© UZV

Die Besondere Apotheke

DIE MEDIZIN DER HILDEGARD

Der Weg zur Platanenapotheke in Aschaffenburg führt durch das grüne Blätterdach einer Allee. Und wer durch die Schiebetür die Offizin betritt, weiß, warum Carolin Winklmaier uns geschrieben hat.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Weil es bei uns so gut riecht“ gab sie auf einer Postkarte an die Redaktion an, „und weil wir bekannt sind für die gute Beratung in der Naturheilkunde.“ Ätherische Öle und Kräuter mischen sich zu einem Geruchscluster, der seinesgleichen sucht und der Wohlbehagen und Geborgenheit verbreitet. Bereits am Eingang steht das große Regal mit den Ingredienzien der Hildegard-Medizin. „Das“, sagt Winklmaier, „bekommen Sie nicht im Großhandel.“

Begeisterte Belegschaft Denn diese Apotheke hat ein besonders Steckenpferd: die Medizin der Hildegard von Bingen, die als Äbtissin vor 850 Jahren lebte und eine Gesundheitslehre schrieb. Sie hat auch heute noch viele Anhänger; selbst Ernährungswissenschaftler und Naturheilkundler verweisen auf die verblüffend treffsicheren Kommentare in ihrer „Physica“. Vor vielen Jahren seien einmal drei PTA und eine PKA aus seiner Apotheke an den Bodensee zu einem Seminar über Hildegard gefahren, erzählt der Inhaber und Apotheker Bernhard Fuchs. „Sie kamen unglaublich begeistert zurück.“ Und so hat sich die kleine Apotheke ihr eigenes Fachgebiet geschaffen: „Es ist von selbst entstanden und wird von allen mitgetragen.“ Die Kunden – das erzählen alle Angestellten unisono – kommen von weit her. „Wir haben ja alles da.“ Gemahlenen Fenchel gibt es hier, Galganttabletten, Mutterkümmel, Flohsamen, Bertram und das Pulver für die bekannten Hildegard-Gewürzplätzchen. Hier stehen Tinkturen, Elixiere und spezielle Pflanzenauszüge. Und natürlich jede Menge Literatur über die berühmte Ordensfrau und ihre Lehren.

Geruchsintensive Dekoration Worauf diese Apotheke ihren Schwerpunkt legt, wird auch in der Dekoration deutlich: Auf einem kleinen Tisch vor einer der Kassen stehen Wiesenkräuter in kleinen braunen Fläschchen, jedes einzelne mit der Hand gepflückt und noch frisch, davor jeweils ein Namensschild: „Klappertopf“, „Hornklee“, „Wegerich“, „Rupprechtskraut“. Langweilig wird den Kunden bestimmt nicht, sollten sie einmal warten müssen: Echte Bienenwaben dienen der Veranschaulichung des alten Heilmittels Honig (und verströmen seinen Geruch); ein Bücherständer hält die neusten Bücher über Naturheilkunde bereit, eine andere Ecke der Offizin ist ganz den Duftölen gewidmet. Hinter dem HV, der in gläsernen Schubladen heilende Gewürze zur Schau stellt, steht ein alter Holzschrank mit Einlegearbeiten und Verzierungen, der ausschließlich Globuli enthält. In langen Reihen stehen dort die Fläschchen in ihren jeweiligen Potenzen und Wirkstoffen. „Wir haben immer schon Wert darauf gelegt, von Anfang an“, sagt der Apotheker: „Wir waren auch die ersten, die eine homöopathische Taschenapotheke vorrätig hatten.“

