Interview mit Dr. Ilse Zündorf

DIE GRÜNE APOTHEKE

Der Neue Senckenbergische Arzneipflanzengarten in Frankfurt am Main beherbergt 13 Hochbeete, in denen die Heilpflanzen nach medizinischen Indikationen geordnet sind. Dr. Ilse Zündorf erklärt, was hinter diesem Konzept steckt.

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Seit wann gibt es den neuen Arzneipflanzengarten?
Der Neue Senckenbergische Arzneipflanzengarten in seiner jetzigen Form wurde am 23. Juni 2007 feierlich eröffnet. Im selben Jahr wurde der 300. Geburtstag des Botanikers und Arztes Johann Christian Senckenberg gefeiert, der der Gründer und Stifter des ersten Botanischen Gartens in Frankfurt war. Auch vor 2007 gab es schon Beete im Botanischen Garten der Universität, die Arzneipflanzen vorgestellt haben, aber diese Einfassungen waren sehr an den Rand des Gartens gedrängt und reichlich unattraktiv für den Besucher: Die Pflanzen waren streng wissenschaftlich nach Inhaltsstoffklassen angeordnet, was für den Laien nicht unbedingt einsichtig war. Deswegen nutzten wir 2005 die freiwerdenden Flächen aus der ehemaligen systematischen Abteilung für eine völlig neue Konzeption. Die Planung und Umsetzung hat dann doch fast zwei Jahre gedauert.

Was passierte mit dem alten Heilpflanzengarten, dem Hortus medicus, der noch von Dr. Johann Christian Senckenberg gestiftet wurde?
1766 erwarb Senckenberg am Eschenheimer Tor ein bereits mit zwei Häusern bebautes Gartengrundstück. Das Hauptgebäude wurde zum Stifts- und Wohnhaus mit Bibliothek, Versammlungsraum und chemischen Laboratorium umgebaut. In den Jahren 1768 bis 1774 wurde der etwa zwei Hektar große Hortus medicus angelegt, dessen Fertigstellung Senckenberg, der 1772 tödlich verunglückte, leider nicht mehr erlebte. 1907 wurde das komplette Stiftungsareal am Eschenheimer Tor verkauft und die dort ansässigen Institute sind seitdem über das ganze Stadtgebiet verteilt.

Dabei wurde der Botanische Garten an den Ostrand des Palmengartens verlegt, wo er seit 1914 von der Universität genutzt wird. Das heutige, acht Hektar große Gelände wurde ab 1936 erschlossen. Das ganze Areal des ursprünglichen Stiftungsgeländes Senckenbergianum ist mittlerweile der „Stadt“ gewichen. Nur noch der Name „Stiftstraße“ einer der an das ursprüngliche Gelände angrenzenden Straßen, erinnert daran, dass an der Stelle ursprünglich Senckenbergs Anlage stand.

Für welche Besuchergruppen war der Garten damals – und heute – gedacht?
Senckenberg hatte seinen Hortus medicus für Lehrzwecke geplant, um Ärzte, Chirurgen und Hebammen in Heil- und Medizinalpflanzenkunde zu unterweisen. Wenige Jahre nach Eröffnung des Gartens wurden bereits 1430 verschiedene Arten kultiviert. Im heutigen Garten sind wesentlich weniger Arzneipflanzen angebaut und wir wollen alle Frankfurter Bürger über die Anwendung der Pflanzen bei den verschiedenen Indikationen informieren.

Werden die Pflanzen auch noch für Forschungszwecke genutzt?
Nicht bei uns am Institut für Pharmazeutische Biologie – unser wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Aufklärung der molekularen Ursachen für Leukämien, die vor allem bei Kleinkindern auftreten. Aber wir bringen natürlich den Pharmaziestudentinnen und -studenten bei, wie sie Arzneipflanzen erkennen und analysieren können. An anderen Universitäten, wo auch Pharmazie gelehrt wird, wird aber zum Teil durchaus mit und an Arzneipflanzen geforscht.

Wie kam es zu der Idee mit den heutigen Indikationsbeeten – und wie viele gibt es insgesamt?
Wir hatten von Anfang an geplant, den neuen Arzneipflanzengarten informativ für ein breites Publikum zu gestalten und da ist natürlich die eingängigste Einteilung die der Indikation. Dass daraus dann einzelne Hochbeete in einer eher organisch geschwungenen Form wurden, hatte einerseits ästhetische, andererseits aber auch aus gärtnerische Gründe.

Das zur Verfügung stehende Gelände ist leicht abschüssig, sodass bei einer normalen ebenerdigen Beetbepflanzung das Problem mit abfließendem Wasser bzw. Staunässe bestanden hätte. Durch die einzelnen Hochbeete konnten die verschiedenen Flächen eben und auf unterschiedlichen Höhen angelegt werden. Darüberhinaus sind die Pflanzen so wesentlich näher am Besucher dran; eine olfaktorische Wahrnehmung wird dadurch leicht ermöglicht.

