dort wurde bei ihm unter anderem ein Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht. Dabei werden die Hirnströme gemessen. Weist das EEG bestimmte Muster auf, dann ist eine erhöhte Anfallsneigung wahrscheinlich. Zusätzlich prüfen die Ärzte mit Hilfe einer Magnetresonanztomografie (MRT), ob im Gehirn etwas anders ist, das Anfälle begünstigt.

Von Epilepsie ist die Rede, wenn epileptische Anfälle ohne erkennbaren Auslöser mehrfach aufgetreten sind. «Aufgrund eines einmaligen Anfalls liegt nicht unbedingt Epilepsie vor», sagt Conrad. Ein einzelner Anfall kann auch andere Ursachen haben - Schlafentzug etwa oder übermäßigen Alkoholkonsum. Walter hatte in seinem Leben schon unzählige epileptische Anfälle. Im Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main bekam er Medikamente verschrieben, mit deren Hilfe er die Erkrankung in den Griff bekam. Seit Juni 2017 hatte er keine Anfälle mehr. Aber die Angst, dass es doch noch einmal passieren könnte, sei immer da.

«Ich wollte nie, dass die Epilepsie mein Leben bestimmt», sagt Walter, der als Disponent im elterlichen Dienstleistungsbetrieb arbeitet und alleine in seiner Wohnung lebt. Er fühlt sich gut aufgehoben mit seiner Familie und mit seinen Freunden. Er mag es schwimmen zu gehen, sich auf ein Glas Rotwein zu verabreden oder ins Kino oder in die Oper zu gehen. «Für mich war es einfach, weil ich immer Hilfe hatte», sagt Walter, der sich unter anderem als Vorsitzender im Landesverband Hessen der Deutschen Epilepsievereinigung engagiert.

Walter hat auch ein Gegenmittel parat, falls doch mal wieder ein Vorgefühl auf einen drohenden Anfall hindeutet: «Starken Kaffee trinken mit einem Schuss Zitronensaft», sagt er. Oder Gesicht und Nacken mit kaltem Wasser besprenkeln.

Aber es gibt auch Epilepsie-Betroffene, die sich nicht so gut im Leben zurechtfinden. Manche bekommen trotz der Medikamente immer noch regelmäßig Anfälle. «Gerade für sie ist es enorm wichtig, dass sie sich mit anderen Betroffenen zwanglos austauschen können», erklärt Björn Tittmann, Leiter einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe im sächsischen Annaberg.

Was ihm auch ein Anliegen ist: «Es muss bekannter werden, wie Außenstehende sich im Fall eines Falles verhalten sollten.» Gut zu wissen: Ein Anfall hört in der Regel von selbst wieder auf. Wichtig ist aber, Betroffene währenddessen zu schützen: Scharfkantiges sollte man ihnen abnehmen, eine Brille auch. Ansonsten sollten Umstehende dem Betroffenen ruhig und geduldig zur Seite stehen. Einen Notarzt rufen müssen sie erst, wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert oder innerhalb einer Stunde zum zweiten Mal auftritt.

Quelle: dpa

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