Pharmazie als Familientradition Am 1. April 1986 hat Bernhard Fuchs die Platanenapotheke zusammen mit seiner Frau übernommen. „Damals herrschte hier noch 70er Jahre-Stil, wir haben nach und nach alles umgebaut.“ Fuchs stammt aus einer Apothekerfamilie, er selbst ist Pharmazeut in sechster Generation. Aus der alten Apotheke seines Vaters, der selbst bis in sein 82. Lebensjahr in der Offizin stand, hat er einige Erinnerungsstücke eingebracht: das große, schöne und diffizil bemalte Holzschild der „Maria Hülf-Apotheke“ zum Beispiel. Im Schaufensterregal finden sich Original-Utensilien wie ein Pillenbrett, zwei mechanische Mikroskope, eine Taschenwaage, einige Pulverschiffchen aus echtem Horn. Neben einer glänzenden Messingwaage steht ein „Signirapparat“, der aussieht wie ein Buch. Wenn man das mit goldenen Jugendstilbuchstaben bedruckte Behältnis aufklappt, kommen alte Schablonen und Farbpaletten zum Vorschein, mit denen damals Standgefäße individuell beschriftet wurden. Und auf einem der alten Hornschiffchen steht noch das Wort „Morphin“ – weiße Pulver können sonst schon mal verwechselt werden.

Zwölf Angestellte arbeiten in der Platanenapotheke, alle schon jahrelang, eine Fluktuation ist praktisch nicht vorhanden. Alle ziehen an einem Strang, denn sie haben dieselbe Idee im Kopf: „Es ist ein sehr erfüllendes Arbeiten“ beschreibt es der 66-jährige Chef. „Vor einigen Jahren haben wir noch Veranstaltungen abgehalten mit 300 Leuten, in der Stadthalle, über die Hildegard-Medizin und auch über Schüßler Salze und andere naturkundliche Themen.“ Er holt einen dicken Aktenordner, in dem er die Kunden-Emails abgeheftet hat. „Hierher kommen oft Menschen, die an einem Endpunkt angelangt sind, die nicht mehr weiter wissen. Viele Ärzte haben keine Zeit mehr. Wir hören ihnen zu. Wir können zwar keine Therapie anbieten, aber wir können hinhören.“ Und so kann es schon einmal länger dauern, bis die PTA und der Apotheker herausgefunden haben, welches die richtige Medizin ist. Oft sind das Einzelanfertigungen, individuell hergestellt, aus der Homöopathie, aus der Spagyrik, aus der Kräuterheilkunde. „Es hat wirklich geholfen. Ich habe ganz viel Lebensqualität zurückgewonnen“, schreibt eine Frau überglücklich, weil ihre rheumatischen Beschwerden eklatant zurückgingen. „Das freut einen natürlich“, lächelt Bernhard Fuchs.

Nachfolger gesucht Er lächelt auch dann noch, als er sagt: „Nun mögen die Leute natürlich sagen: Wirtschaftlich ist das nicht so doll, was wir hier machen.“ Er gibt offen zu, dass sich mit dieser Art der Apothekenführung keine großen Gewinne einfahren lassen. Aber es reicht für ein zufriedenes, erfülltes Leben für sich und seine Angestellten. Nur eines macht ihm ein wenig Sorgen: „Die Apotheke kann jetzt langsam in jüngere Hände kommen. Ich wünsche mir einen Nachfolger, der dies hier in meinem Sinne weiterführt.“ Noch ist keiner in Sicht, „aber das Problem haben ja viele.“ Dann entschuldigt er sich, er muss wieder in die Offizin. Die Kunden stehen bis zur Tür, denn der Verkaufsraum ist klein. Man unterhält sich in dem weichen fränkischen Idiom dieser Gegend und es klingt ein bisschen wie Singen. Als sie den Apotheker erblickt, dreht sich eine Kundin um und lacht. „Hallo Herr Fuchs. Ich fühl mich immer so wohl hier. Und es riecht so gut!“ 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/17 ab Seite 122.

Alexandra Regner, PTA und Redaktion

Kontakt
Arbeiten Sie auch in einer besonderen Apotheke? Dann schreiben Sie uns, am besten per Email! Geben Sie bitte Ihren Namen und den der Apotheke an und nennen Sie den Grund, warum Ihr Arbeitsplatz ein ganz besonderer ist. Mit ein wenig Glück besuchen wir Sie. Bewerbungen unter p.peterle@uzv.de.

×