Die Beete sind zum Teil nach Organsystem zusammengestellt, wie „Atemwege“, „Blutkreislauf “, „Harnwege“, „Nerven“, zum Teil nach konkreter Indikation wie „Durchfall“, „Entzündung“, „Krämpfe“, „Verdauung“ oder „Verstopfung“, zum Teil aber auch nach Inhaltsstoffkategorien der Pflanzen, hier sind die Beete „Gifte“, „Aroma“, „Gewürz/Aroma“ und „Reinstoffe“ zu nennen.

Insgesamt sind es also 13 Einfassungen, wobei uns nie bewusst war, dass wir eine „Unglückszahl“ gewählt haben. Im Übrigen haben wir die Namen gezielt eingängig ausgewählt, damit der normale Besucher auch etwas damit anfangen kann. Wir wollten niemanden mit dem Begriff „Obstipation“ verunsichern, bei „Durchfall“ weiß jeder, worum es geht.

Welche typischen Pflanzen finden sich in den jeweiligen Beeten?
Wir haben Kompromisse gemacht. Zum einen schon mal einen gärtnerischen: Es hat keinen Sinn, Pflanzen einzusetzen, die in unseren Breiten nicht wachsen und dann nicht schön aussehen oder die irgendwann alles überwuchern. So haben wir zum Beispiel auf dem „Durchfall“-Beet extra eine kleinwüchsige Variante von der Stieleiche Quercus robur eingesetzt.

Des Weiteren war für uns als Wissenschaftler klar, dass wir auf den Indikationsbeeten nur Gewächse zeigen wollen, deren Wirksamkeit auch sicher gezeigt ist und deren Anwendung wir dann auch vertreten können. Beispielsweise der Purpur-Sonnenhut Echinacea purpurea oder die Kapland-Pelargonie Pelargonium sidoides auf dem „Atemwege“-Beet oder aber der Hopfen Humulus lupulus und das Tüpfel-Johanniskraut Hypericum perforatum auf dem „Nerven“-Beet. Dort haben wir auch noch andere Johanniskrautsorten eingesetzt, die nicht offizinell sind, um den Unterschied zwischen den Arten zu verdeutlichen.

Im Beet „Gifte“ haben wir eine Auswahl, die einerseits extrem giftig ist, wie zum Beispiel der Blaue Eisenhut Aconitum napellus oder auch die Herbstzeitlose Colchicum autumnale. Andererseits ist auch das Weidelgras Lolium perenne, das nur allergisches Potenzial aufweist und gar nicht giftig im eigentlichen Sinn ist, zu finden.

Natürlich gibt es auch die Kamille Matricaria recutita, sogar auf mehreren Beeten – schließlich ist sie eine wichtige Heilpflanze, die nicht nur bei Atemwegsbeschwerden, sondern auch gegen Entzündungen, Krämpfen und Verdauungsbeschwerden eingesetzt wird. Und auch andere Gewächse sind mehrfach im Arzneipflanzengarten anzutreffen, wie zum Beispiel der Fenchel Foeniculum vulgare auf den Beeten „Atemwege“, „Krämpfe“ und „Verdauung“ oder aber das Maiglöckchen Convallaria majalis, das wegen der enthaltenen Cardenolide natürlich einerseits giftig, andererseits aber auch auf dem Beet „Blukreislauf “ vorzufinden ist.

Etwas irritierend ist vielleicht, dass es zwei Beete zu Aromapflanzen gibt. Das war zum einen dadurch bedingt, dass wir ein ursprünglich sehr groß konzipiertes Beet geteilt haben, um besser dazwischen durch spazieren zu können und zum anderen auch dadurch, dass wir eine Gruppe Pflanzen einsetzen wollten, die es eher trocken liebt, wie der Rosmarin Rosmarinus officinalis oder der Thymian Thymus vulgaris, und mit den eher Feuchtigkeit liebenden Aromapflanzen wie Basilikum Ocimum basilicum nicht so gut harmoniert hätte. Und als quasi Hommage an Frankfurt finden sich auf dem „Gewürz/Aroma“-Beet alle Kräuter, die in die Frankfurter Grüne Soße kommen.

Vielleicht noch ein erklärendes Wort zum Beet „Reinstoffe“. Das ist ja nicht immer so ganz klar nachzuvollziehen, warum dies im Arzneipflanzengarten angelegt ist. Aber wir haben ganz bewusst Gewächse zusammengestellt, die nicht mehr als Extrakt eingesetzt werden, sondern nur noch als Ausgangsmaterial dienen, um einzelne Stoffe daraus zu isolieren, die ihrerseits aber wichtige Medikamente sind. Sehr prominente Vertreter sind das Madagaskar-Immergrün Catharanthus roseus oder die Eibe Taxus baccata, aus denen wichtige Substanzen für die Zytostatikatherapie bei Tumorerkrankungen gewonnen werden können.

Woher stammen die Arzneipflanzen und gibt es auch tropische oder auch subtropische?
Sie stammen zu 95 Prozent aus der eigenen Anzucht des Botanischen Gartens und aus den alten Arzneipflanzenbeeten. Bei einigen Gewächsen, wie beispielsweise der Kapland-Pelargonie oder auch der kleinen Stieleiche, musste zugekauft werden. Da der Botanische Garten nur über Gewächshäuser zur Anzucht, aber über keine Präsentationsmöglichkeit verfügt, befinden sich in unserem Arzneipflanzengarten auch keine tropischen oder subtropischen Arten.

Aber es besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Palmengarten, der ja ausgesprochen schöne Schau-Gewächshäuser hat und wo inzwischen als Ergänzung zu unserem Arzneipflanzengarten die tropischen und subtropischen Arzneipflanzen besonders hervorgehoben wurden. Als Besucher kann man also erst in den Freiland-Arzneipflanzengarten gehen und anschließend noch durch das Tropicarium im Palmengarten schlendern und hat dann das ganze Spektrum abgedeckt.

Sind die jeweiligen Pflanzen in einem Beet auch in der freien Natur „Nachbarn“?
Nein, dies kommt nur in den seltensten Fällen vor. Die Beete sind jeweils höchst artifizielle Gebilde, wo die Arzneipflanzen streng nach Indikation zusammen gestellt wurden. Insofern stellt der Arzneipflanzengarten auch hohe Ansprüche an den betreuenden Gärtner. Aber bisher hatten wir da sehr großes Glück.

Wie wird der neue Garten von pharmazeutischen Kennern und auch von der Bevölkerung angenommen?
Wir haben schon viel Lob bekommen. Und man sieht auch nach wie vor viele Besucher durch die Beete schlendern und hier und dort interessiert die Infotafeln lesen. Sicherlich finden pharmazeutische Kenner nichts völlig Neues, aber immerhin wird anerkannt, dass die Anlage so konzipiert ist, dass sich der Laie recht umfassend informieren kann. Leider komme ich viel zu selten in den Arzneipflanzengarten, weil er doch etwas weiter weg von meiner Arbeitsstelle am Riedberg ist. Aber oft genug habe ich bei meinen Besuchen Schulklassen oder andere Gruppen gesehen, die eine Führung hatten oder sich – im Falle der Schüler – Themen selbst erarbeiten mussten. Sicher eine gute Möglichkeit, sich mit der Materie auseinander zu setzen.

Gibt es Führungen oder Veranstaltungen speziell für das Apothekenpersonal oder angehende PTA?
Der botanische Garten organisiert ein Veranstaltungsprogramm, innerhalb dessen ich auch alljährlich eine allgemeine Führung durch den Arzneipflanzengarten anbiete. Und die Landesapothekerkammer Hessen hatte mich ebenfalls für eine Informationsveranstaltung zur Phytotherapie mit Rundgang durch den Arzneipflanzengarten eingeladen. Wir vom Institut für Pharmazeutische Biologie, also letztlich Professor Dingermann und ich, bieten nicht speziell noch zusätzliche Führungen für Apothekenpersonal und angehende PTA an, aber führen natürlich gern Gruppen, wenn wir gefragt werden – das ist kein Thema!

Haben andere Städte hier zu Lande oder Europa ähnliche Gärten aufzuweisen?
Ja, natürlich. In unmittelbarer Nähe zu Frankfurt fallen mir spontan der sehr schöne Apothekergarten in Wiesbaden oder auch der Klostergarten in Seligenstadt ein. Ich denke, dass eigentlich annähernd jeder botanische Garten auch eine Abteilung mit Arzneipflanzen beherbergt.

Wie viel Ihrer Zeit verbringen Sie im Arzneipflanzengarten – und haben Sie ein Lieblingsbeet?
Leider verbringe ich dort viel zu wenig Zeit – ich wünschte mir, es wäre mehr. Aber wenn einfach zu viele andere Termine verpflichten, nimmt man sich leider zu selten die Muße dafür. Ein Lieblingsbeet habe ich nicht – im Laufe der Vegetationsperiode sind sie unterschiedlich sehenswert: Im Sommer sind besonders das „Atemwege“- und das „Nerven“-Beet sehr schön. Oder natürlich das Beet „Verdauung“ mit der eindrucksvollen Engelwurz Angelica archangelica und der Artischocke Cynara scolymus. Eigentlich ist es das ganze Jahr schön durch den Garten zu schlendern und sich am Wechsel der Blüten zu erfreuen. 

VITA
Dr. Ilse Zündorf war nach ihrem Biologiestudium an der Universität in Erlangen wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität in
Frankfurt, dort promovierte sie auch und war von 1995 bis 2001 Akademische Rätin, seit 2001 ist sie Akademische Oberrätin. Zu ihren wissenschaftlichen Tätigkeiten gehören molekularbiologische Arbeiten, Expression rekombinanter Proteine, Herstellung monoklonaler Antikörper gegen sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe sowie gegen verschiedene Tumormarker. Seit 2005 war sie maßgeblich an der wissenschaftlichen Konzeption des Neuen Senckenbergischen Heilpflanzengartens beteiligt und bietet dort Führungen an.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/11 ab Seite 86.

Das Interview führte Dr. Petra Kreuter, Redaktion

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